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Sektion 6: Historische Forschung in der Denkmalpflege - Das Beispiel der Stadt
Einführung in das Sektionsthema
Thomas Keilmann
In Zeiten, in denen die staatliche Denkmalpflege haupt-
sächlich als Einsparpotential defizitärer, öffentlicher
Haushalte betrachtet wird, wäre es eine trügerische
Sicherheit, sich auf die vermeintlichen Kemaufgaben
einer staatlichen Denkmalverwaltung zurückzuziehen.
Das Signal zum Rückzug provoziert vielmehr zum
Nachsetzen, mit der absehbaren Folge weiterer Spar-
versuche. Als könnte man Kultur sparen. Umso erfreu-
licher ist es, dass sich die historische Forschung im Ver-
bund mit den übrigen Aufgaben einen festen Stellenwert
in der Denkmalpflege gesichert hat. Schon lange geht es
nicht mehr um Nischen und Freiräume abgekoppelt vom
denkmalpflegerischen Alltag. Eine bloße Verlagerung
dieser Form einer vielfach vernetzten Forschung an die
Hochschulen oder an freie Büros wäre daher auch nur
eingeschränkt möglich. Und dies hat seinen guten
Grund. Über die Jahre wurde ein kaum noch überschau-
bares Wissen um Befunde und Objekte angesammelt.
Dieses Wissen nicht in Objektakten verschwinden zu
lassen, sondern in einem Bezugsrahmen zusammenzu-
führen, zu systematisieren und auszuwerten, ist ein not-
wendiges Anliegen der staatlichen Denkmalpflege mit
ihren zentralen Archiven. Diese Sektion will Mut
machen, vor dieser Datenflut nicht zu kapitulieren.
Gleichzeitig ist aber auch über die Positionierung der
historischen Forschung in der Denkmalpflege nach-
zudenken. Das über die Summe der Einzelbauten
hinausgehende Verständnis für das historische Phäno-
men der Stadt hat parallel zu den klassischen Inventaren
mit ihren Objektkatalogen diverse Spielarten hervor-
gebracht: die Denkmaltopographien, die Stadtbildana-
lysen, die städtebaulichen Bestandsanalysen und Orts-
kernatlanten. Auf der Tagung „Stadtplanung und Stadt-
geschichte“ der Arbeitsgemeinschaft „Die Alte Stadt“ in
Landsberg am Lech im März 2001 haben die Kolle-
ginnen und Kollegen der staatlichen Denkmalpflege in
Bayern die besonderen Möglichkeiten einer histori-
schen Forschung in der Denkmalpflege einer breiten
Fachöffentlichkeit vorgestellt. Obschon der Druck zur
Rechtfertigung zugenommen hat, der auf den Denkmal-
fachbehörden der Länder lastet, können sich die Ergeb-
nisse der vergangenen Jahre in ihrer Vielschichtigkeit
und programmatischen Aussagekraft sehen lassen. In
Anbetracht eines fast schon chronischen Mangels an
Aussprache zu Strategie und Konzeption nicht nur der
historischen Forschung in der Denkmalpflege will sich
diese Sektion als ein Forum verstanden wissen, das die
Intentionen der Bearbeiter aus erster Hand vorstellen
und diskutieren möchte. Ein direkter Vergleich im Ne-
beneinander durchaus konkurrierender Modelle muss
schon allein deshalb ausscheiden, weil die unterschied-
lichen Rahmenbedingungen, Anlässe und Vorausset-
zungen dies nicht zulassen.
Bei der Auswahl der hier noch vorzustellenden
Forschungsansätze haben wir uns um eine möglichst
große Spannbreite, Ausgewogenheit und Aktualität
bemüht. Ein gewisses Maß an Willkür und persönlicher
Anteilnahme konnte dabei nicht ausbleiben. Aus der
Einsicht, dass sich Siedlungsgeographie, Stadtarchäo-
logie und Volkskunde in den letzten Jahren ebenso auf-
einander zubewegen wie die diversen Dokumentations-
formen zwischen Inventar und Topographie, haben wir
diese nur noch schwer nachvollziehbare Trennung ganz
bewusst in das Programm mit aufgenommen, um aus-
gehend von den Ursprüngen die unterschiedlichen For-
schungsansätze in ihrer Entwicklung verstehen zu
können. Es liegt keineswegs in unserer Absicht, irgend-
welche Standards der historischen Forschung in der
Denkmalpflege zu definieren. Auch möchten wir nicht
ausschließlich einer angewandten, anwendungsorien-
tierten oder anwendungsbezogenen Forschung das Wort
reden. Wenn Forschung nicht angenommen wird, so
liegt es nicht immer automatisch am Forschenden oder
der jeweiligen Publikationsform. Allzu oft möchten
wir jedoch ein möglichst vollständiges, ein abge-
rundetes Bild von unserem Forschungsgegenstand, in
diesem Fall der historischen Stadt vermitteln. Dabei
wissen wir auch, dass wir bestenfalls Einblicke ver-
schaffen können. Nach außen propagieren wir noch den
Mut zum Fragmentarischen. Die Grenzen zwischen
einer historischen Bestandsanalyse und der Formulie-
rung von konkreten Handlungsdefiziten werden schon
innerhalb der eigenen Zuständigkeiten peinlichst einge-
halten.
Auf der anderen Seite steht nach wie vor die Fest-
stellung von Tilmann Breuer von 1982: „Erfassung und
Umgang mit Denkmalen sind eins“. Den Glauben an die
Macht einer präventiven Forschung mögen die meisten
von uns längst verloren haben. Erst durch die perso-
nellen Engpässe der letzten Jahre werden die organisa-
torischen Grenzen zwischen einer praktischen Denk-
malpflege hier und der Grundlagenforschung dort auf-
geweicht, ohne dass damit automatisch auch eine
methodische Klärung der Standpunkte einhergegangen
wäre. Allein dieser Perspektivwechsel mit seinen unter-
schiedlichen Anforderungsprofilen dürfte für das Ver-
ständnis der beiden Bereiche hilfreich gewesen sein,
ohne das immer latente Unverständnis zwischen Inven-
tarisator und Konservator vollends aufzuheben. Auf der
einen Seite der Inventarisator, der die Rückläufe des
Konservators vermisst, den die mangelnde Wahrneh-
mung oder bloße Instrumentalisierung der Forschungs-
ergebnisse deprimiert; auf der anderen Seite der Kon-
servator, dem eine schwerfällige Erschließung die Nut-
zung der Forschungsergebnisse verleidet, der statt
klaren Aussagen sich durch einen differenzierten For-
schungsstand quälen muss oder die für ihn notwendigen
Informationen schlichtweg vermisst.
Wie sehr Forschung und Praxis aneinander vor-
beileben können, zeigt die, neutral gesagt, „Umorgani-
sation“ der Denkmalpflege in Niedersachsen bei der
letzten Gesetzesnovellierung im Jahre 1998: Auf der
einen Seite wurden maßnahmenbezogene Vorgänge an
den Baudenkmalen ohne Unterbau und ausreichendes
Sektion 6: Historische Forschung in der Denkmalpflege - Das Beispiel der Stadt
Einführung in das Sektionsthema
Thomas Keilmann
In Zeiten, in denen die staatliche Denkmalpflege haupt-
sächlich als Einsparpotential defizitärer, öffentlicher
Haushalte betrachtet wird, wäre es eine trügerische
Sicherheit, sich auf die vermeintlichen Kemaufgaben
einer staatlichen Denkmalverwaltung zurückzuziehen.
Das Signal zum Rückzug provoziert vielmehr zum
Nachsetzen, mit der absehbaren Folge weiterer Spar-
versuche. Als könnte man Kultur sparen. Umso erfreu-
licher ist es, dass sich die historische Forschung im Ver-
bund mit den übrigen Aufgaben einen festen Stellenwert
in der Denkmalpflege gesichert hat. Schon lange geht es
nicht mehr um Nischen und Freiräume abgekoppelt vom
denkmalpflegerischen Alltag. Eine bloße Verlagerung
dieser Form einer vielfach vernetzten Forschung an die
Hochschulen oder an freie Büros wäre daher auch nur
eingeschränkt möglich. Und dies hat seinen guten
Grund. Über die Jahre wurde ein kaum noch überschau-
bares Wissen um Befunde und Objekte angesammelt.
Dieses Wissen nicht in Objektakten verschwinden zu
lassen, sondern in einem Bezugsrahmen zusammenzu-
führen, zu systematisieren und auszuwerten, ist ein not-
wendiges Anliegen der staatlichen Denkmalpflege mit
ihren zentralen Archiven. Diese Sektion will Mut
machen, vor dieser Datenflut nicht zu kapitulieren.
Gleichzeitig ist aber auch über die Positionierung der
historischen Forschung in der Denkmalpflege nach-
zudenken. Das über die Summe der Einzelbauten
hinausgehende Verständnis für das historische Phäno-
men der Stadt hat parallel zu den klassischen Inventaren
mit ihren Objektkatalogen diverse Spielarten hervor-
gebracht: die Denkmaltopographien, die Stadtbildana-
lysen, die städtebaulichen Bestandsanalysen und Orts-
kernatlanten. Auf der Tagung „Stadtplanung und Stadt-
geschichte“ der Arbeitsgemeinschaft „Die Alte Stadt“ in
Landsberg am Lech im März 2001 haben die Kolle-
ginnen und Kollegen der staatlichen Denkmalpflege in
Bayern die besonderen Möglichkeiten einer histori-
schen Forschung in der Denkmalpflege einer breiten
Fachöffentlichkeit vorgestellt. Obschon der Druck zur
Rechtfertigung zugenommen hat, der auf den Denkmal-
fachbehörden der Länder lastet, können sich die Ergeb-
nisse der vergangenen Jahre in ihrer Vielschichtigkeit
und programmatischen Aussagekraft sehen lassen. In
Anbetracht eines fast schon chronischen Mangels an
Aussprache zu Strategie und Konzeption nicht nur der
historischen Forschung in der Denkmalpflege will sich
diese Sektion als ein Forum verstanden wissen, das die
Intentionen der Bearbeiter aus erster Hand vorstellen
und diskutieren möchte. Ein direkter Vergleich im Ne-
beneinander durchaus konkurrierender Modelle muss
schon allein deshalb ausscheiden, weil die unterschied-
lichen Rahmenbedingungen, Anlässe und Vorausset-
zungen dies nicht zulassen.
Bei der Auswahl der hier noch vorzustellenden
Forschungsansätze haben wir uns um eine möglichst
große Spannbreite, Ausgewogenheit und Aktualität
bemüht. Ein gewisses Maß an Willkür und persönlicher
Anteilnahme konnte dabei nicht ausbleiben. Aus der
Einsicht, dass sich Siedlungsgeographie, Stadtarchäo-
logie und Volkskunde in den letzten Jahren ebenso auf-
einander zubewegen wie die diversen Dokumentations-
formen zwischen Inventar und Topographie, haben wir
diese nur noch schwer nachvollziehbare Trennung ganz
bewusst in das Programm mit aufgenommen, um aus-
gehend von den Ursprüngen die unterschiedlichen For-
schungsansätze in ihrer Entwicklung verstehen zu
können. Es liegt keineswegs in unserer Absicht, irgend-
welche Standards der historischen Forschung in der
Denkmalpflege zu definieren. Auch möchten wir nicht
ausschließlich einer angewandten, anwendungsorien-
tierten oder anwendungsbezogenen Forschung das Wort
reden. Wenn Forschung nicht angenommen wird, so
liegt es nicht immer automatisch am Forschenden oder
der jeweiligen Publikationsform. Allzu oft möchten
wir jedoch ein möglichst vollständiges, ein abge-
rundetes Bild von unserem Forschungsgegenstand, in
diesem Fall der historischen Stadt vermitteln. Dabei
wissen wir auch, dass wir bestenfalls Einblicke ver-
schaffen können. Nach außen propagieren wir noch den
Mut zum Fragmentarischen. Die Grenzen zwischen
einer historischen Bestandsanalyse und der Formulie-
rung von konkreten Handlungsdefiziten werden schon
innerhalb der eigenen Zuständigkeiten peinlichst einge-
halten.
Auf der anderen Seite steht nach wie vor die Fest-
stellung von Tilmann Breuer von 1982: „Erfassung und
Umgang mit Denkmalen sind eins“. Den Glauben an die
Macht einer präventiven Forschung mögen die meisten
von uns längst verloren haben. Erst durch die perso-
nellen Engpässe der letzten Jahre werden die organisa-
torischen Grenzen zwischen einer praktischen Denk-
malpflege hier und der Grundlagenforschung dort auf-
geweicht, ohne dass damit automatisch auch eine
methodische Klärung der Standpunkte einhergegangen
wäre. Allein dieser Perspektivwechsel mit seinen unter-
schiedlichen Anforderungsprofilen dürfte für das Ver-
ständnis der beiden Bereiche hilfreich gewesen sein,
ohne das immer latente Unverständnis zwischen Inven-
tarisator und Konservator vollends aufzuheben. Auf der
einen Seite der Inventarisator, der die Rückläufe des
Konservators vermisst, den die mangelnde Wahrneh-
mung oder bloße Instrumentalisierung der Forschungs-
ergebnisse deprimiert; auf der anderen Seite der Kon-
servator, dem eine schwerfällige Erschließung die Nut-
zung der Forschungsergebnisse verleidet, der statt
klaren Aussagen sich durch einen differenzierten For-
schungsstand quälen muss oder die für ihn notwendigen
Informationen schlichtweg vermisst.
Wie sehr Forschung und Praxis aneinander vor-
beileben können, zeigt die, neutral gesagt, „Umorgani-
sation“ der Denkmalpflege in Niedersachsen bei der
letzten Gesetzesnovellierung im Jahre 1998: Auf der
einen Seite wurden maßnahmenbezogene Vorgänge an
den Baudenkmalen ohne Unterbau und ausreichendes