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Wölfflin, Heinrich
Gedanken zur Kunstgeschichte: Gedrucktes und Ungedrucktes — Basel, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.27251#0167
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JACOB BURCKHARDT

jungen Freund: «Flätte ich ein Jahr hier zu vertun, ich würde in die Hände
spucken und mich mit anderer guter Leute Hilfe bemühen, die lebendigen
Gesetze der Formen auf möglichst klare Formeln zu bringen.» Die Vorstellung
eines Lebensprozesses, der sich gleichmäßig immer wieder in den verschiedenen
Zeitaltern der Kunst vollzieht, war ihm von früh an vertraut. Die Schwierigkeit
liegt darin, wie mit einem solchen gesetzmäßigen Vorstellungsablauf der wech-
selnde Inhalt der wirklichen Geschichte zusammengebracht werden soll.
Burckhardt erkennt deutlich, daß der Barock einerseits nur die «letzten Kon-
sequenzen» der Renaissance zieht, andrerseits zögert er keinen Augenblick, den
neuen Geist dieser Architektur mit neuen Worten zu kennzeichnen. Er kannte
also das Problem, aber er hat es nie ernsthaft aufgenommen. Gern begnügt er
sich mit allgemeinen, gleichnishaften Wendungen: «die Zeit war erfüllet» (bei
der Hochrenaissance) oder — ein Lieblingswort - «und scheint die Sonne noch
so schön, einmal muß sie untergehn» bei den Endphasen eines Stils (wo er sich
übrigens immer mehr der Anschauung zuwandte, daß von einem «Verfall»
nicht gesprochen werden dürfe).

Unter diesen Umständen lohnt es sich, daran zu erinnern, daß über diese
Dinge zwischen Burckhardts Lehrer, Franz Kugler, und Schnaase eine Aus-
einandersetzung stattgefunden hatte, gerade als Burckhardt aufs engste mit
Kugler zusammen arbeitete. Es geschah, als dieser das Hauptstück der Schnaa-
seschen Kunstgeschichte, das hohe Mittelalter, zu rezensieren hatte (1850), und
die Kritik wendet sich ganz allgemein gegen die hier geübte Art der Interpre-
tation von Kunstwerken. Schnaase interpretierte alle Gestalt restlos auf Aus-
druck hin, Kugler wollte unterschieden wissen, was unmittelbar als Ausdruck
gewollt war und was an der Form auf eine bestimmte Stufe in der Wrstellungs-
entwicklung zurückzuführen sei, über die keiner hinauskomme. Das Befangene
einer altertümlichen Kunst darf nicht so gedeutet werden, als ob diese Befangen-
heit mit zur Absicht des Künstlers gehört habe, man muß wissen, was inner-
halb bestimmter begrenzter Möglichkeiten an Ausdruck überhaupt zu geben
war. «Schnaase glaubt», das sind Kuglers Worte, «nicht etwa nur diese oder
jene Modihkation in den altertümlich gemessenen und beschränkten Stilformen
durch das geistige Grundelement erklären, sondern letzteres unmittelbar als
den eigentlichen Erzeuger dieser ganzen Erscheinung auffassen, jene Stilistik
also als eine deshalb auch notwendige, ja die damit verbundene Schwäche der
Darstellung nur als eine scheinbare, den positiven Mangel an künstlerischer
Vollendung als tieferen Ideen dienend, darlegen zu müssen.» Die Idealität aber
gewisser mittelalterlicher Bildwerke sei «nicht wegen, sondern trotz ihrer man-
gelnden Durchbildung» erreicht worden.

Wir lassen die Frage beiseite, ob nicht auch Kugler mit dieser Kritik über das
Ziel hinausgeschossen habe (er hat es getan), wichtig ist die Einstellung an sich:

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