Uwe Pleninger
Beobachtungen zur Werk- und Fasstechnik der Kanzel
81
87 Spannflächen an Standflächen, links: Kapitell der Kanzel aus Apen (Ludwig Münstermann, um 1625),
rechts: Relief vom Bordesholmer Altar (Hans Brüggemann, 1521).
weisen quadratische bis rechteckige Formen auf und
setzen sich zu einer Reihe zusammen (Abb. 85). Sie
sehen völlig anders aus als im späten Mittelalter bzw.
in der Frührenaissance. In dieser Zeit wurden die
Skulpturen auf sogenannten Rahmen- oder Docken-
bänken (vergleichbar mit Drehbänken) geschnitzt,
die auf der einen Seite eine zweizinkige Werkstück-
aufnahme und gegenüberliegend einen Dorn auf-
wiesen.5
Die anders gearteten Merkmale bei Münstermann las-
sen auf eine Weiterentwicklung der Werkbänke der
Holzbildhauer schließen. Es könnte aber auch eine
regionale Form (am 1521 datierten Bordesholmer
Altar sind ähnliche Einspannspuren zu sehen)6 oder
sogar eine nur für die Werkstatt Münstermanns spe-
zifische sein (Abb. 86).
Wahrscheinlich hat Münstermann einen Teil seiner
Schnitzwerke auf einer Drechselbank gefertigt. Ein
Eindruck an der Rodenkirchener Kanzel zeigt eine
starke Ähnlichkeit zur Mitnehmerscheibe einer sol-
chen (Abb. 85). Darüber hinaus sind hier zwei unter-
schiedliche Eindrücke zu sehen, die auf die parallele
Verwendung von zwei Werkbänken schließen lassen -
vielleicht ein Beleg dafür, dass mehrere Bildhauer an
der Kanzel gearbeitet haben7 (Abb. 87).
Hinweise auf mehrere ausführende Hände geben
auch die zum Teil erheblichen Qualitätsunterschiede
der einzelnen Schnitzereien, zumal es zu dieser Zeit
den Vorzug präzise arbeitender Maschinen noch nicht
gab. Die Messkontrolle anhand der Vorlage gestaltete
sich sehr aufwändig. Je genauer man sich an die
Vorlage hielt, desto mehr Messpunkte wurden ge-
braucht. Je feiner das Raster der Messpunkte war,
desto zeitraubender wurde das Messen von Hand.
Zwischen den Messpunkten wurde die Ausarbeitung
des Objektes dem Bildhauer überlassen, der in der
Lage sein musste, die richtigen Proportionen zu fin-
den und umzusetzen. Dadurch erhielt dieser aber
auch eine gewisse gestalterische Freiheit, die sich in
der Unterschiedlichkeit der Arbeiten der Münster-
mann-Werkstatt deutlich widerspiegelt.
Die Bildwerke lassen erkennen, dass Münstermann
und seine Mitarbeiter den Holzblock überwiegend
von vorn bearbeitet haben, da diese reliefartig ange-
legt sind. Es gibt aber auch Hinweise auf ein mehr-
seitiges Bearbeiten des Blocks, was beispielsweise an
Wappen haltenden Putti der Stifter und an den Putti
mit den Marterwerkzeugen nachweisbar ist.
Punktierverfahren
Münstermann beherrschte die proportionale Ver-
größerung bzw. Verbreiterung, was an den Arka-
denbögen des Kanzelkorbs ablesbar ist - ein Beleg
dafür, dass er verschiedene Punktierverfahren be-
herrschte. Er ging bei der Arbeit vermutlich folgender-
maßen vor: Sollte beispielsweise ein Relief geschnitzt
werden, übertrug er außer dem Aufpausen der zeich-
nerischen Vorlage meistens zusätzlich mit zwei Zirkeln
wichtige Punkte von der Zeichnung auf den Holz-
block. Bei vollplastischen Figuren benötigte er zum
Messen der Tiefen einen dritten Zirkel. Aus seiner
Vorlage übernahm er die Punktkoordinaten und bohr-
te unter ständigem Messen am entsprechenden Punkt
in den Block, um die Lage der Tiefe zu markieren.
Danach bearbeitete er den Block von mehreren Sei-
ten, was an den Einspannspuren, welche die Kloben
hinterließen, ersichtlich ist (Abb. 84).
Die Klobenspuren sind im Übrigen an allen dem Ver-
fasser bekannten Schnitzwerken von Münstermann
zu finden und sehen ähnlich aus. Beim Übertragen
der Punkte wurden außer den Vorlagen häufig Leisten
verwendet, auf denen die Strecken der Punkte festge-
halten sind. Von diesen Leisten-Maßstäben, bei
Alberti die sogenannten Hexempeda, konnten dann
mit einem Zirkel die benötigten Strecken übertragen
und geprüft werden. Dieses Verfahren ist erforderlich,
da die Zeichnungen auf dem Block beim Schnitzen
verloren gehen und Maße zur Kontrolle erforderlich
sind, um ein identisches Abbild der Vorlage zu erhal-
ten. Im Übrigen konnte sich der Künstler durch den
Einsatz dieses Instruments auf den Entwurf bzw. auf
die Herstellung eines Bozzetto (kleinformatiges plasti-
sches Modell) beschränken und die Ausführung der
Skulptur den handwerklich geschulten Mitarbeitern
seiner Werkstatt überlassen; was auch für die Arbeits-
weise der Münstermann-Werkstatt zumindest teilwei-
se anzunehmen ist.
Es gibt quellenschriftliche Belege zu den unterschied-
lichen Reproduktionsverfahren, die im 16. und 17.
Jahrhundert zur Anwendung kamen: Bei Leon Battista
Beobachtungen zur Werk- und Fasstechnik der Kanzel
81
87 Spannflächen an Standflächen, links: Kapitell der Kanzel aus Apen (Ludwig Münstermann, um 1625),
rechts: Relief vom Bordesholmer Altar (Hans Brüggemann, 1521).
weisen quadratische bis rechteckige Formen auf und
setzen sich zu einer Reihe zusammen (Abb. 85). Sie
sehen völlig anders aus als im späten Mittelalter bzw.
in der Frührenaissance. In dieser Zeit wurden die
Skulpturen auf sogenannten Rahmen- oder Docken-
bänken (vergleichbar mit Drehbänken) geschnitzt,
die auf der einen Seite eine zweizinkige Werkstück-
aufnahme und gegenüberliegend einen Dorn auf-
wiesen.5
Die anders gearteten Merkmale bei Münstermann las-
sen auf eine Weiterentwicklung der Werkbänke der
Holzbildhauer schließen. Es könnte aber auch eine
regionale Form (am 1521 datierten Bordesholmer
Altar sind ähnliche Einspannspuren zu sehen)6 oder
sogar eine nur für die Werkstatt Münstermanns spe-
zifische sein (Abb. 86).
Wahrscheinlich hat Münstermann einen Teil seiner
Schnitzwerke auf einer Drechselbank gefertigt. Ein
Eindruck an der Rodenkirchener Kanzel zeigt eine
starke Ähnlichkeit zur Mitnehmerscheibe einer sol-
chen (Abb. 85). Darüber hinaus sind hier zwei unter-
schiedliche Eindrücke zu sehen, die auf die parallele
Verwendung von zwei Werkbänken schließen lassen -
vielleicht ein Beleg dafür, dass mehrere Bildhauer an
der Kanzel gearbeitet haben7 (Abb. 87).
Hinweise auf mehrere ausführende Hände geben
auch die zum Teil erheblichen Qualitätsunterschiede
der einzelnen Schnitzereien, zumal es zu dieser Zeit
den Vorzug präzise arbeitender Maschinen noch nicht
gab. Die Messkontrolle anhand der Vorlage gestaltete
sich sehr aufwändig. Je genauer man sich an die
Vorlage hielt, desto mehr Messpunkte wurden ge-
braucht. Je feiner das Raster der Messpunkte war,
desto zeitraubender wurde das Messen von Hand.
Zwischen den Messpunkten wurde die Ausarbeitung
des Objektes dem Bildhauer überlassen, der in der
Lage sein musste, die richtigen Proportionen zu fin-
den und umzusetzen. Dadurch erhielt dieser aber
auch eine gewisse gestalterische Freiheit, die sich in
der Unterschiedlichkeit der Arbeiten der Münster-
mann-Werkstatt deutlich widerspiegelt.
Die Bildwerke lassen erkennen, dass Münstermann
und seine Mitarbeiter den Holzblock überwiegend
von vorn bearbeitet haben, da diese reliefartig ange-
legt sind. Es gibt aber auch Hinweise auf ein mehr-
seitiges Bearbeiten des Blocks, was beispielsweise an
Wappen haltenden Putti der Stifter und an den Putti
mit den Marterwerkzeugen nachweisbar ist.
Punktierverfahren
Münstermann beherrschte die proportionale Ver-
größerung bzw. Verbreiterung, was an den Arka-
denbögen des Kanzelkorbs ablesbar ist - ein Beleg
dafür, dass er verschiedene Punktierverfahren be-
herrschte. Er ging bei der Arbeit vermutlich folgender-
maßen vor: Sollte beispielsweise ein Relief geschnitzt
werden, übertrug er außer dem Aufpausen der zeich-
nerischen Vorlage meistens zusätzlich mit zwei Zirkeln
wichtige Punkte von der Zeichnung auf den Holz-
block. Bei vollplastischen Figuren benötigte er zum
Messen der Tiefen einen dritten Zirkel. Aus seiner
Vorlage übernahm er die Punktkoordinaten und bohr-
te unter ständigem Messen am entsprechenden Punkt
in den Block, um die Lage der Tiefe zu markieren.
Danach bearbeitete er den Block von mehreren Sei-
ten, was an den Einspannspuren, welche die Kloben
hinterließen, ersichtlich ist (Abb. 84).
Die Klobenspuren sind im Übrigen an allen dem Ver-
fasser bekannten Schnitzwerken von Münstermann
zu finden und sehen ähnlich aus. Beim Übertragen
der Punkte wurden außer den Vorlagen häufig Leisten
verwendet, auf denen die Strecken der Punkte festge-
halten sind. Von diesen Leisten-Maßstäben, bei
Alberti die sogenannten Hexempeda, konnten dann
mit einem Zirkel die benötigten Strecken übertragen
und geprüft werden. Dieses Verfahren ist erforderlich,
da die Zeichnungen auf dem Block beim Schnitzen
verloren gehen und Maße zur Kontrolle erforderlich
sind, um ein identisches Abbild der Vorlage zu erhal-
ten. Im Übrigen konnte sich der Künstler durch den
Einsatz dieses Instruments auf den Entwurf bzw. auf
die Herstellung eines Bozzetto (kleinformatiges plasti-
sches Modell) beschränken und die Ausführung der
Skulptur den handwerklich geschulten Mitarbeitern
seiner Werkstatt überlassen; was auch für die Arbeits-
weise der Münstermann-Werkstatt zumindest teilwei-
se anzunehmen ist.
Es gibt quellenschriftliche Belege zu den unterschied-
lichen Reproduktionsverfahren, die im 16. und 17.
Jahrhundert zur Anwendung kamen: Bei Leon Battista