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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: System Denkmalpflege - Netzwerke für die Zukunft — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 31.2004

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Sektion 2: Historische Freiräume zwischen Grundlagenforschung und Minimalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.51150#0128
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Sektion 2: Historische Freiräume zwischen Grundlagenforschung und Minimalismus

Definition der Objektgattung und Darlegung möglicher
Verknüpfungen zu anderen denkmalpflegerischen Themen

Architektur und Gartenkunst - Abhängigkeiten zweier Disziplinen
am Beispiel der Gestaltung von Stadtplätzen in Hannover
Sid Auffarth

Abb. 1: Berlin-Schöneberg,
Plan des Viktoria-Luise-
Platzes, 1903 von Fritz Encke.

Im Sommer 1903 besuchte Elisabet Boehm1 die König-
liche Haupt- und Residenzstadt Hannover und notierte
begeistert: „Überall große freie Plätze mit
wundervollen Anlagen, jedes Haus mit kleinem Vor-
garten und von oben bis unten berankt. Die Stadt
beschäftigt Hunderte von Gärtnern, die dauernd
schneiden und putzen, pflanzen und sprengen. Es ist eine
wundervolle Stadt. “2 Der 44-jährigen Ostpreußin waren
zwei Momente der Stadterfahrung wichtig, einmal der
Raum mit seinen „großen, freien Plätzen“ und zum
anderen das Grün der „wundervollen Anlagen“. Die rah-
mende Architektur und auch die Platzmöblierung
erwähnte sie zwar nicht ausdrücklich, sie sind aber in
ersteren mitgedacht. Sie benennt mit dem städtischen
Raum, dessen baulicher Fassung und dem Grün ein Auf-
gabenfeld, das Architekten, Landschaftsplaner und
gelegentlich auch Künstler mit unterschiedlicher Prio-
rität für sich beanspruchen. Selten arbeiten sie dabei ge-
meinsam, meistens nebeneinander, oft auch nach-
einander.
Das Thema „Architektur und Gartenkunst - Abhän-
gigkeiten zweier Disziplinen am Beispiel der Gestal-
tung von Stadtplätzen“ bringt - wie vom Bauhistoriker
nicht anders zu erwarten - keine Auseinandersetzung
mit dem aktuellen Stadtplatzprogramm der Landes-
hauptstadt: „Hannover schafft Platz“. Andererseits gibt
ein Blick auf die neu gestalteten Stadtplätze Veranlas-
sung, sich der prächtigen Ausstattung von Schmuck-
plätzen Ende des 19. Jahrhunderts zu erinnern, die sich
damals den Anforderungen einer äußeren und inneren


Stadterweiterung sowie der verfeinerten Kultur eines
selbstbewussten Bürgertums zu stellen hatte. Josef
Stübben, ein Vertreter des pragmatischen Städtebaus,
verglich die umbauten Plätze einer Stadt mit den Zim-
mern einer Wohnung und sah in ihnen die Prunksäle
einer Stadt. Bezüglich der Ausstattung meinte er, dass
ein Platz als leere Fläche nichts anderes sei als ein leeres
Zimmer, ein Zimmer ohne Möbel und künstlerische
Zier.3 Den anschaulichen Vergleich hatte er dem Buch
über den „Städtebau nach seinen künstlerischen Grund-
sätzen“ entnommen, das der Wiener Stadtbaukünstler
Camillo Sitte nach 30-jährigem Studium alter und neuer
Städte gerade herausgebracht hatte. Darin heißt es, dass
in künstlerischer Beziehung ein bloß unverbauter Fleck
noch kein Stadtplatz sei. Es gehöre noch sehr viel mehr
dazu an Ausschmückung, Bedeutung, Charakter, aber
„so wie es möblierte Zimmer und auch leere gibt, so
könnte man von eingerichteten und noch uneinge-
richteten Plätzen reden.“4 Dort, wo ich als Einzelner
wohne, richte ich mir meinen Raum ein - aber wer
richtete wem in einer Stadt die öffentlichen Räume ein?
Den Streit der beiden Disziplinen will ich am Bei-
spiel einer Platzgestaltung in Berlin erläutern (Abb. 1).
Als 1898 die Berlinische Bodengesellschaft einen
Gestaltungswettbewerb für den Viktoria-Luise-Platz in
Schöneberg ausschrieb, gingen 66 Beiträge ein, etwa je
zur Hälfte von Gartenkünstlern bzw. von Architekten.
Verlangt war der Entwurf eines damals üblichen,
repräsentativen Schmuckplatzes, bei dem auf „beson-
ders wirkungsvolle landschaftsgärtnerische Anlagen,
auch etwa in Verbindung mit kleineren Zierbauwerken,
Sitzanlagen, Springbrunnen oder auch mit einem oder
mehreren Bildwerken“ Wert gelegt war. Am Text der
Ausschreibung und an den Ergebnissen entzündete sich
eine Kontroverse zwischen Landschaftsgärtnem und
Architekten. Der Architekt Bruno Möhring etwa be-
fürchtete, dass die Betonung landschaftsgärtnerischer
Programmpunkte überwiegend parkartige Lösungen
brächte, die dann den praktischen Anforderungen nicht
genügten, denn - so seine Forderung - ein Platz müsse
entsprechend den fußläufigen Bewegungsrichtungen
unterteilt und erst dann mit einem architektonischen
Gedanken zusammengefügt werden. Und in der „Deut-
schen Bauzeitung“ hieß es wenig später unmissver-
ständlich, dass der städtische Schmuckplatz in das
Arbeitsgebiet des Baukünstlers gehöre. Dieser allein sei
in der Lage, ihn in das richtige Verhältnis zu seiner
architektonischen Umgebung zu bringen. Die Zeit-
schrift „Die Gartenkunst“ konterte mit einem Angriff
auf den architektonischen Garten.5 Auch der Dresdner
Gartenbaudirektor Max Bertram bestand 1903 darauf,
 
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