Einführung: Der Nürnberger Schembartlauf 1449–1539
Die Reichsstadt Nürnberg entwickelte sich im Verlauf des Spätmittelalters nicht nur zu einer europäischen Handelsmetropole und einem Zentrum der Hochfinanz, sondern auch zu einer deutschen Fastnachtshochburg ersten Ranges. Hans Folz (um 1435/1440–1513) und Hans Rosenplüt (um 1400–ca. 1460) etablierten die noch heute berühmten Fastnachtsspiele im Brauchtum und der Rat der Stadt erlaubte an den Fastnachtstagen Tanzveranstaltungen wie den „Metzgertanz“ und Turniere wie das „Gesellenstechen“, die höfischen Festen nacheiferten (Abb. 1). Der von 1449–1539 aufgeführte und über die Stadtgrenzen hinaus berühmte Schembartlauf gilt als Höhepunkt der jährlichen Fastnachtsfeierlichkeiten. Von nah und fern kamen Zuschauer, um dem Schaulaufen beizuwohnen. Zum Spaß und Gaudi der Bevölkerung rannten die maskierten Läufer durch die engen Gassen der Stadt und zündeten Feuerwerk.
Denn Schembart zu laufen bedeutet, maskiert zu laufen. Das eigene Ich vor dem Mitmenschen zur Fastnacht verbergen zu dürfen und sich derart zu verwandeln, um andere zu täuschen, galt in Nürnberg als großes Privileg (Abb. 2). Das Risiko, im Schutz der Maskierung unerkannt Straftaten verüben zu können, erschien den Mandatsträgern als zu hoch. Tatsächlich wurde dieses Sonderrecht vom Rat der Stadt regelmäßig nur den Metzgern gewährt. Die Patriziersöhne dagegen mussten, wollten sie den Schembart laufen, ihnen dieses Vorrecht abkaufen. Dieser genehmigungspflichtige Umzug blieb als Frühform des organisierten Karnevals über Jahrhunderte einzigartig in Deutschland.
Die Anfänge des Laufs begründet eine Legende. Ihr zufolge wurden die Metzger nach dem Handwerkeraufstand 1348/48 für ihre Treue zum Nürnberger Rat damit belohnt, an Fastnacht einen Tanz abzuhalten, der von einer Rotte begleitet wurde, die sich im Laufe der Geschichte als Schembartläufer verselbstständigte. Die Läufer trugen zunächst Leinen- und Woll-, später dann kostbare Atlasgewänder. Ihre Masken waren glattgesichtig, gleichförmig, bartlos und wurden am Hinterkopf mit einem Band verschnürt. Sie bilden einen feststehenden, aus der höfischen Festkultur ableitbaren Typ, unterstützen aber anders als Theatermasken in der Antike nicht den Ausdruck von Gefühlen. Sie wirken repräsentativ festlich und haben nichts Dämonisches an sich.
- Abb. 3: Nürnberg, GNM Hs 5664, 65r, „Hölle“ von 1539:
Narrenschiff mit dem Nürnberger Prediger Andreas Osiander an Bord.
Ab 1475 begleiteten den Lauf Motivwagen, die sogenannten „Höllen“; darunter Drachen und Basilisken, Narrenfresser- und –schiffe, Venusfallen und turmbewehrte Elefanten. Nach Einführung der Reformation 1525 fand 1539 ein letzter Schembartlauf statt, in dem der Nürnberger Prediger Andreas Osiander (1498–1552) verunglimpft wurde (Abb. 3). Danach fand kein offizieller Schembartlauf mehr statt. Der Deutung dieser Ephemera liegen verschiedene Interpretationsmodelle zugrunde, die von moraltheologischer Belehrung bis zur Bestimmung als Gaudium einer Spaßgesellschaft reichen.
Text-Bild-Edition
Schembarthandschriften und Nürnberger Chroniken sind die Hauptüberlieferungsträger des fastnächtlichen Geschehens in der Reichsstadt. Es konnten bisher ca. 137 Text- und Bildzeugen weltweit identifiziert werden. Noch heute befinden sich in der Metropolregion Nürnberg mehr als fünzig Prozent aller überkommenen Text- und Bildzeugen. Das Portal „Schembart online“ ermöglicht neben einer Überprüfung der Transkription am Volltextdigitalisat vor allem ortsunabhängig präzise paläographische, textkritische Analysen zwischen den einzelnen Handschriften durchzuführen. Die detaillierte Erschließung der mehr als 4.000 Illustrationen soll direkte Vergleiche der kultur- und kunsthistorisch bedeutenden Bildüberlieferung zu den Schembartläufen ermöglichen. So werden Motivwagen und Fastnachtsfiguren vergleichbar, ferner werden kostümgeschichtliche Fragen rund um die kostbare Kleidung der Hauptleute und die Verkleidungen der den Lauf begleitenden Rotten geklärt. Darüber hinaus soll die Edition neben den Handschriften erstmals alle überkommenen Einzelblätter mit Schembartmotiven verzeichnen und wissenschaftlich erschließen.
Weitere Quellen
Das historische Festgeschehen dokumentieren am zuverlässigsten die Nürnberger Ratsverlässe, Rats- und Briefbücher, die sowohl die im Rahmen der Fastnacht erteilten Erlaubnisse als auch die begangenen Regelverstöße gegen die Ordnung festhalten. Anders als bei den Schembartbüchern, handelt es sich hier um zeitgenössische Quellen, deren Einträge zur Nürnberger Fastnacht daher als Ergänzung zu den Schembarthandschriften und Chroniken ebenfalls als Exzerpte ediert werden.