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Adama van Scheltema, Frederik
Die altnordische Kunst: Grundprobleme vorhistorischer Kunstentwicklung — Berlin: Mauritius-Verl., 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.62960#0084
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$6 DIE FLECHTWERKHYPOTHESE
und Zonenbecher usw.1. Soll die technische Erklärung für das geradlinige Orna-
ment einen wissenschaftlichen Wert haben, so muß sie ihre Richtigkeit an den
frühesten Erscheinungen erweisen.
Auf die rein technischen Fragen möchte ich hier nicht ausführlich eingehen.
So viel sei nur bemerkt, daß nicht die geringste Veranlassung besteht, für Nord-
europa die Flechttechnik als eine frühere Erscheinung als die Töpferei zu be-
trachten. Nach den dänischen Untersuchungen hat die Herstellung der Muschel-
haufengefäße nichts mit der Korbflechterei zu tun, und auch die Formen der
Muschelhaufen- und Pfahlbautenkeramik widersetzen sich der Ableitung aus
geflochtenen Vorbildern, wie ja schon aus der nicht sehr glücklichen Leder-
beuteltheorie hervorgeht. Höchstwahrscheinlich ist die von C oh aus en und
Hopf vertretene Ansicht die einzig richtige, daß die frühesten nordischen Ton-
gefäße aus Tonklümpchen oder Wülsten auf gebaut oder „aus dem Vollen“,
d. h. aus der Tonmasse, ausgehöhlt wurden2. Damit fällt allerdings die wichtigste
Stütze der textilen Theorie: die nordische Keramik stand vom Beginn an auf
ihren eigenen Füßen.
Größere Bedeutung haben für uns Gestalt und Entwicklung des Ornaments
selber, die zeigen, daß von einer Erfüllung der aus der textilen Erklärung ge-
schöpften Erwartungen nicht entfernt die Rede sein kann. Erinnern wir uns
an die schon besprochenen frühesten Gefäße, und werfen wir einen Blick auf
die weiter unten abgebildeten Gefäße der frühen und entwickelten Megalith-
keramik und der späteren norddeutschen Gruppen, so finden wir, daß beson-
ders bei letzteren das Ornament in der Tat das ganze Gefäß überdecken kann,
daß seine Ausdehnung aber, je mehr wir uns den Anfängen nähern, immer mehr
abnimmt, auf einen Halskragen, dann auf die bekannten Hals- und Rand-
ketten zusammenschrumpft, bis endlich die große Mehrzahl der frühen Muschel-
haufen- und Pfahlbautengefäße überhaupt keine Verzierung mehr tragen.
Diese Erscheinung, die vollkommen mit unserer Erklärung für das Ornament
und sein erstes Ansetzen an den tektonisch wichtigsten Stellen überein stimmt,
widerspricht direkt der textilen Erklärung: die Ähnlichkeit mit Korbge-
flechten ist gerade in der ersten Entwicklung des geometrischen
Ornaments am geringsten. Und ich möchte darauf hinweisen, daß diese
evidente Unabhängigkeit der frühesten Keramik von der Flechttechnik keines-
wegs ein ausschließliches Merkmal der nord- und mitteleuropäischen Neolithik
ist. Die gleiche Erscheinung ist an den verschiedensten Stellen im Süden zu be-
obachten : in Spanien, auf Kreta, Zypern, in Palästina ist die älteste Keramik
ornamentlos, erst später setzt das geradlinige Ornament ein3.
1. Es ist nicht möglich, die vielen Vertreter der textilen Theorie einzeln namhaft zu
machen. Als überzeugteste Vertreter seien hier nur Carl Schuchhardt 1. c. und
Holwerda, Die Niederlande in der Vorgeschichte Europas, 1915, genannt.
2. A. Cohausen, Die Altertümer im Rheinland S. 6; Hopf im Korrespondenzblatt
der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie. 1904, S. 54.
3. Für Spanien vgl. Cartailhac, Ages pröhistoriques de l’Espagne et du Portugal. Ein
bei Cartailhac abgebildeter Korb zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Tongefäß
Abb. 10, das aber nur am Rande verziert ist; die iberische Muschelhaufenkeramik
 
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