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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0086
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i

besteht dasselbe jetzt noch äus z'wei rechtwinklig zu einander
gestellten Flügeln, welche zwar in verschiedener Zeit erbaut sind,
aber beide der zweiten Hälfte des XV. Jahrh. angehö'ren. Der
gröfsere von Osten nach Westen gerichtete zweigescliossige Flü-
gel ist in seiner äufseren Erscheinung eine mit einigen Variatiö-
nen und in derberen Kunstformen erbaute Kopie der Er.ohn-
leichnamskapelle an der St. Katharinen-Kirche zu Brandenburg.
Diese ■ Annahme gründet sich besonders auf die Gesammtgestal-
tung und Det’ailgliederung der dreitheiligen Oslfayade, welche
mit achteckigen Strebepfeilern besetzt, dieselbe Struktur der hiit
ßosettenmaafswerk durehbrochenen Giebel zeigt-, wie jene Ka-
pelle. Die einzige erhebhche Abweichung, welche sichtbar i,st,
besteht in der Anordnung gepaarter Spitzbogenfenster in beiden
Geschossen, welche stets von einer gröfseren Spitzbogenblende
gemeinschaftlich umrahmt werden. Auch das Innere der beiden
gewölbten Säle dieses Fiügels, deren aüf dicken Birnenrippen
ruhende Sterngewölbe von achteckigen Mittelpfeilern getragen
werden, zeigt die grofste Verwandtschaft mit dem Pfeilersystem
von St. Katharina. Die Pfeiler sind hier wie .dort an den Ecken
mit Rundstäben besetzt und mit selir ähnhchen Basen und Käm-
pfern in gehäuften und unschön profilirten Formen ausgestättet.
Dabei fehlt es dem Rathhause an der Eleganz der äufseren Pro-
file, an dem Reichthume der Rosettenbildung und auch an der
trefflichen Technik, welche St. Katharina auszeichnen. Da über-
dies an den Formsteinen des in ßede stehenden Bautheiles Zie-
gelstempel auftreten, deren einen der Holzschnitt dar-
stellt, so wird auch hierdurch die Annahme, dafs dieser
Flügel nach 1440 erbaut worden ist, überzeugend bestä-
tigt. Mit Rücksicht auf die am Chorbau von St. Stephan er-
wiesene Thatsache, dafs Meister Berthold Schulte seine Bauaus-
führung wesentlich an Vorbilder der Stadt Brandenburg ange-
schlossen hat, ist sogar die Annahme zulässig, dafs auch dieser
Rathhausflügel von ihm herrührt und dann als ein Vorläufei'
des Chorbaues von St. Stephan, wahrscheinlich ca. 1460—1465
ausgeführt worden ist *).

Der von Süden nach Norden gerichtete Flügel ist unten
mittelst vier breit gespannter Spitzbogen als Gerichtslaube (lo-
bium) geöffnet und besitzt im obern Stockwerke einen langen,
mit zwei Sterngewölben bedeckten Raum, dessen Rippen auf tau-
förmigen Diensten mit Maskenkapitellen ruhen. Obschon der
kleine Bau in guter und solider Technik ausgefiihrt ist, so ent-
behrt er doch jeder originellen Gestaltung. Die Strebepfeiler
sind lissenenartig mit schwachem Vorsprunge gebildet, die flach-
bogigen breiten Fenster von Spitzbogenblenden umrahmt und
der an der Südseite belegene Stufengiebel ebenfalls mit tauför-
migen, auf Mäsken beginnenden Diensten geschmückt, kurz, es
sind alle Kennzeichen einer Bauausführung vom Ende des XV.
Jahrli. vorlianden. Diese Annahme wird ebenso sehr durch den
Mangel an Ziegelstempeln wxe durch die stark hei'vortretende
Verwandtschaft mit dem Nordkreuzgiebel von St. Stephan und
dem Westgiebel von St. Elisabeth zweifellos unterstützt. Beson-
ders charakteristisch ist die völlig übereinstimmende Bildung' und
Vei'wendung vei’zen'ter Masken an den genannten Bautheilen,
welche auch in der Frohnleichnamskapelle von St. Stephan und
am Klostergebäude vom Allei’heiligen Kloster erscheinen. Aus
allen diesen Griinden folgt mit Sichex’heit, dafs dieser Süd-Xord-
flOgel ca. 1490 ei’baut worden ist.

Die Xordfapade, welche durch Brände schwer beschädigt
und durch Anbauten entstellt war, ist durch die oben erwähnte
Restaui’ation nxit einer massiven Bogenhalle, in der- die Haupt-
treppe emporsteig’t und einem damit vei’bundenen achteckigen
Treppenthürmchen — beide in modei’n gothischen Formen er-

’) Hervorznheben-ist die Thatsache, dafs die an den obeven Theilen dieäes Ratbhaus-
fliigels vorkommenden Ziegelstempel mit denen vom Lettner nnd Refcktorium des Domes zu
Stcndal (s. Stempel b S. 59) genau übereinstimmen, so dafs auch hierdurch die Gleichzei-
tigkeit dor Bauausführungen um 1460 erwiesen wird.

1-ichtet — ausgestattet und dadurch wesentlich verbessert wor-
den ’).

Das Rathhaus bewahi’t ein oblonges Messingreliquiar, wel-
ches mit Bogennischen, fialengekrönten Strebepfeilei’n und zwöff
Apostelfiguren sehr reich geKschmückt ist, und zur Ablegung voo
Eid-en bei dem Gerichtsverfahren des Mittelalters gedient hat.

X. Bnrg Tangermünde.

Die Burg Tangermünde, welche schon am Anfange des XI-
Jahrh. genannt- wird, bildete anderthalb Jahx-hunderte lang ein e
der äufsersten und wichtigsten Grenzfesten des deutschen Rex-
ches gegen die Wendenländex’. Xach völliger Gei’manisirung die-
ser Gebiete wurde sie von den anhaltinischen Max’kgrafen bis
zu ilirem Ausstei’ben als Absteigeqxxartier häufig benutzt. AD
die Mark Brandenbui’g aber von den baierschen Fürsten an daS
luxemburgische Haus gekommen war, erkor sich Kaiser Karl D •
die Burg' zum Lieblings-Wohnsitze und gestaltete dieselbe durch
einen grofsartigen Umbau zu einem festen Residenzschlosse. Spä-
ter residirten die beiden ersten Kurfürsten aus dem Hause Ho-
henzollern auf dem Schlosse und erweitei’ten dasselbe durch
mehrfachc An- wie Umbauten. Von der äufsern Erscheinung
dieser geräumigen, liart an dem hohen Elbufer belegenen Schlofs-
anlage giebt der Stadtprospekt in Merians Topogx’aphie S. H
eine annähernde Vorstellung. Leider ging ein grofser Theil des
Schlosses, darunter die auf das prachtvollste geschmiickte Schlofs-
kapelle St. Johannes, bei einer Bescliiefsung durch die Schwe-
den im J. 1640 zxx Grunde. Sechzig Jahre spätex-, von 1699 his
1700 wurde äuf Befehl des letzten Kurfürsten Fi’iedi'ich III. ein
neues Jagdhaus (das jetzige Amtsgebäude) in einfachen Renais-
sanceformen eri’ichtet.

Aus den ältesten Zeiten hat sich nichts, aus Karl’s IV. Zext
mit Ausnahme der riesigen 60 Fufs hohen Futtermauer arn EID
ufer nur der mächtige, sogenannte Kapitelsthurm, welcher als
Bergfried des Schlosses diente, erlialten. Dieser Thurm, 3R .
Fufs lang und 21| Fufs tief, seiner oberen, mit vier gegiebelten
Ei’kei’n geschmückten Spit.ze längst beraubt, steigt mit gebösch-
ten Mauexm bis zu einer Höhe von 70 Fufs einfach und schmuck'
los empor 2) und dient jetzt als Speichei’.

Ein auf dem Schlofshofe stehendes, zweigeschossiges Gß'
bäude gieht sich in seinen Kunstformen, — gepaai-ten, von ein 01’
spitzbogigen Blendnische umrahmten unteren Fenstei’n und flach'
bogigen Obei’fenstei’n als einen Bau aus der zweiten IJälfte de s
XV. Jahrh. zu erkennen, welchen die vorkommenden Ziegelsteiü'
pel auf ca. 1460 datiren lassen.

Xoch etwas später, um 1480, ist der das Aufsentbor d el’
Bui’g seitwäi’ts deckende, mit Wappenblenden und glasirten Zick'
zackstreifen verzierte 60 Fufs hohe Rundthurm, der die gröfs' ,e
Verwandtschaft mit dem Steinthorthui’me in Bx-andenburg zeig’k
aber seines Zinnenkranzes beraubt ist, - erbaut worden 3).

C. Die Stadt Werben.

Die Bui’gWerben erscheint wie Tangermünde zuerst in d el
Geschichte mit dem Anfange des XI. Jahrh. als eine feste GreiV'
bui’g des deutschen Reiches gegen die heidnischen WendenD 11'
der. Welche Geltung und Bedeutung diese in günstiger Lag e

’) Abgebildet in Förster’s Banzeit. a. a. O. BI. 324. Diese Nordfa^ade hat Lü' ,1' C
in seiner Architekturgeschichte (I. Aufl. S. 339) als ein hervorragendes Beispiel unter < lcI^
Profanbauten des Backsteinbaues angeführt und abgebildet. Offenbar hat der Vei'ft sseI
sich so sehr auf sein kritisch geübtes Auge verlassen, dafs er es nicht fiir nöthig erad ltet
hat, den Text von Deutsehmann zu lesen, aus welchem er ersehen konnte, dafs d' csC
ganze Fa^ade nach einem Entwurfe des Herrn Geh. Rath Stüler ausgeführt w'orden ‘ s ’

2) Sehr ähnlich dem Kapitelsthurme in Maafsen und Formen ist der Bergfried tlc®
Sohlosses zu Wittstock, welchen Bischof Johannes Wepelitz von Havelberg 1396 —■13* 1
erbauen liefs.

3) Vergl, die Abbild. in Straek a. a. O. Bl. 17.
 
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