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Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0032
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32 Schema einer Kegellade

Die Kegellade (Abb. 32)86 gehört nicht zu den Tonkan-
zellenladen, wie die Schleiflade. Während bei der
Tonkanzelle sämtliche Pfeifen, die zu einer Taste bzw.
einem Ton gehören, auf einer Kanzelle stehen, sind es
nun alle Pfeifen, die zu einem Register gehören.
Wiederum ist die Windlade also in Kanzellen unterteilt,
die aber nicht durch Tastendruck, sondern durch das
Einschalten eines Registers unter Wind gesetzt werden.
Die Schwierigkeit bestand nun darin, eine Möglichkeit zu
finden, die Töne einzeln anzuspielen, denn der
Tastendruck ist nur ein einziger Impuls. Wenn aber zu
einer Taste zwanzig Register bzw. Pfeifen gehören, die
auf ebenso vielen Kanzellen stehen, musste gleichsam
eine „Multiplikation" stattfinden. Die Lösung bestand
darin, ein Relais in den Trakturweg zu integrieren, das
den Impuls, der von der Taste kommt, vervielfältigt. An
dieser Stelle erhält nun auch die Pneumatik ihren beson-
deren Stellenwert: Durch die Öffnung des Relaisventils
wird der so genannte Spielwind zu ledernen Membra-
nen geleitet, die bei frei gegebenem Spielwind kegelför-
mige Ventile anheben. Wenn ein Register eingeschaltet
ist, die Registerkanzelle also unter Wind steht, strömt
dieser in den Kanal, der zu der entsprechenden Pfeife
führt.
Aus dieser auf den ersten Blick sicher komplizierten
Funktionsweise der Kegellade folgt aber auch, dass bei
Tastendruck immer sämtliche Kegel in Bewegung gesetzt
werden, weil das Relaisventil den Spielwind grundsätz-
lich an sämtliche Spielventile weiterleitet. Die Pfeifen sol-
len bekanntlich aber erst dann erklingen, wenn die ge-
wünschten Register eingeschaltet sind. So ist auch die
Funktion der Kegellade vom eingangs beschriebenen
Matrix-Prinzip bestimmt. Allerdings ist sie in ihrer
Arbeitsweise komplizierter und galt lange Zeit auch als

anfälliger. Andererseits bietet sie den Vorzug, insbeson-
dere in ihrer pneumatischen Steuerung, die Spielbarkeit
deutlich zu vereinfachen, da ja nur das Relaisventil durch
den Tastenimpuls geöffnet werden muss.87
Wenn man nun über die weitere Vereinfachung der
Spielbarkeit, also die Herabsetzung des geforderten
Tastendrucks nachdenkt und außerdem mit der Pneu-
matik eine viel versprechende technische Errungenschaft
zur Verfügung steht, war die Einführung der pneumati-
schen Traktur - wenigstens aus technischer Perspektive -
nur eine Frage der Zeit. Abbildung 33 zeigt eine Mög-
lichkeit für die Abwicklung einer luftgesteuerten
Spieltraktur: Bereits im Spieltisch wird der Tastenimpuls
durch das Öffnen eines Ventils in Luftdruck umgewan-
delt. Dieser Impuls wird über bleierne Kondukten zum
Relaisventil in der Windlade geführt. Ähnlich verhält es
sich mit der Registertraktur: Durch das Umlegen der
Registerwippe wird ebenfalls ein Ventil geöffnet, das
Spielwind über Kondukten zu Membranen bzw. Bälg-
chen leitet, das erneut Spielwind frei gibt, der das eigent-
liche Registerventil öffnet und die Registerkanzelle unter
Orgelwind setzt.
Anlass für diese hintereinander geschalteten Relais ist
der Umstand, dass vor allem bei großen Strecken zeitli-
che Verzögerungen und Druckverluste auftreten können,
die so vermindert werden können. Umgehen konnte
man sie indessen nicht. So führen diese Verzögerungen,
insbesondere aber minimale Differenzen unter ihnen, vor
allem bei vollen Registrierungen zu einem charakteristi-
schen „Einschwingvorgang" des Klangs. Er unterschei-
det sich von dem äußerst präzisen, explosionsartigen
Ansprechen der Pfeifen bei der mechanischen Schleiflade
deutlich. Dies wurde zur Bauzeit der pneumatischen
Kegellade - natürlich nur bis zu einer vertretbaren
Grenze - durchaus als systembedingte Eigenschaft
akzeptiert.
Doch auch mit der Kegellade waren die Überlegungen
zur weiteren Verbesserung des pneumatischen Systems
noch nicht abgeschlossen. Man ersann in gewisser Weise
sogar ein Gegenprinzip zu jenem der Kegellade, das auf
der Öffnung von Ventilen durch den Druck des
Spielwinds beruht. Das gegenteilige Prinzip wäre nun
das Verschließen eines Ventils durch den Spielwind. Das
Ventil öffnet sich also genau dann, wenn der Druck des
Spielwinds auf das Ventil aufgehoben wird. Diese - auch
in unserem Zusammenhang relevante - Ladenform ist
die Taschenlade (Abb. 34). Bei gedrückter Taste wird der
Spielwind am Relaisventil gestoppt, die „Tasche" fällt
zusammen, das Ventilscheibchen, das die Zuleitung für
den Orgelwind zur Pfeife verschließt, wird abgesenkt, die
Pfeife kann erklingen.
Zum Einsatz gelangte dieser Ladentyp bis in die Zeit
nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde aber insbesondere

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