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Kimpflinger, Wolfgang; Neß, Wolfgang; Zittlau, Reiner; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das Fagus-Werk in Alfeld als Weltkulturerbe der UNESCO: Dokumentation des Antragsverfahrens — [Hannover]: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 39.2011

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3. Begründung für die Eintragung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51160#0076
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3. Begründung für die Eintragung


Abb. 97: Steiff GmbH, Giengen/Brenz, Fabrikgebäude, 1904-1908 (Foto um 1920)

andergesetzt, die, als Kernaufgabe in einer In-
dustriegesellschaft, dazu berufen war, Moderni-
tät zu zeigen. Vor allem in Amerika suchte und
fand Gropius zu dieser Zeit moderne Industrie-
bauten, von denen er Fotografien sammelte und
die er auf Vorträgen und in Zeitschriftenartikeln
als vorbildlich präsentierte. Dazu gehörten in be-
sonderem Maße die in dieser Zeit in Amerika
entstehenden monumentalen Getreidesilos
aus Beton, aberauch Beispiele von „daylight fac-
tories", von denen hier nur der riesige, 1903-
1905 entstandene Werkskomplex der „United
Shoe Machinery Corporation" in Bever-
ly/Massachussets erwähnt sein soll. Dieser Ent-
wurf von Ernest L. Ransome galt zu seiner Zeit
als der weltweit größte in Beton ausgeführte In-
dustriebau und als vorbildlichste Fabrik über-
haupt. Die Beziehungen nach Amerika waren
auch von Seiten des Unternehmers Carl Ben-
scheidt eng: Im Zuge seiner Firmengründung
1910 konnte er die United Shoe Machinery Cor-
poration in Boston als Partner und vor allem als
Geldgeber gewinnen, ohne deren Beteiligung
die Gründung der Fagus GmbH überhaupt nicht
möglich gewesen wäre. So intensiv der Blick
nach Amerika sowohl von Seiten des Firmen-
gründers als auch von Seiten seines Architekten
gewesen ist, so sind unmittelbare Auswirkun-

gen auf das Fagus-Werk in Alfeld nur in ökono-
mischer und produktionstechnischer Hinsicht zu
konstatieren, nicht aber im Hinblick auf die Ar-
chitektur, denn die von einer nüchternen,
zweckmäßigen Modernität gekennzeichneten
amerikanischen Industriebauten der Zeit haben
mit dem künstlerischen Anspruch und den ar-
chitekturtheoretischen Voraussetzungen des Fa-
gus-Werks nur die unbedingte Sachlichkeit ge-
meinsam. Beton, Stahl und Glas waren sowohl
in Amerika als auch in Europa um 1910 fest eta-
blierte Baustoffe des Industriebaues und hatten
in vielen Einzelelementen, die sich auch am Fa-
gus-Werk wiederfinden, zu bereits bemerkens-
werten architektonischen Lösungen gefunden:
Wollte man die Glasfronten des Fagus-Werks,
wie es Gropius später selbst tut, als curtainwall
bezeichnen, so findet man sie in Berlin bereits
voll ausgebildet in der ansonsten historistisch
überladenen Fassade des Kaufhauses Tietz
(Bernhard Sehring 1899-1900). Einen pragma-
tisch modernen Umgang mit dem Baustoff Glas
zeigen auch die architektonisch anspruchslosen
Glasbauten der Steiff-Werke in Giengen/Brenz
von 1904 und 1908, bei denen eine zweischa-
lige Glashaut mit dazwischenliegender Stahl-
konstruktion die Arbeitsräume sowohl strom-
sparend belichtet, als auch raumklimatisch gut

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