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Ein vergessener Mitbegründer der Arbeiter-Internationale
-i8°° Johann Philipp Becker tu»«

Heute, wo Schwarz-Rot-Go kd des
Deutschen Reiches Farben sind, geziemt
es sich, auch eines Mannes wieder ein-
mal zu gedenken, der sür Schwarz-Rot-
Gold mit dem Schwert in der Hand
focht und ebenso, als die Zeit reif war,
als einer der Ersten für den großen
Gedanken der Arbeiter-Internationale
sich einsetzte und der Sache des Sozia-
lismus mit derselben Hingabe diente,
mit der er für sein engeres Vaterland
sich eingesetzt hatte.

Es ist Johann Frie d r i ch
Becker. ,Um ein anschauliches Bild
von seinen Taten zu geben, folgen wir am
besten der Darstellung, die Friedrich
Engels von ihm gegeben hat.

„Geboren 1809 zu Frankenthal in der
bayerischen Pfalz," schreibt Engels im
„Sozialdemokrat" vom 17. Dezember
1886, „beteiligte er sich, kaum den
Kinderschuhen entwachsen, schon in den
zwanziger Jahren an der politischen Be-
wegung seiner Heimat. Als nach der
Julirevolution, anfangs der dreißiger
Jahre, diese 'Bewegung einen republi-
kanischen Charakter annahm, war Becker
einer der tätigsten und entschiedensten
Teilnehmer. Mehrmals verhaftet, vor
die Geschworenen gestellt, freigesprochen,
mußte er endlich vor der siegenden Re-
aktion flüchten. Er ging in die Schweiz,
ließ sich in Biel nieder und erwarb das
Schweizer Bürgerrecht. Auch hier blieb
er nicht untätig; nach der einen Seite
beschäftigten ihn die Angelegenheiten
der deutschen Arbeitervereine und die
Revolutionsversuche der deutschen, ita-
lienischen, überhaupt europäischen Flücht-
linge; nach der andern der Kampf der
Schweizer Demokratie um die Herrschaft
in den einzelnen Kantonen. Man weiß
wie dieser Kamps, namentlich anfangs
der vierziger Jahre, vermittels einer
Reihe von bewaffneten Einfällen in die
aristokratischen uttd klerikalen Kantone
geführt wurde. In die Mehrzahl dieser
„Putsche" war Becker mehr oder we-
niger verwickelt und wurde schließlich
deswegen zu zehnjähriger Verbannung
aus seinem Heimatkanton Bern ver-
urteilt. Diese kleinen Kriegszüge gipfelten
endlich 1847 im Sonderbundskrieg:
Becker, der der schweizerischen Armee
als Offizier angehörte, trat an feinen
Posten und führte während des Marsches
auf Luzern di« Borhut der Division, der
er zugeteilt war.

Johann Philipp Becker

Die Februarrevolution 1848 brach
aus; ihr folgten die Versuche, Baden
durch Freischarenzüge zu republikani-
sieren. Als Hecker seinen Zug machte,
bildete Becker eine Flüchtlingslegion,
konnte aber erst an der Grenze er-
scheinen, nachdem Hecker schon wieder
zurückgeschlagen war. Diese, später
großenteils in Frankreich internierte
Legion lieferte 1849 den Kern für einige
der besten Truppenteile der Pfälzer und
badischen Armee.

Als im Frühjahr 1849 in Rom die
Republik proklamiert wurde, wollte
Becker aus dieser Legion ein Hilfskorps
für Rom organisieren. Er ging nach
Marseille, bildete die Kadres und traf
Anstalt, die Mannschaft zufammenzu-
ziehen. Aber, wie bekannt, schickte sich
die französische Regierung an, die
römische Republik zu erdrücken und den
Papst zurückzuführen. Es verstand sich
von selbst, daß sie die Ueberführung von
Hilfstruppen für ihre römischen Gegner
verhinderte. Becker, der schon ein Schiff
gemietet, wurde kategorisch bedeutet,
man werde sein Schiff in den Grund
bohren, sobald es Miene mache, den
Hafen zu verlassen. Da brach die Re-
volution in Deutschland los. Becker
eilte sofort nach Karlsruhe, die Legion
folgte nach und nahm später unter
Bönings Führung am Kampf teil,
während ein anderes Stück der alten
1848er Legion, von Millich in Besancon
ausgebildet, dem Willichschen Freikorps
als Kern diente. Becker wurde zum
Chef der gesamten badischen Volkswehr,
also aller Truppen außer der Linie, er-
nannt uUd ging sogleich an die Organi-

sation. Hier stieß er sofort auf den
Widerstand der von der reaktionären
Bourgeoisie beherrschten Regierung und
ihres Führers Brentano. Seine Befehle
wurden durchkreuzt, feine Forderung
von Waffen und Ausrüstungsgegen-
ständen unbeachtet gelassen oder direkt
abgeschlagen. Der Versuch am 6. Juni,
die Regierung durch die revolutionäre
bewaffnete Macht zu entschiedenem Auf-
treten zu veranlassen, ein Versuch, an
dem Becker sehr stark beteiligt war,
endigte unentschieden; aber Becker und
seine Truppen wurden nun schleunigst
von Karlsruhe an den Neckar gegen den
Feind geschickt.

Hier hatte der Kampf schon im Kleinen
begonnen, uckd die Entscheidung nahte
heran. Ohne Geschütz und Reiterei,
mußte er feine wenigen Truppen zur
Besetzung des ausgedehnten und schwie-
rigen Gebiets verzetteln und behielt
nicht genug in der Hand, um angreifend
vorgehen zu können. Trotzdem befreite
er am 15. Juni durch ein brillantes
Gefecht feine im Schloß von Hirschhorn
durch die Peukerschen Reichstruppen
umzingelten Hanauer Turner.

Als Mieroslawjki den Oberbefehl
über die Revolutionsarmee übernahm,
erhielt Becker das Kommando über die
5. Division — lauter Volkswehr und
lauter Infanterie — mit dem Auftrag,
dem Peukerschen Korps, das ihm min-
destens sechsmal überlegen war, Wider-
stand zu leisten. Aber gleich darauf kam
der Rheinübergang des ersten preußischen
Korps bei Germersheim, der Zug
Mieroslawskis ihm entgegen, die Nieder-
lage von Waghäufel am 21. Juni.
Becker hielt Heidelberg besetzt; von
Norden drängte das zweite preußische
Korps von Gröben, von Nordosten das
Korps Peukers, jedes über zwanzig-
taufend Mann stark, im Südwesten
standen Hirschfelds Preußen, ebenfalls
über zwanzigtausend Mann. lUnd nun
walzten sich die Flüchtlinge von Wag-
häusel, d. h. die ganze große Masse der
badischen Armee, Linie und Volkswehr,
nach Heidelberg, um durchs Gebirge auf
einem enormen Umweg den ihnen in
der Ebene verlegten Weg nach Karls-
ruhe und Rastatt zu finden.

Diesen Rückzug sollte Becker decken
— mit feinen eben ausgehobenen un-
geübten Leuten und wie immer ohne
Reiterei und Geschütz. Nachdem er den

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