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Kautzsch, Rudolf
Diebolt Lauber und seine Werkstatt in Hagenau — Stuttgart, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.2169#0031
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von Dr. E. Kautzsch. 31

Gestalten. Denn jetzt gilt: je sorgfältiger, desto lebensvoller. Dort
wurde die Gestalt je sorgfältiger ausgeführt, um so allgemeiner.

Dass man auch nach der Seite der Ausdehnung des Bodens in
die Tiefe es den besten Leistungen um 1400 gleich und allmählig zuvor-
that, soll nur nebenbei erwähnt werden. Wenn aber selbst in unserer
Werkstatt der blaue Himmel einzieht, so ist das eine Errungenschaft,
die das 14. Jahrhundert auch in seinen besten Vertretern nicht kannte.

Aber genug. Das alles ändert nichts an der Thatsache, dass
die Schreibstube von Hagenau auf alter Grundlage stand, auf ihr fort-
arbeitete fast unberührt von der tiefgehenden grundsätzlichen Wand-
lung, die sich draussen unterdess vollzog.

Noch ein Wort über die Art der Federführung will ich hier
anschliessen. Auch sie ist bei den einzelnen Zeichnern sehr ver-
schieden. Sie bewegt sich nämlich in mancherlei Stufen zwischen
zwei Extremen, die sofort näher zu beschreiben sind. Nirgends treffen
wir eine eigentlich zeichnerische Behandlung der Umrisslinien, jene
feinen, wiederholt absetzenden Striche, die nicht ein fortlaufend ge-
schlossenes Ganzes bilden, sondern vielfach zur Innenzeichnung, zur
Schattierung mit dienen, sich schneiden, oft auch einen Zwischenraum
im Umriss lassen, kurz ein freies, stets dem besonderen Zwecke an-
gepasstes Gefüge zarter Federstriche. "Vielmehr setzt sich der übliche
Umriss entweder der Art zusammen, dass für jede Erstreckung nach
einer Richtung ein Federstrich genügt: die Feder wird leicht angesetzt
und mit einem Druck, der in der Mitte am stärkstea ist, bis zu Ende
geführt. Infolge dieser Art der Zeichnung besteht dann der gezeich-
nete Körper aus lauter schwach-stark-schwachen geschwungenen Linien,
die an ihren Enden durchaus nicht immer zusammenlaufen. Auch
dieser Umriss ist also gelöst, aber es ist eine ziemlich rohe Art der
Federführung, wenn auch keck und des gewollten Ergebnisses sicher.

Die andere in unserer Werkstatt angewandte Zeichenweise geht auf
einen Umriss in gleichmässig starken Linien aus. Diese werden darum
langsam bei immer gleichem Druck, meist ziemlich stark, gezogen.

Um bei der nachfolgenden Beschreibung der einzelnen Zeichner
diese Unterschiede mit einem Wort ausdrücken zu können, erlauben
wir uns im vollen Bewusstsein ihrer Unzulänglichkeit die Bezeichnungen
„gestrichene" und „gezogene" Umrisse, Linien n. s. f. zu brauchen.

Anhangsweise gestatte man noch eine kurze Bemerkung über das
Verhältniss des eben geschilderten Stils zur gesammten zeichnenden
Kunst im Elsass. Dass man von den Erzeugnissen einer Werkstatt
aus nicht ohne Weiteres auf die Zustände im ganzen Lande schliessen
darf, ist selbstverständlich. Immerhin möchte ich erwähnen, dass mir
mir ein einziges von den Hagenauer Hss. stark abweichendes Werk
elsässischer Herkunft aus sicher früherer Zeit bekannt geworden ist.
Es ist dies der palat. germ. 322 (Heidelberg), bei Bartsch 154. Diese
Hs. (Otto von Passau, die 24 Alten) ist 1457 vollendet worden und
enthält eine Reihe sehr interessanter Bilder: grosse Gestalten von
äusserst lebendiger Haltung und charakteristischem Ausdruck. Am
 
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