An die vierzig Jahre hat er der Arbeiter-
bewegung gedient, der Bauernjunge aus
Niederbayern. Von der Pike auf, aber in
raschem Aufstieg, bis zur Stelle eines ersten
Führers.
Es klingt fast wunderbar, wie schnell
Ignaz Auer dazu kam, Vorstandsmitglied
der Partei zu werden, in die er 1869 ein-
getreten war. Denn es waren keinerlei
persönliche Freundschaften, noch die Zu-
gehörigkeit zu irgend einer herrschenden
Gruppe in der Partei,
noch etwa persönliche
Bewerbung, sondern le-
diglich der Eindruck der
ungewöhnlichen Tüch-
tigkeit dieses Menschen,
der im Jahre 1874 seine
Berufung in den Aus-
schuß der sozialdemo-
kratischen Partei Eise-
nacher Programms be-
wirkte.
Wie Auer 1868 in
Passau schon nach ganz
kurzer Zeit Vorsitzen-
der des Arbeitervereins
wurde, dem er sich an-
geschlossen hatte, wie er
1872, kaum in Berlin nie-
dergelassen, Vorsitzender
des Sattlerkongresses
und des auf dieseni ge-
gründeten Sattlerver-
bandes wurde, so ward
er zum leitenden Mit-
glied der ganzen Partei
auserseheu, ehe er es
selbst ahnte. Es war dem
Schreiber dieses ver-
gönnt, Zeuge zu sein,
als am Vorabend des
Koburger Kongresses
der Partei im Sommer
1874 der treffliche Au-
gust Geib, die Seele der
damaligen Parteilei-
tung, in der Laube eines
Gasthofes in Koburg in
den sich sträubenden
Auer drang, nach Ham-
burg, dem Vorort der
Partei zu übersiedeln
und sich in den Ausschuß
wählen zu lassen.
Allerdings war die
Partei damals noch klein, aber sie verfügte
doch über eine nicht geringe Zahl begabter
Agitatoren und Organisatoren, die sich schon
einen gewissen Namen gemacht hatten.
Wenn der aller Cliquenbildung abholde
Geib auf Auer als den Berufenen verfiel, die
Lücke auszufüllen, die das bevorstehende
Ausscheiden Theodor Jorks aus dem Aus-
schuß riß, so mußte er in Auer etwas ge-
funden haben, was ihm sagte, dieser Mann
hat Eigenschaften, die kein anderer in glei-
chem Maße besitzt.
Der heutigen Generation ist der voll-
gereifte, aus den Erfahrungen langjähriger
Führerschaft heraus urteilende und han-
delnde Auer bekannt; den jüngeren, noch in
Ausbildung begriffenen Auer haben nur
wenige der noch Lebenden gekannt, und sehr
-s Ignaz Auer, e—
gering ist die Zahl derer, die ihn so aus
der Nähe kannten, wie der Schreiber dieses.
Der Zufall hat es gewollt, daß just an dem-
selben Tage, wo im Frühjahr 1872 Auer
zum erstenmal im „DeinokratischenArbeiter-
verein" zu Berlin erschien und das Wort
nahm, auch ich den Verein aufsuchte, uni
mich dort als Mitglied aufuehmen zu lassen;
und ein von Auerverursachter Kainpf um Ab-
änderung des Namens des Vereins in „So-
zialdemokratischer Arbeiterverein" brachte
mich alsbald in nähere Beziehung zu ihm,
aus der sich eine sehr intime Freundschaft
entwickelte. Er ward sofort der Führer
einer Gruppe im Verein, die inan als dessen
„Junge" bezeichnen kann, und nach deren
Sieg über die „Alten" ivurde er der lei-
tende Geist der Berliner Mitgliedschaft der
Eisenacher Partei.
Das Auftreten Auers an jenein Abend
ließ die bezeichnendsten Züge seines Wesens
bereits deutlich hervortreten. In die Debatte
über den gehörten Vortrag griff er mit
dem Bemerken ein, er verstände von der
vorgetragenen Sache eigentlich furchtbar
wenig, da es mit seiner Ausbildung sehr-
schlecht stehe, aber es scheine ihm doch,
daß der geehrte Herr Referent einiges über-
sehen habe. Und nun folgten Ausführungen,
die solchen Eindruck machten, daß einige
Vereinsmitglieder, denen ich mich später
auf dem Nachhauseweg anschloß, sich unter-
einander dariiber einig wurden: „Aus die-
sem Auer, da wird noch mal was." Außer-
dem erklärte er in sarkastischem Ton, er sei
sehr angenehm überrascht, in diesem Ver-
ein Eisenacher Sozialdenwkraten zu finden,
er habe in den sechs Wochen, die er in
Berlin sei, vergebens nach solchen gesucht.
Wie hätte er auch ahnen können, Sozial-
demokraten in Berlin in
einem Verein zu finden,
dessen Rainen Nach-
läufer der Volkspartei
vermuten lasse. Damit
traf Auer einen wunden
Punkt im Leben der Ber-
liner Mitgliedschaft der
Eisenacher und führte
die vorerwähnte Um-
wälzung herbei, die sich
in der Folge für das
Wachstum der Mit-
gliedschaft als äußerst
vorteilhaft erwies. Er
hatte die Gabe, durch
Sarkasmus zu wirken,
und daneben konnte er
selten dem Kitzel wider-
stehen, sich unwissend
oder gleichgültig zu ge-
bärden, wo er sehr gut
unterrichtet war und
sehr lebhaft empfand.
In diesem Zug verriet
sich bei ihm die Ab-
stammung von Land-
bewohnern. Während
der Städter das Herz
auf der Zunge trügt,
widersteht es dem Land-
bewohner, seine Emp-
findungen merken zu
lassen. Auer wollte gern
erraten sein.
Er arbeitete damals
in Berlin als Sattler
beim Wagenfabrikanten
Beeskron, Unter den
Linden, und oft lief ich
in der Frühstückszeit
von meinem in der Nähe
gelegenen Bureau aus
in seine Werkstatt, über
irgend eine Parteiange-
legenheit Rats mit ihm zu pflegen.
So suchte ich ihn einstmals am Tage
nach einer Versammlung auf, in der er-
halte referieren sollen, ich aber für ihn
eingesprungen war. Die Versammlung war
von Lassallern unter Führung von Paul
Grottkau gesprengt worden, und Grottkau
hatte erklärt, Auer sei nur fortgeblieben,
weil er gewußt habe, daß er, Grottkau,
sich einstellen werde. „So", sagte Auer, als
ich ihm die Sache erzählte, „dem Ding
kann ja abgeholfen werden." „Was wirst
du tun?" „Nun, ich werde in seine Ver-
sammlung gehen."
Das war damals, wo die Gegensätze zwi-
schen Lassallern und Eisenachern in Berlin
gerade infolge der lebhafteren Agitation
der letzteren zu solcher Schärfe gediehen 8
Geboren am IS. April 1846 in Dominelsladl.
Gestorben am 10. April 1907 ln Berlin.
Beilage zum „wahren Jacob" rlr. 542». 1907.
bewegung gedient, der Bauernjunge aus
Niederbayern. Von der Pike auf, aber in
raschem Aufstieg, bis zur Stelle eines ersten
Führers.
Es klingt fast wunderbar, wie schnell
Ignaz Auer dazu kam, Vorstandsmitglied
der Partei zu werden, in die er 1869 ein-
getreten war. Denn es waren keinerlei
persönliche Freundschaften, noch die Zu-
gehörigkeit zu irgend einer herrschenden
Gruppe in der Partei,
noch etwa persönliche
Bewerbung, sondern le-
diglich der Eindruck der
ungewöhnlichen Tüch-
tigkeit dieses Menschen,
der im Jahre 1874 seine
Berufung in den Aus-
schuß der sozialdemo-
kratischen Partei Eise-
nacher Programms be-
wirkte.
Wie Auer 1868 in
Passau schon nach ganz
kurzer Zeit Vorsitzen-
der des Arbeitervereins
wurde, dem er sich an-
geschlossen hatte, wie er
1872, kaum in Berlin nie-
dergelassen, Vorsitzender
des Sattlerkongresses
und des auf dieseni ge-
gründeten Sattlerver-
bandes wurde, so ward
er zum leitenden Mit-
glied der ganzen Partei
auserseheu, ehe er es
selbst ahnte. Es war dem
Schreiber dieses ver-
gönnt, Zeuge zu sein,
als am Vorabend des
Koburger Kongresses
der Partei im Sommer
1874 der treffliche Au-
gust Geib, die Seele der
damaligen Parteilei-
tung, in der Laube eines
Gasthofes in Koburg in
den sich sträubenden
Auer drang, nach Ham-
burg, dem Vorort der
Partei zu übersiedeln
und sich in den Ausschuß
wählen zu lassen.
Allerdings war die
Partei damals noch klein, aber sie verfügte
doch über eine nicht geringe Zahl begabter
Agitatoren und Organisatoren, die sich schon
einen gewissen Namen gemacht hatten.
Wenn der aller Cliquenbildung abholde
Geib auf Auer als den Berufenen verfiel, die
Lücke auszufüllen, die das bevorstehende
Ausscheiden Theodor Jorks aus dem Aus-
schuß riß, so mußte er in Auer etwas ge-
funden haben, was ihm sagte, dieser Mann
hat Eigenschaften, die kein anderer in glei-
chem Maße besitzt.
Der heutigen Generation ist der voll-
gereifte, aus den Erfahrungen langjähriger
Führerschaft heraus urteilende und han-
delnde Auer bekannt; den jüngeren, noch in
Ausbildung begriffenen Auer haben nur
wenige der noch Lebenden gekannt, und sehr
-s Ignaz Auer, e—
gering ist die Zahl derer, die ihn so aus
der Nähe kannten, wie der Schreiber dieses.
Der Zufall hat es gewollt, daß just an dem-
selben Tage, wo im Frühjahr 1872 Auer
zum erstenmal im „DeinokratischenArbeiter-
verein" zu Berlin erschien und das Wort
nahm, auch ich den Verein aufsuchte, uni
mich dort als Mitglied aufuehmen zu lassen;
und ein von Auerverursachter Kainpf um Ab-
änderung des Namens des Vereins in „So-
zialdemokratischer Arbeiterverein" brachte
mich alsbald in nähere Beziehung zu ihm,
aus der sich eine sehr intime Freundschaft
entwickelte. Er ward sofort der Führer
einer Gruppe im Verein, die inan als dessen
„Junge" bezeichnen kann, und nach deren
Sieg über die „Alten" ivurde er der lei-
tende Geist der Berliner Mitgliedschaft der
Eisenacher Partei.
Das Auftreten Auers an jenein Abend
ließ die bezeichnendsten Züge seines Wesens
bereits deutlich hervortreten. In die Debatte
über den gehörten Vortrag griff er mit
dem Bemerken ein, er verstände von der
vorgetragenen Sache eigentlich furchtbar
wenig, da es mit seiner Ausbildung sehr-
schlecht stehe, aber es scheine ihm doch,
daß der geehrte Herr Referent einiges über-
sehen habe. Und nun folgten Ausführungen,
die solchen Eindruck machten, daß einige
Vereinsmitglieder, denen ich mich später
auf dem Nachhauseweg anschloß, sich unter-
einander dariiber einig wurden: „Aus die-
sem Auer, da wird noch mal was." Außer-
dem erklärte er in sarkastischem Ton, er sei
sehr angenehm überrascht, in diesem Ver-
ein Eisenacher Sozialdenwkraten zu finden,
er habe in den sechs Wochen, die er in
Berlin sei, vergebens nach solchen gesucht.
Wie hätte er auch ahnen können, Sozial-
demokraten in Berlin in
einem Verein zu finden,
dessen Rainen Nach-
läufer der Volkspartei
vermuten lasse. Damit
traf Auer einen wunden
Punkt im Leben der Ber-
liner Mitgliedschaft der
Eisenacher und führte
die vorerwähnte Um-
wälzung herbei, die sich
in der Folge für das
Wachstum der Mit-
gliedschaft als äußerst
vorteilhaft erwies. Er
hatte die Gabe, durch
Sarkasmus zu wirken,
und daneben konnte er
selten dem Kitzel wider-
stehen, sich unwissend
oder gleichgültig zu ge-
bärden, wo er sehr gut
unterrichtet war und
sehr lebhaft empfand.
In diesem Zug verriet
sich bei ihm die Ab-
stammung von Land-
bewohnern. Während
der Städter das Herz
auf der Zunge trügt,
widersteht es dem Land-
bewohner, seine Emp-
findungen merken zu
lassen. Auer wollte gern
erraten sein.
Er arbeitete damals
in Berlin als Sattler
beim Wagenfabrikanten
Beeskron, Unter den
Linden, und oft lief ich
in der Frühstückszeit
von meinem in der Nähe
gelegenen Bureau aus
in seine Werkstatt, über
irgend eine Parteiange-
legenheit Rats mit ihm zu pflegen.
So suchte ich ihn einstmals am Tage
nach einer Versammlung auf, in der er-
halte referieren sollen, ich aber für ihn
eingesprungen war. Die Versammlung war
von Lassallern unter Führung von Paul
Grottkau gesprengt worden, und Grottkau
hatte erklärt, Auer sei nur fortgeblieben,
weil er gewußt habe, daß er, Grottkau,
sich einstellen werde. „So", sagte Auer, als
ich ihm die Sache erzählte, „dem Ding
kann ja abgeholfen werden." „Was wirst
du tun?" „Nun, ich werde in seine Ver-
sammlung gehen."
Das war damals, wo die Gegensätze zwi-
schen Lassallern und Eisenachern in Berlin
gerade infolge der lebhafteren Agitation
der letzteren zu solcher Schärfe gediehen 8
Geboren am IS. April 1846 in Dominelsladl.
Gestorben am 10. April 1907 ln Berlin.
Beilage zum „wahren Jacob" rlr. 542». 1907.