Mensch und Umwelt
Nahrung und Subsistenz der Goslarer Hüttenleute anhand
anthropologischer Untersuchungen
Holger Schutkowski / Alexander Fabig / Bernd Herrmann
Skelette als Quelle historischer
Ernährungsbedingungen
Die Frage nach Ernährungsweisen in menschlichen Gemeinschaf-
ten berührt gleichermaßen die Ernährungsgrundlage, das heißt die
hauptsächlichen Anteile der täglichen Nahrung, und die Möglich-
keiten ihrer Herstellung, ihre Verfügbarkeit und Bedeutung. Biolo-
gische und kulturelle Aspekte der Nahrungsproduktion sind also
untrennbar miteinander verbunden. Daher ist nicht nur die
Ernährung das eigentliche Erkenntnisziel, sondern gleichzeitig ihr
jeweiliger naturräumlicher und gesellschaftlicher Rahmen, das
heißt die Ernährungsbedingungen einer Bevölkerung, ihre Subsis-
tenz. Im Gegensatz zu heute lebenden Bevölkerungen, deren
Ernährungsbedingungen über eine Vielzahl von wirtschaftlichen,
agronomischen und ernährungswissenschaftlichen Daten abge-
fragt werden können, ist für alle historischen Zeiträume nur eine
Rekonstruktion der Subsistenz möglich.
Für historische Zeitabschnitte ist man, sofern nicht ausführ-
liche schriftliche Quellen vorliegen, überwiegend auf naturwissen-
schaftliche Methoden für eine Analyse unterschiedlicher Materiali-
en angewiesen (Übersicht in Herrmann 1994. Vgl. auch Pernicka/
Wagner 1991). Verbreitet sind Untersuchungen an pflanzlichen
Makroresten (zum Beispiel van Zeist et al. 1991. Willerding /
Hillebrecht 1994), wie sie auch in diesem Beitrag vorgestellt
werden. Daneben liefert die Analyse von Tierknochen (zum Bei-
spiel Davis 1987. Benecke 1994) wichtige Hinweise auf Schlacht-
vieh, Haustiere und deren Haltung. Derartige Untersuchungen
stellen qualitative Grundlagen für eine Rekonstruktion der
Ernährungsbedingungen bereit. An menschlichen Knochenfunden
lassen sich gelegentlich Anzeichen von ernährungsbedingten
Mangelkrankheiten erkennen, die zum Beispiel auf saisonale oder
chronische Schwierigkeiten in der Nahrungsversorgung hinweisen
(zum Beispiel Schultz 1988. Aufderheide/ Rodriguez-Martin
1998). Hiermit wird jedoch nur der negative Aspekt erfasst.
Chemische Analysen an bodengelagerten menschlichen
Skelettresten ermöglichen demgegenüber direkte Aussagen,
welcher Art die konsumierte Nahrung wahrscheinlich gewesen ist,
welche Ernährungsmuster in einer Bevölkerung bestanden haben
und schließlich auch, welche Wirtschaftsweise der Herstellung der
Nahrung zugrunde gelegen hat. Solche Untersuchungen können
zum Beispiel mit Hilfe der Atomabsorptionsspektrometrie durch-
geführt werden.
Von der Nahrung in den Knochen
Diese Möglichkeit, aus den Konzentrationen bestimmter Spuren-
elemente in menschlichen Knochenfunden Ernährungsgewohn-
heiten historischer Bevölkerungen zu rekonstruieren, beruht auf
Zusammenhängen zwischen dem nahrungsbedingten Eintrag
chemischer Elemente in einen Organismus und deren Einlagerung
in das Knochengewebe zu Lebzeiten. Dabei sind mehrere Faktoren
wirksam, die sich auf die Elementzusammensetzung von Knochen
auswirken (vgl. im Folgenden zum Beispiel Grupe 1992. Sandford
1993. Schutkowski 1994). Der äußere Rahmen wird durch die
naturräumlichen Gegebenheiten eines Lebensraumes gebildet, der
sich über Einflüsse des Klimas, über geochemische Zyklen und die
Bodenbeschaffenheit in seinem natürlichen Elementangebot
unterscheidet. Pflanzen nehmen dieses Elementangebot aus der
Bodenlösung auf, reichern es in den Pflanzenteilen in unterschied-
licher Weise an und bilden so die Grundlage tierischer und
menschlicher Ernährung. Im Verlaufe solcher Nahrungsketten bzw.
Nahrungsnetze werden allerdings bestimmte chemische Elemente
von den Organismen bei der Verstoffwechselung bevorzugt aus
der Nahrung extrahiert, nämlich solche, die ein Organismus zur
Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen benötigt. Derartige
Mechanismen sind dafür verantwortlich, dass sowohl durch Kon-
zentrationsunterschiede in den Hauptkomponenten der Nahrung
als auch durch physiologische Abläufe ein differentieller Eintrag
von Spurenelementen in den Organismus stattfindet. Weiterhin
kann es zu Unterschieden zum Beispiel in Abhängigkeit von alters-
und geschlechtsspezifischen Stoffwechselraten oderauch durch
Krankheiten kommen.
Spurenelemente werden in das Skelett eingetragen, weil der
Knochen neben seiner Stützfunktion auch als hochwirksames
Speicherorgan fungiert, in dem Elemente wie in einem Reservoir
bevorratet und bei Bedarf wieder mobilisiert werden können.
Voraussetzung hierfür ist ein Einbau chemischer Elemente in die
ursprüngliche Kristallstruktur des Knochenminerals. Dies geschieht
unter natürlichen Bedingungen ständig und so entsteht in der
Folge Bioapatit, der als das Strukturmineral des Knochens bezeich-
net werden kann.
Für eine Ernährungsrekonstruktion sind allerdings nur solche
Elemente geeignet, die auch in nennenswerten Mengen im Skelett
gespeichert werden. Dies trifft zum Beispiel für die Elemente
Strontium und Barium zu, die zu deutlich über 90% ihres Gesamt-
körpergehaltes im Skelett konzentriert sind und strukturell in den
Bioapatit eingebaut werden. Sie gelten als nahrungsanzeigende
Spurenelemente, da ihre Konzentrationen im Knochen den nah-
rungsbedingten Eintrag widerspiegeln. Da Knochengewebe im
Vergleich zu anderen Geweben durch eine relativ langsame
Umbaurate gekennzeichnet ist (Libby et al. 1964. Stenhouse /
Baxter 1979), werden solche Elemente, wenn sie erst einmal in
den Knochen gelangt sind, meist viele Jahre im Skelett gespeichert
und geben so Auskunft über längerfristige Ernährungsgewohn-
heiten. Sie sind damit besonders geeignet für Aussagen über die
allgemeine Nahrungsgrundlage vergangener Zeiten.
Die Elemente Strontium und Barium sind typischerweise in
pflanzlichen Nahrungsbestandteilen angereichert, während tieri-
sche Nahrungsprodukte geringere Konzentrationen dieser Elemen-
te aufweisen. Daher sollten in Knochen von herbivoren Organis-
men (Pflanzenfresser) erhöhte Strontium- und Barium-Konzentra-
tionen vorliegen, in Knochen von Omnivoren (Allesfresser) und
Karnivoren (Fleischfresser) dagegen niedrigere Werte. Da
Menschen sich typischerweise omnivor ernähren, konsumieren sie
eine Nahrung, die aus mehreren Komponenten besteht. Dieser
Umstand erfordert nun eine Spezifizierung des gerade genannten
Zusammenhanges zwischen Spurenelementkonzentrationen im
Knochen und nahrungsbedingter Zufuhr.
Die jeweiligen Elementgehalte aus den unterschiedlichen
Nahrungsbestandteilen einer omnivoren, gemischten Kost bilden
sich im Skelett nämlich nicht proportional ab. Vielmehr ist es so,
dass der relative Anteil, in dem nahrungsanzeigende Elemente
tatsächlich in den Knochen eingebaut werden, nicht so sehr von
70
Nahrung und Subsistenz der Goslarer Hüttenleute anhand
anthropologischer Untersuchungen
Holger Schutkowski / Alexander Fabig / Bernd Herrmann
Skelette als Quelle historischer
Ernährungsbedingungen
Die Frage nach Ernährungsweisen in menschlichen Gemeinschaf-
ten berührt gleichermaßen die Ernährungsgrundlage, das heißt die
hauptsächlichen Anteile der täglichen Nahrung, und die Möglich-
keiten ihrer Herstellung, ihre Verfügbarkeit und Bedeutung. Biolo-
gische und kulturelle Aspekte der Nahrungsproduktion sind also
untrennbar miteinander verbunden. Daher ist nicht nur die
Ernährung das eigentliche Erkenntnisziel, sondern gleichzeitig ihr
jeweiliger naturräumlicher und gesellschaftlicher Rahmen, das
heißt die Ernährungsbedingungen einer Bevölkerung, ihre Subsis-
tenz. Im Gegensatz zu heute lebenden Bevölkerungen, deren
Ernährungsbedingungen über eine Vielzahl von wirtschaftlichen,
agronomischen und ernährungswissenschaftlichen Daten abge-
fragt werden können, ist für alle historischen Zeiträume nur eine
Rekonstruktion der Subsistenz möglich.
Für historische Zeitabschnitte ist man, sofern nicht ausführ-
liche schriftliche Quellen vorliegen, überwiegend auf naturwissen-
schaftliche Methoden für eine Analyse unterschiedlicher Materiali-
en angewiesen (Übersicht in Herrmann 1994. Vgl. auch Pernicka/
Wagner 1991). Verbreitet sind Untersuchungen an pflanzlichen
Makroresten (zum Beispiel van Zeist et al. 1991. Willerding /
Hillebrecht 1994), wie sie auch in diesem Beitrag vorgestellt
werden. Daneben liefert die Analyse von Tierknochen (zum Bei-
spiel Davis 1987. Benecke 1994) wichtige Hinweise auf Schlacht-
vieh, Haustiere und deren Haltung. Derartige Untersuchungen
stellen qualitative Grundlagen für eine Rekonstruktion der
Ernährungsbedingungen bereit. An menschlichen Knochenfunden
lassen sich gelegentlich Anzeichen von ernährungsbedingten
Mangelkrankheiten erkennen, die zum Beispiel auf saisonale oder
chronische Schwierigkeiten in der Nahrungsversorgung hinweisen
(zum Beispiel Schultz 1988. Aufderheide/ Rodriguez-Martin
1998). Hiermit wird jedoch nur der negative Aspekt erfasst.
Chemische Analysen an bodengelagerten menschlichen
Skelettresten ermöglichen demgegenüber direkte Aussagen,
welcher Art die konsumierte Nahrung wahrscheinlich gewesen ist,
welche Ernährungsmuster in einer Bevölkerung bestanden haben
und schließlich auch, welche Wirtschaftsweise der Herstellung der
Nahrung zugrunde gelegen hat. Solche Untersuchungen können
zum Beispiel mit Hilfe der Atomabsorptionsspektrometrie durch-
geführt werden.
Von der Nahrung in den Knochen
Diese Möglichkeit, aus den Konzentrationen bestimmter Spuren-
elemente in menschlichen Knochenfunden Ernährungsgewohn-
heiten historischer Bevölkerungen zu rekonstruieren, beruht auf
Zusammenhängen zwischen dem nahrungsbedingten Eintrag
chemischer Elemente in einen Organismus und deren Einlagerung
in das Knochengewebe zu Lebzeiten. Dabei sind mehrere Faktoren
wirksam, die sich auf die Elementzusammensetzung von Knochen
auswirken (vgl. im Folgenden zum Beispiel Grupe 1992. Sandford
1993. Schutkowski 1994). Der äußere Rahmen wird durch die
naturräumlichen Gegebenheiten eines Lebensraumes gebildet, der
sich über Einflüsse des Klimas, über geochemische Zyklen und die
Bodenbeschaffenheit in seinem natürlichen Elementangebot
unterscheidet. Pflanzen nehmen dieses Elementangebot aus der
Bodenlösung auf, reichern es in den Pflanzenteilen in unterschied-
licher Weise an und bilden so die Grundlage tierischer und
menschlicher Ernährung. Im Verlaufe solcher Nahrungsketten bzw.
Nahrungsnetze werden allerdings bestimmte chemische Elemente
von den Organismen bei der Verstoffwechselung bevorzugt aus
der Nahrung extrahiert, nämlich solche, die ein Organismus zur
Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen benötigt. Derartige
Mechanismen sind dafür verantwortlich, dass sowohl durch Kon-
zentrationsunterschiede in den Hauptkomponenten der Nahrung
als auch durch physiologische Abläufe ein differentieller Eintrag
von Spurenelementen in den Organismus stattfindet. Weiterhin
kann es zu Unterschieden zum Beispiel in Abhängigkeit von alters-
und geschlechtsspezifischen Stoffwechselraten oderauch durch
Krankheiten kommen.
Spurenelemente werden in das Skelett eingetragen, weil der
Knochen neben seiner Stützfunktion auch als hochwirksames
Speicherorgan fungiert, in dem Elemente wie in einem Reservoir
bevorratet und bei Bedarf wieder mobilisiert werden können.
Voraussetzung hierfür ist ein Einbau chemischer Elemente in die
ursprüngliche Kristallstruktur des Knochenminerals. Dies geschieht
unter natürlichen Bedingungen ständig und so entsteht in der
Folge Bioapatit, der als das Strukturmineral des Knochens bezeich-
net werden kann.
Für eine Ernährungsrekonstruktion sind allerdings nur solche
Elemente geeignet, die auch in nennenswerten Mengen im Skelett
gespeichert werden. Dies trifft zum Beispiel für die Elemente
Strontium und Barium zu, die zu deutlich über 90% ihres Gesamt-
körpergehaltes im Skelett konzentriert sind und strukturell in den
Bioapatit eingebaut werden. Sie gelten als nahrungsanzeigende
Spurenelemente, da ihre Konzentrationen im Knochen den nah-
rungsbedingten Eintrag widerspiegeln. Da Knochengewebe im
Vergleich zu anderen Geweben durch eine relativ langsame
Umbaurate gekennzeichnet ist (Libby et al. 1964. Stenhouse /
Baxter 1979), werden solche Elemente, wenn sie erst einmal in
den Knochen gelangt sind, meist viele Jahre im Skelett gespeichert
und geben so Auskunft über längerfristige Ernährungsgewohn-
heiten. Sie sind damit besonders geeignet für Aussagen über die
allgemeine Nahrungsgrundlage vergangener Zeiten.
Die Elemente Strontium und Barium sind typischerweise in
pflanzlichen Nahrungsbestandteilen angereichert, während tieri-
sche Nahrungsprodukte geringere Konzentrationen dieser Elemen-
te aufweisen. Daher sollten in Knochen von herbivoren Organis-
men (Pflanzenfresser) erhöhte Strontium- und Barium-Konzentra-
tionen vorliegen, in Knochen von Omnivoren (Allesfresser) und
Karnivoren (Fleischfresser) dagegen niedrigere Werte. Da
Menschen sich typischerweise omnivor ernähren, konsumieren sie
eine Nahrung, die aus mehreren Komponenten besteht. Dieser
Umstand erfordert nun eine Spezifizierung des gerade genannten
Zusammenhanges zwischen Spurenelementkonzentrationen im
Knochen und nahrungsbedingter Zufuhr.
Die jeweiligen Elementgehalte aus den unterschiedlichen
Nahrungsbestandteilen einer omnivoren, gemischten Kost bilden
sich im Skelett nämlich nicht proportional ab. Vielmehr ist es so,
dass der relative Anteil, in dem nahrungsanzeigende Elemente
tatsächlich in den Knochen eingebaut werden, nicht so sehr von
70