Der ständigen Produktionsausweitung war die erste 200 PS
starke Dampfmaschine nicht lange gewachsen, schon 1887
kam eine neue Dampfmaschine von 600 PS in Aufstellung.
1893 wurde eine zweite mit 1200 PS dazugestellt und die Zahl
der Heizkessel auf zehn verdoppelt. Neun Jahre später wurde
dann „das Herz der Fabrik“ (47), die 2500 PS starke Dampf-
maschine von den Augsburger Maschinenwerken in dem neu-
errichteten Maschinenhaus aufgestellt und in Betrieb genom-
men (48). 1905 arbeitete die Delmenhorster Fabrik „mit
Dampfmaschinen von etwa 2950 Pferdestärken, dessen
größte ein Gewicht von 280000 Kilo hat; sie treibt in einem
Seilgang von 250 m Länge etwa 8000 Meter Manilla-Hanf-
seile, durch die die Betriebskraft verteilt wird. Zur Heizung
sind jährlich 22 Millionen Kilo Kohlen erforderlich, die in
18 Dampfkesseln verfeuert werden“ (49).
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden das mehrrillige große
Schwungrad und das gesamte Transmissionssystem stillge-
legt: der bis dahin übliche Kraftantrieb der Kämm- und Spinn-
maschinen mittels Transmissionsriemen (Abb. 19) wurde nun
von elektrisch angetriebenen Einzelmotoren abgelöst. Den
elektrischen Strom erzeugte das Werk selbst mit Generato-
ren, deren Antrieb über Dampfturbinen erfolgte: zusätzlicher
Strom konnte über die 1914 errichtete Transformatorensta-
tion am Nordtor aus dem öffentlichen Netz übernommen wer-
den bzw. konnte überschüssiger Industriestrom abgegeben
werden.
Eine mögliche Ausweitung der Produktion wurde im Süden
und Westen durch die Trassen der werkseigenen Gleisanla-
gen behindert, was überdies durch die anschließende Reihe
von Wohlfahrts- und Wohnungsbauten noch verstärkt wurde.
Also dehnte sich das Werk nördlich bis zur Delme hin (deren
Flußbett verlegt und begradigt wurde) und nach Osten aus -
gewissermaßen die Rückseite der Fabrik.
Die so entstandene asymmetrische, eher zufällig wirkende
Ordnung wurde durch eine einheitliche, einfache Fassaden-
gestaltung zusammengefaßt. Mit den Fotos und Ansichten
lassen sich die Phasen des Konzernausbaus, die in den bauli-
chen Veränderungen zum Ausdruck kommen, anschaulich re-
konstruieren: sie zeigen z.B. an der Privatstraße (die heutige
Nordwollestraße) zunächst das 1889 ausgeführte, einge-
schossige Lagergebäude in einer Reihe mit den älteren Arbei-
terhäusern. 1896 wurde es auf drei Geschosse aufgestockt,
während die letzte Erweiterung um zwei Geschosse zur reprä-
sentativen Schaufassade mit dem Wasserturm, dem Wahr-
zeichen der Delmenhorster Anlage, erst 1910 erfolgte
(Abb. 28, Titelbild).
Vom Nutzen des Werkswohnungsbaus
Bis 1930 war der Bestand an Werkswohnungen der NW&K
durch Neubau und Ankauf auf etwa 600 gestiegen, wovon 250
auf dem Fabrikareal oder in unmittelbarer Nähe und weitere
160 in der Siedlung Tappenort lagen. Das Werk verfügte damit
nach der Wilhelmshavener Werft über einen der größten
Werkswohnungsbestände im norddeutschen Raum. Wie ein
Zahlenvergleich zeigt, zählten allein zur Werftsiedlung in Wil-
helmshaven-Bant 526 Wohnungen, lebten bis 1957 in der
Siedlung des Eisenbahn-Ausbesserungswerks Hannover-
Leinhausen 450 Familien, gehörten vormals zur Georgs-
marienhütte 294, zur Dohrener Wolle 250 und zur Hanomag-
Siedlung „Rumänien“ in Hannover-Linden 228 Wohnungen.
Es ist hier nicht der Ort, näher auf den vielfachen Nutzen ein-
zugehen, der dem Unternehmer durch die „Verhaustierung
der Proletarier“ (50) in Werkssiedlungen entstand (51). Soviel
nur: auch wenn von Unternehmerseite der Bau von Werks-
wohnungen als uneigennützige Wohlfahrtsmaßnahme propa-
giert wurde, so blieben die sozialpolitischen und ideologi-
schen Motive doch von untergeordneter Bedeutung - zualler-
erst war er in arbeitskräftearmen Regionen eine produktions-
bedingte Investition zur Aufrechterhaltung und Erweiterung
des Betriebes. Für das Werk in Delmenhorst wurden von den
Lahusen folgende Gründe genannt: „Um tüchtige Leute nicht
nur heranzuziehen, sondern auch dauernd zu halten und
dadurch einen bleibenden und brauchbaren Arbeiterstamm
zu gewinnen, sahen wir uns genötigt, in Delmenhorst gute Ar-
beiterhäuser in größerer Zahl zu erbauen“ (52). Der Stamm-
arbeiter sollte „zuverlässig und kräftig“ sein, und man sah im
Bau von Arbeiterwohnungen ein „soziales Gebot, ...wenn-
gleich das unmittelbare finanzielle Erträgnis derselben nur als
ein mäßiges erscheint“ (53). Es betrug 1905 der wöchentliche
Mietzins mindestens 2,15 RM und machte damit 16 % des
Bruttolohnes aus; zur selben Zeit kostete in Delmenhorst die
billigste Wohnung der vierten Kategorie für „niedere Arbeiter,
Postboten, Tagelöhner usw.“ 2,90 RM (54).
Darüber hinaus, freute sich Lahusen, hätten die Wohlfahrts-
einrichtungen der NW&K „zweifelsohne dazu beigetragen, ein
gewisses Gefühl der Zusammengehörigkeit und Gemeinsam-
keit der Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
zu erwecken und Beamte und Arbeiter einander näher zu brin-
gen“ (55). Das Bestreben des Unternehmers, den sozialen
Frieden in der Fabrik zu sichern und Lohnkämpfe abzuwen-
den, äußerte sich auch als erzieherisches Programm. Die Ar-
beiter sollten zu einer fabrikgemäßen Lebensführung ge-
bracht werden, indem sie „sich die Erhaltung und Förderung
der guten christlichen Sitte angelegen sein lassen sollten“,
wie es in der Fabrikordnung von 1892 heißt. Und folgt man
den Darstellungen in den Werksschriften, so sollte sich der
Wollearbeiter vor allem durch die christlichen Tugenden Spar-
samkeit, Pünktlichkeit, Reinlichkeit und Familiensinn aus-
zeichnen: „zum Wohle der Arbeiter, zum Besten der Fabrik
und zum Segen des Landes“, wie Lahusen schreibt (56). Kam
es aber zur Entlassung, „mußten die Leute auch dann aus den
Häusern raus. Der Arbeitsvertrag war mit dem Mietvertrag ge-
koppelt“ (57).
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starke Dampfmaschine nicht lange gewachsen, schon 1887
kam eine neue Dampfmaschine von 600 PS in Aufstellung.
1893 wurde eine zweite mit 1200 PS dazugestellt und die Zahl
der Heizkessel auf zehn verdoppelt. Neun Jahre später wurde
dann „das Herz der Fabrik“ (47), die 2500 PS starke Dampf-
maschine von den Augsburger Maschinenwerken in dem neu-
errichteten Maschinenhaus aufgestellt und in Betrieb genom-
men (48). 1905 arbeitete die Delmenhorster Fabrik „mit
Dampfmaschinen von etwa 2950 Pferdestärken, dessen
größte ein Gewicht von 280000 Kilo hat; sie treibt in einem
Seilgang von 250 m Länge etwa 8000 Meter Manilla-Hanf-
seile, durch die die Betriebskraft verteilt wird. Zur Heizung
sind jährlich 22 Millionen Kilo Kohlen erforderlich, die in
18 Dampfkesseln verfeuert werden“ (49).
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden das mehrrillige große
Schwungrad und das gesamte Transmissionssystem stillge-
legt: der bis dahin übliche Kraftantrieb der Kämm- und Spinn-
maschinen mittels Transmissionsriemen (Abb. 19) wurde nun
von elektrisch angetriebenen Einzelmotoren abgelöst. Den
elektrischen Strom erzeugte das Werk selbst mit Generato-
ren, deren Antrieb über Dampfturbinen erfolgte: zusätzlicher
Strom konnte über die 1914 errichtete Transformatorensta-
tion am Nordtor aus dem öffentlichen Netz übernommen wer-
den bzw. konnte überschüssiger Industriestrom abgegeben
werden.
Eine mögliche Ausweitung der Produktion wurde im Süden
und Westen durch die Trassen der werkseigenen Gleisanla-
gen behindert, was überdies durch die anschließende Reihe
von Wohlfahrts- und Wohnungsbauten noch verstärkt wurde.
Also dehnte sich das Werk nördlich bis zur Delme hin (deren
Flußbett verlegt und begradigt wurde) und nach Osten aus -
gewissermaßen die Rückseite der Fabrik.
Die so entstandene asymmetrische, eher zufällig wirkende
Ordnung wurde durch eine einheitliche, einfache Fassaden-
gestaltung zusammengefaßt. Mit den Fotos und Ansichten
lassen sich die Phasen des Konzernausbaus, die in den bauli-
chen Veränderungen zum Ausdruck kommen, anschaulich re-
konstruieren: sie zeigen z.B. an der Privatstraße (die heutige
Nordwollestraße) zunächst das 1889 ausgeführte, einge-
schossige Lagergebäude in einer Reihe mit den älteren Arbei-
terhäusern. 1896 wurde es auf drei Geschosse aufgestockt,
während die letzte Erweiterung um zwei Geschosse zur reprä-
sentativen Schaufassade mit dem Wasserturm, dem Wahr-
zeichen der Delmenhorster Anlage, erst 1910 erfolgte
(Abb. 28, Titelbild).
Vom Nutzen des Werkswohnungsbaus
Bis 1930 war der Bestand an Werkswohnungen der NW&K
durch Neubau und Ankauf auf etwa 600 gestiegen, wovon 250
auf dem Fabrikareal oder in unmittelbarer Nähe und weitere
160 in der Siedlung Tappenort lagen. Das Werk verfügte damit
nach der Wilhelmshavener Werft über einen der größten
Werkswohnungsbestände im norddeutschen Raum. Wie ein
Zahlenvergleich zeigt, zählten allein zur Werftsiedlung in Wil-
helmshaven-Bant 526 Wohnungen, lebten bis 1957 in der
Siedlung des Eisenbahn-Ausbesserungswerks Hannover-
Leinhausen 450 Familien, gehörten vormals zur Georgs-
marienhütte 294, zur Dohrener Wolle 250 und zur Hanomag-
Siedlung „Rumänien“ in Hannover-Linden 228 Wohnungen.
Es ist hier nicht der Ort, näher auf den vielfachen Nutzen ein-
zugehen, der dem Unternehmer durch die „Verhaustierung
der Proletarier“ (50) in Werkssiedlungen entstand (51). Soviel
nur: auch wenn von Unternehmerseite der Bau von Werks-
wohnungen als uneigennützige Wohlfahrtsmaßnahme propa-
giert wurde, so blieben die sozialpolitischen und ideologi-
schen Motive doch von untergeordneter Bedeutung - zualler-
erst war er in arbeitskräftearmen Regionen eine produktions-
bedingte Investition zur Aufrechterhaltung und Erweiterung
des Betriebes. Für das Werk in Delmenhorst wurden von den
Lahusen folgende Gründe genannt: „Um tüchtige Leute nicht
nur heranzuziehen, sondern auch dauernd zu halten und
dadurch einen bleibenden und brauchbaren Arbeiterstamm
zu gewinnen, sahen wir uns genötigt, in Delmenhorst gute Ar-
beiterhäuser in größerer Zahl zu erbauen“ (52). Der Stamm-
arbeiter sollte „zuverlässig und kräftig“ sein, und man sah im
Bau von Arbeiterwohnungen ein „soziales Gebot, ...wenn-
gleich das unmittelbare finanzielle Erträgnis derselben nur als
ein mäßiges erscheint“ (53). Es betrug 1905 der wöchentliche
Mietzins mindestens 2,15 RM und machte damit 16 % des
Bruttolohnes aus; zur selben Zeit kostete in Delmenhorst die
billigste Wohnung der vierten Kategorie für „niedere Arbeiter,
Postboten, Tagelöhner usw.“ 2,90 RM (54).
Darüber hinaus, freute sich Lahusen, hätten die Wohlfahrts-
einrichtungen der NW&K „zweifelsohne dazu beigetragen, ein
gewisses Gefühl der Zusammengehörigkeit und Gemeinsam-
keit der Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
zu erwecken und Beamte und Arbeiter einander näher zu brin-
gen“ (55). Das Bestreben des Unternehmers, den sozialen
Frieden in der Fabrik zu sichern und Lohnkämpfe abzuwen-
den, äußerte sich auch als erzieherisches Programm. Die Ar-
beiter sollten zu einer fabrikgemäßen Lebensführung ge-
bracht werden, indem sie „sich die Erhaltung und Förderung
der guten christlichen Sitte angelegen sein lassen sollten“,
wie es in der Fabrikordnung von 1892 heißt. Und folgt man
den Darstellungen in den Werksschriften, so sollte sich der
Wollearbeiter vor allem durch die christlichen Tugenden Spar-
samkeit, Pünktlichkeit, Reinlichkeit und Familiensinn aus-
zeichnen: „zum Wohle der Arbeiter, zum Besten der Fabrik
und zum Segen des Landes“, wie Lahusen schreibt (56). Kam
es aber zur Entlassung, „mußten die Leute auch dann aus den
Häusern raus. Der Arbeitsvertrag war mit dem Mietvertrag ge-
koppelt“ (57).
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