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muss die lebendige Empfindung des nachschaffenden Künstlers
mit eigenen Gaben hinzutreten.
Jedes Musikstück ist also ein immer aufs neue zu lösendes
Problem, und diese Lösung kann immer nur individuell
erfolgen. Daraus ergiebt sich, dass der Vortrag seinem
innersten Wesen nach weder lehr- noch lernbar ist. Man kann
den Vortrag eines Meisters nachahmen, aber das geschulte
Ohr wird bald Kopie und Original unterscheiden. Nur die
aus dem Boden der eigenen Persönlichkeit herausgewachsene,
mit persönlichem Fühlen durchtränkte Wiedergabe eines Stückes
wird eine eigentlich künstlerische Wirkung ausüben.
Wie nun dies Ergiessen des eigenen Lebens in ein
fremdes Kunstgebilde sich vollzieht, das vermögen wir kaum
zu ahnen. Uber gewisse äussere Bedingungen, über die
Schale des Vortragskerns geht unsere Erkenntnis nicht hinaus.
Vorausgesetzt wird immer die Reinheit des Materials und
der Mittel, das heisst in diesem Fall die vollkommene Aus-
bildung der Sing- und Spieltechnik, damit die Freiheit des
Ausdrucks nicht durch technische Hindernisse Schaden leide.
Vorausgesetzt wird auch, dass der Reproduzierende mit dem
Bau des Vortragsstückes genau vertraut sei, dass er den
Zusammenhang der einzelnen Teile unter sich und ihr Ver-
hältnis zum Ganzen erkannt habe, kurz, dass er wisse, was
der Komponist hat sagen wollen. Aber wer jemals solche
verstandesmässig zergliedernde Thätigkeit vorgenommen hat,
der wird auch erkannt haben, wie Gedankenarbeit und Analyse
das Wesen des Kunstwerks nicht einmal von ferne erreichen,
und ebenso, wie das Durchschauen der Struktur den künst-
lerischen Genuss keinesfalls erhöht. So wenig der Botaniker
die Schönheit einer Blume, der Anatom die Schönheit eines
muss die lebendige Empfindung des nachschaffenden Künstlers
mit eigenen Gaben hinzutreten.
Jedes Musikstück ist also ein immer aufs neue zu lösendes
Problem, und diese Lösung kann immer nur individuell
erfolgen. Daraus ergiebt sich, dass der Vortrag seinem
innersten Wesen nach weder lehr- noch lernbar ist. Man kann
den Vortrag eines Meisters nachahmen, aber das geschulte
Ohr wird bald Kopie und Original unterscheiden. Nur die
aus dem Boden der eigenen Persönlichkeit herausgewachsene,
mit persönlichem Fühlen durchtränkte Wiedergabe eines Stückes
wird eine eigentlich künstlerische Wirkung ausüben.
Wie nun dies Ergiessen des eigenen Lebens in ein
fremdes Kunstgebilde sich vollzieht, das vermögen wir kaum
zu ahnen. Uber gewisse äussere Bedingungen, über die
Schale des Vortragskerns geht unsere Erkenntnis nicht hinaus.
Vorausgesetzt wird immer die Reinheit des Materials und
der Mittel, das heisst in diesem Fall die vollkommene Aus-
bildung der Sing- und Spieltechnik, damit die Freiheit des
Ausdrucks nicht durch technische Hindernisse Schaden leide.
Vorausgesetzt wird auch, dass der Reproduzierende mit dem
Bau des Vortragsstückes genau vertraut sei, dass er den
Zusammenhang der einzelnen Teile unter sich und ihr Ver-
hältnis zum Ganzen erkannt habe, kurz, dass er wisse, was
der Komponist hat sagen wollen. Aber wer jemals solche
verstandesmässig zergliedernde Thätigkeit vorgenommen hat,
der wird auch erkannt haben, wie Gedankenarbeit und Analyse
das Wesen des Kunstwerks nicht einmal von ferne erreichen,
und ebenso, wie das Durchschauen der Struktur den künst-
lerischen Genuss keinesfalls erhöht. So wenig der Botaniker
die Schönheit einer Blume, der Anatom die Schönheit eines