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Maienglaube.
Aus Kelle und Kerker die Arbeit befrein,
muß unser Werk und Gelöbnis sein.
Die Sonne führt wieder den Mai heran,
streut Blüten und Kränze auf seine Bahn
und seht ihm die goldene Krone aufs Haupt.
Wohl jedem, der an die Sonne glaubt!
Ein jeder, der unfern Bund beschwor,
die Sonne als Schild und Wappen erkor.
Wir stehen noch immer in Kampf und Graus,
es wankt die Erde, es bebt das Haus.
Doch wir, die mit der Sonne gehn,
wir wollen fest wie die Berge stehn.
Hört unfern Schwur, den keiner bricht:
Wir glauben dem Mai und seinem Licht.
Wir glauben der Sonne und ihrer Macht,
sie führt uns aus tiefer Not und Nacht.
Bald strahlt sie auf schöneres Friedensland,
den Mai der Arbeit an ihrer Hand. Karl Bröger.
Gustav Ztengele.
Durch den Tod von Gustav Stengele, der am 5. April in
Hamburg sechsundfünfzigjährig einem Herzschlag erlag, hat
die deutsche Sozialdemokratie einen schweren Verlust erlitten.
Gr gehörte in den letzten Jahren zu den hervorragendsten
Vertretern des sozialdemokratischen Journalismus und hat
sich die anerkannt führende Stellung in der Leitung des
zweitgrößten Blattes der deutschen Sozialdemokratie durch
eine von der Pike auf geleistete, jederzeit strebsame und
gewissenhafte Arbeit gesichert. In Verwangen in Baden, nahe
der Schweizer Grenze, wurde Stengele am l4. Februar 1861
geboren. (Er erwählte sich den Buchdruckerberuf und kam
beim Abschluß seiner Wanderzeit nach Hamburg. Johannes
wedds, der damals die dortige „Bürger-Zeitung" leitete,
erkannte bald Stengeles Talent für den Beruf eines sozial-
demokratischen Schriftstellers, und so trat er am 2. Oktober
1887 in die Redaktion des „Hamburger Echo" ein, der er
bis zuletzt angehörte. Seine Begabung für Satire und Humor
machte ihn zu einem glänzenden Feuilletonisten, und als
solcher ward er auch ein fleißiger und stets gern gesehener
Mitarbeiter des „wahren Jacob", den wir von nun ab
schmerzlich vermissen werden. Die Berussunfälle eines sozia -
demokratischen Redakteurs in Gestalt zahlreicher Freiheits-
strafen blieben auch ihm nicht erspart. Emsig wirkte er mit
an dem Ausbau und der Festigung der Hamburger Partei-
organisation und war von 1907 bis 1913 Mitglied der Ham-
burger Bürgerschaft. Das Höchstmaß seiner Arbeitsleistung
vollbrachte er aber seit Ausbruch des Weltkriegs, als er
das Steuer des Hamburger Parteiorgans in seine feste, zu-
verlässige Hand nahm und in demselben den von der Partei
von jeher anerkannten Grundsatz der Verteidigung des eige-
nen Volkes gegen fremde Unterdrückungsgelüste in wahrhaft
vorbildlicher weise vertrat. Die deutsche Sozialdemokratie ist
ihm für sein reiches Lebsnswerk liefen Dank schuldig.
Feldpostbriefe.
QXX.
Geliebte Riete! Dieses ist der erste Brief,
de» ich Dir von die inazedonische Front schicke.
Denn wir halten uns jetzt in dieses berühmte
Land auf, wo wir schon in der Schule von ge-
lernt, aber das meiste wieder vergessen haben.
Deshalb hat uns unser Korporalschaftsführer,
der Herr Sergeant Lehmann, über die geschicht-
lichen Vorgänge in das hiesige Altertum in-
struiert, und er versteht es viel besser als wie
in die Schule, einem die Ereignisse klarzu-
machen, so daß man genau begreifen kann,
wie das alles in Wirklichkeit damals gewesen
ist. Und damit Du Dir auch etwas bilden
kannst, werde ich Dir einiges von das, was
uns der Sergeant Lehmann erzählt hat, mit-
teilen.
Also hier in Mazedonien lebte vor viele
tausend Jahre der berühmte Alexander der
Große, was der Sohn von Philippen war, der
aber nicht mit den bekannten Vater Philipp
zu verwechseln ist, sondern damals als König
das Land regieren tat. Wie das Kind anfing
in Schule zu gehen, sahen die Leute gleich,
daß es eine ganz ausgefallene Nummer war,
denn der Junge machte nicht bloß immer alle
seine Schularbeiten, sondern er lernte auch
noch ein ganzes dickes Buch von Homer aus-
wendig, was er gar nicht ausbekommen hatte.
Und als ihm eines Tages einer fragte, ob er
nicht mal um die Wette laufen möchte, ant-
wortete die dicknäsige Kruke: „Jawohl, aber
man bloß mit Könige!"
Wie Alexander der Große in das dienst-
pflichtige Alter war, trat er bei die Kavallerie
ein, wo er sich besonders bei das Remonte-
reiten auszeichnete, indem er einen wegen seiner
Hartmäuligkeit ins ganze Regiment bekannten
Schinder schließlich klein gekriegt hat. Als er
das Biest zum zweiten Male glatt durch die
Reitbahn geprescht hatte, sagte der alte König
zu ihm auf mazedonisch: „Mein Sohn, mach'
dir dünne, denn dieses Land ist sonst für dir
zu klein!" Bald darauf wurde Vater Philipp
vermittels Meuchelmord zu seine Vater ver-
sammelt, und Alexander stieg auf dem Thron.
Das erste, was er tat, war selbstverständlich,
daß er aus Reisen ging, und natürlicherweise
»ach Griechenland. Hier besuchte er den alten
Diogenes, der für die damalige Zeit als ganz
was Besonderes galt, nach unsere aufgeklärten
Begriffe aber ein Dreckschwein ersten Ranges
war, das sich niemals nicht wasche» tat und
de» ganzen Tag lang in ein leeres Bierfaß
dachsle. Wie ihm Alexander besuchte, lag das
Ekel in seine Tonne, lauste sich und redete mäch-
tige Töne. Der König erlaubte ihn», daß er
sich eine Gnade ausbitten dürfte, und darauf
meinte er: „Denn mach' schon und geh' mir
ein bißchen aus die Sonne, damit ich meine
Läuse besser finden kann!" Nach dieses geist-
reiche Erlebnis eroberte Alexander der Große
sofort ganz Griechenland und begab sich zu
das delfiuische Orakel, um sich seine Zukunft
prophezeien zu lassen. Die Angestellte von das
Orakel hatte aber schon Feierabend gemacht
und wollte ihm nicht mehr in ihre Bude ein-
lassen. Er aber schlug die Türe ein und ge-
brauchte Gewalt gegen ihr, wodurch sie sich
sehr geschmeichelt fühlte und zu ihm in die
Worte ausbrach: „Mensch, du bist unwider-
stehlich!" So was imponierte die Mädchen
schon damals.
Dann ging die Reise weiter bis nach Klein-
asien, wo sich in eine Stadt ein uralter Knote
aufhielt, mit den keiner nichts anzusangen
wußte. Alexander aber haute ihm sofort durch
und bildete sich nun ein, er könnte der Be-
herrscher von ganz Asien werden. In diese
Hinsicht aber war er schief gewickelt, denn es
langte man bloß bis zu die Perser, die von
ihm eklige Wichse besahen. Mit die persische
Einwohnerschaft hat er sich dänn aber in so
intime Weise eingelassen, daß er von wegen
„unwürdiges Betragen gegenüber feindliche
Ausländer" bei alle mazedonischen Patrioten
Ärgernis erregen mußte. Überhaupt schien er
von jetzt ab brägenklietrig geworden zu sein,
und er dachte, er könne alles. Deshalb war
es ein wahrer Segen für die Menschheit, daß
ihm schon in die Blüte seiner Jahre der
Deibel holte.
Soviel für heute. Ich hoffe, geliebte Rieke,
daß ich durch diese geschichtliche Instruktion
einige Lücken in Deine Wissenschaft ausgestopft
habe, wenn auch das meiste von die obigen
Maienglaube.
Aus Kelle und Kerker die Arbeit befrein,
muß unser Werk und Gelöbnis sein.
Die Sonne führt wieder den Mai heran,
streut Blüten und Kränze auf seine Bahn
und seht ihm die goldene Krone aufs Haupt.
Wohl jedem, der an die Sonne glaubt!
Ein jeder, der unfern Bund beschwor,
die Sonne als Schild und Wappen erkor.
Wir stehen noch immer in Kampf und Graus,
es wankt die Erde, es bebt das Haus.
Doch wir, die mit der Sonne gehn,
wir wollen fest wie die Berge stehn.
Hört unfern Schwur, den keiner bricht:
Wir glauben dem Mai und seinem Licht.
Wir glauben der Sonne und ihrer Macht,
sie führt uns aus tiefer Not und Nacht.
Bald strahlt sie auf schöneres Friedensland,
den Mai der Arbeit an ihrer Hand. Karl Bröger.
Gustav Ztengele.
Durch den Tod von Gustav Stengele, der am 5. April in
Hamburg sechsundfünfzigjährig einem Herzschlag erlag, hat
die deutsche Sozialdemokratie einen schweren Verlust erlitten.
Gr gehörte in den letzten Jahren zu den hervorragendsten
Vertretern des sozialdemokratischen Journalismus und hat
sich die anerkannt führende Stellung in der Leitung des
zweitgrößten Blattes der deutschen Sozialdemokratie durch
eine von der Pike auf geleistete, jederzeit strebsame und
gewissenhafte Arbeit gesichert. In Verwangen in Baden, nahe
der Schweizer Grenze, wurde Stengele am l4. Februar 1861
geboren. (Er erwählte sich den Buchdruckerberuf und kam
beim Abschluß seiner Wanderzeit nach Hamburg. Johannes
wedds, der damals die dortige „Bürger-Zeitung" leitete,
erkannte bald Stengeles Talent für den Beruf eines sozial-
demokratischen Schriftstellers, und so trat er am 2. Oktober
1887 in die Redaktion des „Hamburger Echo" ein, der er
bis zuletzt angehörte. Seine Begabung für Satire und Humor
machte ihn zu einem glänzenden Feuilletonisten, und als
solcher ward er auch ein fleißiger und stets gern gesehener
Mitarbeiter des „wahren Jacob", den wir von nun ab
schmerzlich vermissen werden. Die Berussunfälle eines sozia -
demokratischen Redakteurs in Gestalt zahlreicher Freiheits-
strafen blieben auch ihm nicht erspart. Emsig wirkte er mit
an dem Ausbau und der Festigung der Hamburger Partei-
organisation und war von 1907 bis 1913 Mitglied der Ham-
burger Bürgerschaft. Das Höchstmaß seiner Arbeitsleistung
vollbrachte er aber seit Ausbruch des Weltkriegs, als er
das Steuer des Hamburger Parteiorgans in seine feste, zu-
verlässige Hand nahm und in demselben den von der Partei
von jeher anerkannten Grundsatz der Verteidigung des eige-
nen Volkes gegen fremde Unterdrückungsgelüste in wahrhaft
vorbildlicher weise vertrat. Die deutsche Sozialdemokratie ist
ihm für sein reiches Lebsnswerk liefen Dank schuldig.
Feldpostbriefe.
QXX.
Geliebte Riete! Dieses ist der erste Brief,
de» ich Dir von die inazedonische Front schicke.
Denn wir halten uns jetzt in dieses berühmte
Land auf, wo wir schon in der Schule von ge-
lernt, aber das meiste wieder vergessen haben.
Deshalb hat uns unser Korporalschaftsführer,
der Herr Sergeant Lehmann, über die geschicht-
lichen Vorgänge in das hiesige Altertum in-
struiert, und er versteht es viel besser als wie
in die Schule, einem die Ereignisse klarzu-
machen, so daß man genau begreifen kann,
wie das alles in Wirklichkeit damals gewesen
ist. Und damit Du Dir auch etwas bilden
kannst, werde ich Dir einiges von das, was
uns der Sergeant Lehmann erzählt hat, mit-
teilen.
Also hier in Mazedonien lebte vor viele
tausend Jahre der berühmte Alexander der
Große, was der Sohn von Philippen war, der
aber nicht mit den bekannten Vater Philipp
zu verwechseln ist, sondern damals als König
das Land regieren tat. Wie das Kind anfing
in Schule zu gehen, sahen die Leute gleich,
daß es eine ganz ausgefallene Nummer war,
denn der Junge machte nicht bloß immer alle
seine Schularbeiten, sondern er lernte auch
noch ein ganzes dickes Buch von Homer aus-
wendig, was er gar nicht ausbekommen hatte.
Und als ihm eines Tages einer fragte, ob er
nicht mal um die Wette laufen möchte, ant-
wortete die dicknäsige Kruke: „Jawohl, aber
man bloß mit Könige!"
Wie Alexander der Große in das dienst-
pflichtige Alter war, trat er bei die Kavallerie
ein, wo er sich besonders bei das Remonte-
reiten auszeichnete, indem er einen wegen seiner
Hartmäuligkeit ins ganze Regiment bekannten
Schinder schließlich klein gekriegt hat. Als er
das Biest zum zweiten Male glatt durch die
Reitbahn geprescht hatte, sagte der alte König
zu ihm auf mazedonisch: „Mein Sohn, mach'
dir dünne, denn dieses Land ist sonst für dir
zu klein!" Bald darauf wurde Vater Philipp
vermittels Meuchelmord zu seine Vater ver-
sammelt, und Alexander stieg auf dem Thron.
Das erste, was er tat, war selbstverständlich,
daß er aus Reisen ging, und natürlicherweise
»ach Griechenland. Hier besuchte er den alten
Diogenes, der für die damalige Zeit als ganz
was Besonderes galt, nach unsere aufgeklärten
Begriffe aber ein Dreckschwein ersten Ranges
war, das sich niemals nicht wasche» tat und
de» ganzen Tag lang in ein leeres Bierfaß
dachsle. Wie ihm Alexander besuchte, lag das
Ekel in seine Tonne, lauste sich und redete mäch-
tige Töne. Der König erlaubte ihn», daß er
sich eine Gnade ausbitten dürfte, und darauf
meinte er: „Denn mach' schon und geh' mir
ein bißchen aus die Sonne, damit ich meine
Läuse besser finden kann!" Nach dieses geist-
reiche Erlebnis eroberte Alexander der Große
sofort ganz Griechenland und begab sich zu
das delfiuische Orakel, um sich seine Zukunft
prophezeien zu lassen. Die Angestellte von das
Orakel hatte aber schon Feierabend gemacht
und wollte ihm nicht mehr in ihre Bude ein-
lassen. Er aber schlug die Türe ein und ge-
brauchte Gewalt gegen ihr, wodurch sie sich
sehr geschmeichelt fühlte und zu ihm in die
Worte ausbrach: „Mensch, du bist unwider-
stehlich!" So was imponierte die Mädchen
schon damals.
Dann ging die Reise weiter bis nach Klein-
asien, wo sich in eine Stadt ein uralter Knote
aufhielt, mit den keiner nichts anzusangen
wußte. Alexander aber haute ihm sofort durch
und bildete sich nun ein, er könnte der Be-
herrscher von ganz Asien werden. In diese
Hinsicht aber war er schief gewickelt, denn es
langte man bloß bis zu die Perser, die von
ihm eklige Wichse besahen. Mit die persische
Einwohnerschaft hat er sich dänn aber in so
intime Weise eingelassen, daß er von wegen
„unwürdiges Betragen gegenüber feindliche
Ausländer" bei alle mazedonischen Patrioten
Ärgernis erregen mußte. Überhaupt schien er
von jetzt ab brägenklietrig geworden zu sein,
und er dachte, er könne alles. Deshalb war
es ein wahrer Segen für die Menschheit, daß
ihm schon in die Blüte seiner Jahre der
Deibel holte.
Soviel für heute. Ich hoffe, geliebte Rieke,
daß ich durch diese geschichtliche Instruktion
einige Lücken in Deine Wissenschaft ausgestopft
habe, wenn auch das meiste von die obigen