ra
Mehrzweckgebäude
215
deren ursprüngliche Nutzung als Schafstall
wahrscheinlich ist.
Besonders in den Dörfern der westlichen
Teile des Landkreises Rotenburg stehen noch
mehrere solcher langgestreckter Vielzweck-
gebäude. Auf den großen Höfen scheint es
vorgekommen zu sein, daß eine alte Scheune
durch spätere Anbauten entsprechend umge-
wandelt wurde.
Ein sehr großes, schon ganz einheitlich -
wenn auch mit viel Altholz - abgezimmertes
Nebengebäude mit dem Baujahr 1806 stand
in Tarmstedt und ist im Bremer Focke-
museum wiedererrichtet worden. Auch dort
finden wir die Aneinanderreihung unter-
schiedlicher Funktionsräume vor, wobei
deren ursprüngliche Nutzung nach der Um-
setzung nicht mehr ganz eindeutig zu er-
schließen ist. Wahrscheinlich hat auch dieses
Mehrzweckgebäude an der einen Giebelseite
Speicherräume, am anderen Ende Schweine-
oder Kleinviehställe besessen, jeweils von
recht beachtlichen Dimensionen. Der Mittel-
teil wird von einer Scheunendurchfahrt mit
einseitiger Banse eingenommen und ferner
von einem Raumteil, dessen ehemalige Schaf-
stallfunktion wiederum wahrscheinlich ist.
Ähnliche Befunde konnten wir auch an einem
noch älteren Fachwerkgebäude von 27 m
Länge auf einem Hof im Ortskern von Wil-
stedt erheben. Die eingehälsten Ankerbalken
weisen mächtige Dimensionen auf; nach
Gefügespuren (Balkenverkämmung, breite
Kopfbänder) müssen sie aus einem ehemali-
gen, sicher sehr alten Zweiständerhaus stam-
men. Das jetzige Nebengebäude selbst wurde
im Jahre 1756 errichtet, wie eine eingeschnit-
tene Inschrift an einem Torholm aussagt. Da-
bei sind auch die Namen der Eheleute ge-
nannt: Harm und Jebcke Otten, die nach Kir-
chenbuchaufzeichnungen in jenem Jahre ge-
heiratet hatten. War das stattliche Neben-
gebäude vielleicht eine Mitgift? Jedenfalls
weist es einen Speicherteil auf, dessen Drem-
pelbauweise und Giebelgestaltung für die
dortige Region als ungewöhnlich bezeichnet
werden muß, vielmehr in die Heideregion zu
weisen scheint (Abb. 159a). Dieser Eindruck
wird durch die (allerdings in Wirklichkeit
junge) Bohlenausfachung des Speicherstock-
werkes noch verstärkt.
Abb. 159a: Wilstedt, Lkrs. Rotenburg/W, querer-
schlossenes Kombinationsgebäude inschr. dat. 1756,
Ansicht des hofseitigen Speicherteils, sekundäre
Bohlenfüllung der oberen Gefache
Auch sonst läßt das Fachwerk einige Be-
sonderheiten erkennen. Im Gegensatz zu
der Ab-zimmerung der inneren Querwände
(Tafel 51), die mit ihren Fußstreben und
Kopfbändern als zeittypisch angesehen wer-
den kann, weisen die Außenwände eine un-
gewöhnliche Gestaltung auf, indem wand-
hohe Streben in einer seltsam unentschie-
denen Weise halb an die Ständer, halb an das
Rähm geführt wurden. Wollte der Bauherr
vielleicht ein besonders „modernes“ Fach-
werk haben, und konnte der dörfliche Zim-
mermann mit der neuen Technik noch nicht
recht umgehen?
Trotz der genannten Ungereimtheiten steht
fest, daß dieses Mehrzweckgebäude in
Wilstedt in einem Zuge erbaut worden ist. Es
stellt wohl das älteste Beispiel dieser Art dar.
Die Analyse der ursprünglichen Funktion der
einzelnen Abschnitte ist zwar dadurch erheb-
lich erschwert, daß die gesamte Fläche heute
als Jungviehstall benutzt wird und entspre-
chend ausgeräumt worden ist; doch sind die
Querwände teils noch erhalten, teils durch
Gefügespuren sicher zu rekonstruieren. Der
bereits erwähnte große Speicherteil mit zwei
unteren Räumen und einem oberen Schütt-
boden liegt neben dem Bauernhaus. Es folgt
ein typischer Scheunenteil mit einer queren,
ursprünglich nicht mit Toren versehenen
Durchfahrt und mit beiderseitigen Bansen-
räumen, von denen einer eine zusätzliche
innere Treppe zum Speicher aufwies. Eine
weitere offene Durchfahrt hat nur auf einer
Seite einen (dritten) Bansenraum besessen.
Mehrzweckgebäude
215
deren ursprüngliche Nutzung als Schafstall
wahrscheinlich ist.
Besonders in den Dörfern der westlichen
Teile des Landkreises Rotenburg stehen noch
mehrere solcher langgestreckter Vielzweck-
gebäude. Auf den großen Höfen scheint es
vorgekommen zu sein, daß eine alte Scheune
durch spätere Anbauten entsprechend umge-
wandelt wurde.
Ein sehr großes, schon ganz einheitlich -
wenn auch mit viel Altholz - abgezimmertes
Nebengebäude mit dem Baujahr 1806 stand
in Tarmstedt und ist im Bremer Focke-
museum wiedererrichtet worden. Auch dort
finden wir die Aneinanderreihung unter-
schiedlicher Funktionsräume vor, wobei
deren ursprüngliche Nutzung nach der Um-
setzung nicht mehr ganz eindeutig zu er-
schließen ist. Wahrscheinlich hat auch dieses
Mehrzweckgebäude an der einen Giebelseite
Speicherräume, am anderen Ende Schweine-
oder Kleinviehställe besessen, jeweils von
recht beachtlichen Dimensionen. Der Mittel-
teil wird von einer Scheunendurchfahrt mit
einseitiger Banse eingenommen und ferner
von einem Raumteil, dessen ehemalige Schaf-
stallfunktion wiederum wahrscheinlich ist.
Ähnliche Befunde konnten wir auch an einem
noch älteren Fachwerkgebäude von 27 m
Länge auf einem Hof im Ortskern von Wil-
stedt erheben. Die eingehälsten Ankerbalken
weisen mächtige Dimensionen auf; nach
Gefügespuren (Balkenverkämmung, breite
Kopfbänder) müssen sie aus einem ehemali-
gen, sicher sehr alten Zweiständerhaus stam-
men. Das jetzige Nebengebäude selbst wurde
im Jahre 1756 errichtet, wie eine eingeschnit-
tene Inschrift an einem Torholm aussagt. Da-
bei sind auch die Namen der Eheleute ge-
nannt: Harm und Jebcke Otten, die nach Kir-
chenbuchaufzeichnungen in jenem Jahre ge-
heiratet hatten. War das stattliche Neben-
gebäude vielleicht eine Mitgift? Jedenfalls
weist es einen Speicherteil auf, dessen Drem-
pelbauweise und Giebelgestaltung für die
dortige Region als ungewöhnlich bezeichnet
werden muß, vielmehr in die Heideregion zu
weisen scheint (Abb. 159a). Dieser Eindruck
wird durch die (allerdings in Wirklichkeit
junge) Bohlenausfachung des Speicherstock-
werkes noch verstärkt.
Abb. 159a: Wilstedt, Lkrs. Rotenburg/W, querer-
schlossenes Kombinationsgebäude inschr. dat. 1756,
Ansicht des hofseitigen Speicherteils, sekundäre
Bohlenfüllung der oberen Gefache
Auch sonst läßt das Fachwerk einige Be-
sonderheiten erkennen. Im Gegensatz zu
der Ab-zimmerung der inneren Querwände
(Tafel 51), die mit ihren Fußstreben und
Kopfbändern als zeittypisch angesehen wer-
den kann, weisen die Außenwände eine un-
gewöhnliche Gestaltung auf, indem wand-
hohe Streben in einer seltsam unentschie-
denen Weise halb an die Ständer, halb an das
Rähm geführt wurden. Wollte der Bauherr
vielleicht ein besonders „modernes“ Fach-
werk haben, und konnte der dörfliche Zim-
mermann mit der neuen Technik noch nicht
recht umgehen?
Trotz der genannten Ungereimtheiten steht
fest, daß dieses Mehrzweckgebäude in
Wilstedt in einem Zuge erbaut worden ist. Es
stellt wohl das älteste Beispiel dieser Art dar.
Die Analyse der ursprünglichen Funktion der
einzelnen Abschnitte ist zwar dadurch erheb-
lich erschwert, daß die gesamte Fläche heute
als Jungviehstall benutzt wird und entspre-
chend ausgeräumt worden ist; doch sind die
Querwände teils noch erhalten, teils durch
Gefügespuren sicher zu rekonstruieren. Der
bereits erwähnte große Speicherteil mit zwei
unteren Räumen und einem oberen Schütt-
boden liegt neben dem Bauernhaus. Es folgt
ein typischer Scheunenteil mit einer queren,
ursprünglich nicht mit Toren versehenen
Durchfahrt und mit beiderseitigen Bansen-
räumen, von denen einer eine zusätzliche
innere Treppe zum Speicher aufwies. Eine
weitere offene Durchfahrt hat nur auf einer
Seite einen (dritten) Bansenraum besessen.