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Amersdorffer, Alexander; Königliche Akademie der Künste zu Berlin [Contr.]
Vom Wesen der Kunst unserer Zeit: Rede zur Feier des allerhöchsten Geburtstages seiner Majestät des Kaisers und Königs am 27. Januar 1913 in der öffentlichen Sitzung der Königlichen Akademie der Künste — Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.70871#0009
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5 —

fehlt. Das ist ja gerade das Wesentliche alles genialen
Schaffens. Aber auch das Genie entwickelt wohl eben doch
nur Keime, die in seiner Zeit bereits vorhanden, den übrigen
Sterblichen aber noch unfaßlich und unverständlich sind, und
auch das Genie hängt so schließlich mit der eigenen Zeit,
für die es neue Werte schafft, ziemlich eng zusammen.
Der Reiz, die eigene Zeit mit den Epochen der Ver-
gangenheit zu vergleichen, ist groß, es ist aber stets ein etwas
gewagtes Unterfangen, sich in frühere Zeiten hineindenken
und einfühlen zu wollen. Die meisten Menschen sind geneigt,
die Zeiten der Vergangenheit und ihre Annehmlichkeiten zu
überschätzen. Das Richtige wird sein, daß jede Zeit in ihrem
Sinne und in ihrer Art ihre Vorzüge gehabt hat.
Die Signatur unseres ganzen modernen Lebens ist die
Eile, die Rastlosigkeit. Die Zeit ist wertvoller denn je ge-
worden und will im Fluge ausgenützt sein. Beschaulichkeit
und Ruhe sind aus dem Leben des modernen Berufsmenschen
entschwunden und Unrast bedeutet unser ganzer Tageslauf.
Unser öffentliches Leben, unser Verkehrsleben scheint sich
immer noch mehr und mehr auf Schnelligkeit und Hast ein-
stellen zu wollen.
Aber auch unserem Innenleben fehlt die Ausgeglichen-
heit und Vollkommenheit. Schon Goethe, der doch einer
der letzten großen universellen Geister war, hat darüber ge-
klagt, daß es nicht mehr möglich sei, alles Wissenswerte seiner
Zeit in sich aufzunehmen. Und doch' scheint uns modernen
Menschen die Zeit Goethes im Vergleich zur unserigen eine
relativ einfache, in ihrer ganzen Kultur geschlossene und un-
komplizierte. Wie haben sich die Zeiten seitdem gewandelt,
welch’ ungeheuren Aufschwung aller Wissenschaften, aller
Technik, welch’ riesigen Fortschritt des Weltverkehrs hat uns
das 19. und das beginnende 20. Jahrhundert gebracht!
Dem modernen Kulturmenschen ist es nicht halbwegs
mehr möglich, auch nur die Hauptergebnisse alles Forschens,
 
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