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Hausmann, Raoul; Große Berliner Kunstausstellung <1921, Berlin>
Führer durch die Abteilung der Novembergruppe: Kunstausstellung Berlin 1921 — Berlin: Otto Elsner, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.47093#0018
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ohne sie zu bewerfen nach einer Rangordnung, die es vor Gott
nicht gibt — vor Gott ist alles gleich. Der Künstler setzt die
farbigen Ausstrahlungen bis auf den Bildrahmen fort, um damit
anzudeuten, daß er nicht beim Bildrande ein Ende des Gestaltens
erreicht hat, gewissermaßen, wie man ein Bild, das vom Rahmen
umschlossen wird, mit einem zentralistischen Staat vergleichen
kann, so könnte man diese Werke als künstlerische Darstellungen,
ähnlich einem Staate ohne Grenzen, ohne zusammenziehende
Gewalten betrachten. Wir sehen ferner die dramatische Dynamik
der Katastrophe: aus einer dunklen Zusanjmenballung zucken
Blitze, das ganze Bild ist vom Rhythmus des Gefahrvollen, des
Konvulsivischen durchschüttert. In der Aquarellfolge Passion
schreitet schmerzvolles Erleben einer dunkelgrünlichen und
violetten Welt der Auflösung im orangenen Aufleuchten zu.
An der Querwand dieses Saales sehen wir zwei Gemälde, Bild 1
und Bild 2, auf denen Menschen wie geistbeseelte Quadern sich
auftürmen vor dem großen Bogen des blauen Weltenraumes, In
der Mitte der Wand aber strahlt uns die Gewißheit der kos-
mischen. Landschaft entgegen, der erste Ausdruck einer neuen
Sprache, eine gleichnishafte Anschauung von den dynamischen
Spannungen des Universums. In den graphischen Blättern dieses
Künstlers spricht sich ein ganz reiner und starker Geist aus, der
die Zeichen dieser Zeit umformt in Wesenheiten, die ihren Ur-
grund in sich selbst gefunden haben. Davor steht auf einem
Sockel der „Kopf“ des gleichen Künstlers, ein starkes Werk,
An der dritten und vierten Wand aber sehen wir „Suleika“ und
„Alma“, wie Plakate aus Wanderzirkussen. In den alltäglichen
Formen der Postkarte oder Dilettantenmalerei läßt der Maler
hier satirisch unsere Zeit sich durch sich selbst ausdrücken —
so seid ihr, sagt er uns, so banal, so kitschig und dabei doch so
romantisch. Verwandt sind diesen Bildern die „Industriebauern“,
nur ganz ins dumpf Tierische, ins Privatkapitalistisch-Bestialische
gesteigert. Diese Art der Gegenständlichkeit läßt aus ihrer
Tendenzhaftigkeit den Wunsch des Künstlers nach ihrer Ueber-
windung ahnen.
Saal 29
enthält hauptsächlich Graphik und merkwürdige Gestaltungen
eines Magdeburger Künstlers, in denen eine aufrichtige Kind-
haffigkeit liegt, die fern der unechten Primitivität oder der er-
borgten Negerkunst sich ihre Gestaltwelt aufbaut. Ferner drei
Landschaften von einem den alten Meistern verwandten Grund-
gefühl, aber ganz selbständig und sicher. Eine Plastik „Mutter
und Kind“ gibt sehr schön das Schützende in der Bewegung der
Form.

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