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Krebs, Carl; Königliche Akademie der Künste zu Berlin [Contr.]
Mozart: Rede zur Feier des allerhöchsten Geburtstages Seiner Majestät des Kaiser und Königs am 27. Januar 1906 in der öffentlichen Sitzung der Königlichen Akademie der Künste — Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.70863#0006
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der Zeitferne? Ist Mozart zu einem blofsen Symbol entrückt
oder lebt er noch in uns und mit uns? An einem Gedenktag
dürfen wir diese Fragen wohl aufwerfen und versuchen,
darüber Klarheit zu gewinnen, was Mozart uns bedeutet und
was er seinerzeit war, das heifst, welche Stellung er in der
Entwicklung der Tonkunst überhaupt einnimmt.
Entwicklung, sagte ich. Aber das Wort »Entwicklung«,
das wir gewöhnt sind für den Verlauf von Kunsterscheinungen
anzuwenden, ist insofern nicht glücklich gewählt, als es uns
dieVorstellung von etwas gewissermafsen imSchofs desSchicksals
fertig Gebildetem gibt, das nun durch die Jahrhunderte wie
eine Rolle Band abgewickelt und verbraucht wird. Dies kann
natürlich nicht gemeint sein, denn die Kunstentwicklung ist
nichts Notwendiges, sondern etwas Zuiälliges; sie wird
bestimmt durch die Willkür des Genies, wenn wir Willkür
in seiner ursprünglichen Bedeutung nehmen: der Wille des
Genies kürt aus der Unendlichkeit der Erscheinungen und
der Phantasiewelt das, was seinem künstlerischen Wesen
adäquat ist, und macht das Erkorene dadurch der Menschheit
fafslich, dafs es ihm Gestalt und Form gibt. Die Kunst-
bestrebungen einer Zeit sind wie ein Strom, der die schwächeren
Kräfte, die Talente und kleinen Begabungen mit sich zieht;
das Genie aber durchquert ihn mit kräftigen Armen, erreicht
den Landungsplatz seiner eigenen Wahl und baut sich dort
Hütten.
So sehen wir Mozart anfangs gelassen mit der Schar
seiner musikalischen Zeitgenossen ziehen, wenig bekümmert
um das Ziel, das etwa zu erreichen sei. Doch schon in jungen
Jahren wachsen ihm gewaltig die Kräfte, und immer mehr
drängt er heraus aus der grofsen Masse, nicht, um sich ab-
zusondern, als vielmehr, weil er Ideale sah, die abseits von
jenem allgemeinen Zuge lagen und denen er nur auf eigenen
 
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