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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Restaurierung des Plenarsaals: 300 Jahre Oberlandesgericht Celle — Hameln: Niemeyer, Heft 38.2011

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Zur Baugeschichte des Gerichtsgebäudes
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https://doi.org/10.11588/diglit.51158#0016
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Die Restaurierung des Plenarsaales

achse des Gebäudes liegt. Auch im Obergeschoss ist
die Grundrissstruktur symmetrisch gehalten. Flure
führen entlang des Plenarsaales in die angrenzenden
Gebäudeteile.
Die Weiterentwicklungen im Justizwesen setzten sich
fort. Beispielsweise war das Oberappellationsgericht
schon ab 1840 auch für Strafsachen zuständig und
die hannoversche Justizreform von 1850/52 bewirkte
einen weiteren Ausbau (= Geburtsjahr der Amtsge-
richte und der Einführung mündlicher Verhandlun-
gen).37 Eine beengende Raumnot stellte sich damit
bald wieder ein.
Das alte Kanzleigebäude erfuhr ab 1851 eine Aus-
und Überbauung zum Amtsgericht und ist, ähnlich
wie sein westlicher Nachbar, ebenfalls in Anlehnung
an einen italienischen Palazzo im Rundbogenstil er-
richtet worden.38 Heute hat sich vom historischen
Amtsgerichtsbau im Wesentlichen das Erdgeschoss
mit seiner Quadergestaltung erhalten, da bereits
1928/29 die Fassaden der Obergeschosse vereinfacht
wurden.39
Um der anhaltenden Raumnot des Oberappellations-
gerichts zu begegnen, wurde in den 1850er Jahren
ein Erweiterungsbau für 40.000 Taler projektiert, der
jedoch später, aufgrund der zu hohen Kosten, aufge-
geben werden musste.
Ab Ende 1854 wurde eine erneute Erweiterungspla-
nung erstellt, an der sich der damalige Vizepräsident
von Düring maßgeblich beteiligte.40
„Gründlich, sorgfältig und fachkundig wie immer
hatte v. Düring alles aufs genaueste erwogen, so daß
beispielsweise auch der Vorschlag nicht fehlte, durch
Zumauerung der Verbindungstür zwischen dem Ple-
narsaal und dem Zimmer des Oberstaatsanwalts [-
östliche Querwand] Raum für ein etwa künftig zu ver-
leihendes Bildnis Georgs V. zu gewinnen [...].'""
Nachdem am 24. Juli 1856 die Ausbauarbeiten be-
schlossen werden konnten, folgte die Umsetzung in
den Jahren 1857-59.
Landbauinspektor Otto Christian Eichhorn wurde zur
Erstellung des Erweiterungsbaus herangezogen. Er
war bereits ab 1848 im Distrikt Celle als Unterstüt-
zung Heinrich Ludwig Krügers tätig. Nach dem Aus-
scheiden Krügers war der Dienstposten des Distrikt-
vorstandes für zwei Jahre nicht besetzt, so dass Eich-
horn dessen Aufgaben übernahm. Ab 1852 wurde
Eichhorn in seinem Amt bestätigt und erhielt fortan
Unterstützung vom Landbaukondukteur Rudolf
Friedrich August Witting und ab 1857 vom Land-
baukondukteur E. G. Heins. Nach weiteren Änderun-
gen in der Verwaltungsstruktur des Landbaudistrikts
in den Jahren 1858, 1863 und 1867 blieb Eichhorn
leitender Distriktbeamter, bis er 1871 in den Ruhe-
stand ging und 1873 starb.42 Auch Eichhorn findet in
der Gunkelschen Festschrift von 1911 als Architekt
Erwähnung. Darüber hinaus tragen viele Planzeich-
nungen die Unterschrift des Landbauinspektors. Die

in der Mühlenstraße 8 errichtete Celler Hebammen-
lehranstalt (das Gebäude beherbergt heute das Amts-
gericht) wird ebenfalls Eichhorn zugeschrieben.
Der Erweiterungsbau des Gerichts blieb mit einem
Kostenaufwand von 28.229 Talern „[...] Flickwerk, da
er mit Rücksicht auf die Finanzlage nur zweigeschos-
sig in einer Länge von 20,40 Metern an den Altbau
angeschlossen werden durfte."43 Damit wurde die
ursprünglich nach Norden geöffnete Dreiflügelanlage
mit einem formal angeglichenen Erweiterungsbau ge-
schlossen. Dieser springt etwas zurück und verzichtet
auf einen ornamentalen Zierfries, auch die Fens-
tergewände sind einfacher gehalten.44 Es konnten so
unter anderem vier Sitzungssäle, diverse Zimmer für
den Senatspräsidenten und die Oberstaatsanwalt-
schaft erstellt werden. Zwischen den beiden Sälen im
Erdgeschoss des neuen Nordflügels blieb noch eine
Durchfahrt zum nun geschaffenen Innenhof frei.
Zur Erschließung des Erweiterungsbaues mussten die
nördlichen Treppenhäuser der beiden angrenzenden
Altbaugebäudeflügel von den Durchgängen jeweils in
die Raumfluchten verlegt und diverse Zimmerbe-
legungen geändert werden. „Die sich westlich und
östlich an den Plenarsaal anschließenden früheren
Sitzungssäle wurden Dienstzimmer des Chefpräsiden-
ten und des Oberstaatsanwalts."45
„Die Senatspräsidenten erhielten eigene Zimmer, die
anderen Richter wurden nicht berücksichtigt. Sie
mußten in ihrer Wohnung arbeiten und nach wie vor
ihre Akten von ihren Dienern zwischen Gericht und
Wohnung hin- und hertragen lassen."46 Am 7. März
1859 erfolgte die Einweihung.
1866 wurde das Königreich Hannover preußische Pro-
vinz. Das Celler Oberappellationsgericht erfuhr die
Degradierung zu einem preußischen Appellationsge-
richt und wurde fortan dem Berliner Oberappella-
tionsgericht unterstellt.47 Trotz dieser für Celle uner-
freulichen Entwicklung hielt der Ausbau des Gerichts-
wesens an, welche auch an die Industrialisierung und
die damit verbundene allgemeine Bevölkerungsent-
wicklung gekoppelt war. „Celle war im 19. Jahrhun-
dert die sechstgrößte Stadt im Königreich Hannover
(nach Hannover, Hildesheim, Emden, Lüneburg und
Osnabrück). Es zählte 1810 in der Altstadt 3.700 Ein-
wohner, 1864 [bereits] 5.300, mit den Vorstädten
[belief sich die Bevölkerungszahl auf] 14.900. "48
Nach der Reichsgründung von 1871 erhielt das Ge-
richt wieder den Rang eines Oberappellationsgerichts.
Zum 1. Oktober 1879 erfolgte die Umbenennung der
Bezeichnung Oberappellationsgericht in „Oberlandes-
gericht".
Trotz anhaltender Enge erfolgte 1887 lediglich eine
Aufteilung des vierten Sitzungssaales im ersten Ober-
geschoss des Erweiterungsbaues zu einzelnen Büro-
 
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