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vermindert, die gegenüber dem Geist vermehrt. Um dies
recht zu erkennen, braucht man nur daran zu denken, wie
anders seit etwa hundert Jahren das Orchesterspiel geworden ist.
Früher traute man dem musikalischen Kunstwerk allein die
ganze Wirkung zu; man spielte es ganz schlicht ab, mit den
allernotwendigsten Nüancierungen. Heute huldigt man dem
entgegengesetzten Extrem, heute möchte womöglich jeder
Orchesterdirigent sein besonderes Gewürz hinzuthun, seine
besondere Auffassung der staunenden Welt offenbaren, und
dies Übermass an persönlichem Bethätigungsdrang beim Nach-
schaffen führt nicht gerade selten zu einer Entstellung des
ursprünglichen Sinnes.
Was der Tondichter aufzeichnet, ist eben vieldeutig, selbst
elementarische Dinge, die der geniessende Laie als selbstver-
ständlich hinnimmt, vermag er nur anzudeuten. Das Tempo
zum Beispiel. Man könnte es metronomisch festlegen, und es
ist auch versucht worden, dies zu thun; aber man giebt damit
ein Totes statt eines Lebendigen, denn gerade die fortwährenden,
äusserst kleinen Abweichungen vom metronomischen Grund-
mass bedingen das musikalische Tempo. Die allgemeine
Schnelligkeit eines Stückes resultiert aus der Art seiner Melodik;
aber Schumann bemerkt sehr fein: „Für mich entscheidet das
innere Mass der Bewegung allein. So klingt das schnellere
Allegro eines Kalten immer träger als das langsame eines
Sanguinischen.“
Wie das Tempo, so lässt sich auch die Schattierung des
Vortrags nur andeuten. Selbst die ausführlichstenNüancierungs-
angaben umfassen nur einen kleinen Teil dessen, was ein fein-
fühliger Sänger oder Spieler wirklich macht, nicht aus Über-
legung, sondern aus einem inneren Zwang heraus. Überall
vermindert, die gegenüber dem Geist vermehrt. Um dies
recht zu erkennen, braucht man nur daran zu denken, wie
anders seit etwa hundert Jahren das Orchesterspiel geworden ist.
Früher traute man dem musikalischen Kunstwerk allein die
ganze Wirkung zu; man spielte es ganz schlicht ab, mit den
allernotwendigsten Nüancierungen. Heute huldigt man dem
entgegengesetzten Extrem, heute möchte womöglich jeder
Orchesterdirigent sein besonderes Gewürz hinzuthun, seine
besondere Auffassung der staunenden Welt offenbaren, und
dies Übermass an persönlichem Bethätigungsdrang beim Nach-
schaffen führt nicht gerade selten zu einer Entstellung des
ursprünglichen Sinnes.
Was der Tondichter aufzeichnet, ist eben vieldeutig, selbst
elementarische Dinge, die der geniessende Laie als selbstver-
ständlich hinnimmt, vermag er nur anzudeuten. Das Tempo
zum Beispiel. Man könnte es metronomisch festlegen, und es
ist auch versucht worden, dies zu thun; aber man giebt damit
ein Totes statt eines Lebendigen, denn gerade die fortwährenden,
äusserst kleinen Abweichungen vom metronomischen Grund-
mass bedingen das musikalische Tempo. Die allgemeine
Schnelligkeit eines Stückes resultiert aus der Art seiner Melodik;
aber Schumann bemerkt sehr fein: „Für mich entscheidet das
innere Mass der Bewegung allein. So klingt das schnellere
Allegro eines Kalten immer träger als das langsame eines
Sanguinischen.“
Wie das Tempo, so lässt sich auch die Schattierung des
Vortrags nur andeuten. Selbst die ausführlichstenNüancierungs-
angaben umfassen nur einen kleinen Teil dessen, was ein fein-
fühliger Sänger oder Spieler wirklich macht, nicht aus Über-
legung, sondern aus einem inneren Zwang heraus. Überall