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Möller, Hans-Herbert [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das Vieweg-Haus in Braunschweig — Hannover: Niedersächs. Landesverwaltungsamt, Heft 5.1985

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Hagen, Rolf: Die Gründung von Campes Schulbuchhandlung und die Übersiedlung des Vieweg-Verlages nach Braunschweig
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https://doi.org/10.11588/diglit.50503#0009
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Die Gründung von Campes Schulbuchhandlung und die
Übersiedlung des Vieweg-Verlages nach Braunschweig
Rolf Hagen

Es waren zweifellos mehrere recht unterschiedliche Gründe,
die den erfolgreichen Verleger Friedrich Vieweg veranlaßten,
seine am 1. April 1786 in Berlin eröffnete Verlagsbuchhand-
lung nach Braunschweig - wie er es selbst ausdrückte - zu
„verpflanzen“1. Entscheidende Voraussetzungen für seinen
folgenreichen Schritt, sein erst im Herbst 1794 erworbenes
Haus zu verkaufen und sich in Braunschweig niederzulas-
sen, bildeten drei völlig verschiedenartige Tatbestände: die
Unzufriedenheit mit der Handhabung der Zensur in Preußen,
enge verwandtschaftliche Bindungen in Braunschweig und
1 günstige Angebote des regierenden Herzogs Karl Wilhelm
Ferdinand.
Eine nicht unwesentliche Ursache für Viewegs Unzufrieden-
heit mit dem Standort Berlin muß sicher in den Hemmnissen
gesehen werden, die er von der streng geübten Zensur zu
gewärtigen hatte. Obwohl er sich anscheinend nicht unmit-
telbar zu diesem Thema geäußert hat, ist doch bekannt, daß
er bereits am 5. Mai 1794 in einem Gesuch an den König
Friedrich Wilhelm II. von Preußen um die Aufhebung der
durch die Zensur bedingten Handelsbeschränkungen bitten
mußte2. Obzwar seine Eingabe Erfolg hatte, mußte er wohl
mehrfach „erhebliche Geldstrafen“ hinnehmen3. Wie ernst
diese Situation für den Buchhandel war, geht aus der
Tatsache hervor, daß nur wenige Jahre früher, nämlich
1788/89, Friedrich Nicolai sich mehrfach bemüht hatte, we-
gen „Zensurschwierigkeiten“ in Berlin durch Vermittlung Jo-
hann Joachim Eschenburgs eine Braunschweiger Buch-
handlung zu erwerben, um sich dort niederzulassen4.
3 Welche Rolle bei Viewegs Übersiedlung nach Braunschweig
der Umstand spielte, daß er seit dem 27. Oktober 1795 mit
4 Charlotte Campe, der einzigen Tochter des hier ansässigen
Philanthropen, Schriftstellers und Verlegers Joachim Hein-
rich Campe, verheiratet war, läßt sich an den erhaltenen Do-
kumenten nur schwer ablesen. Leyser legt mit der Bemer-
kung „Campe ertrug die Trennung (von seiner Tochter,
d. Verf.) nicht lange“ die Auffassung nahe, daß die
verwandtschaftliche Bindung für den Ortswechsel zumin-
dest mitbestimmend gewesen sei5. Doch wird man sich fra-
gen müssen, ob ein erfolgreicher Unternehmer von 34 Jah-
ren nur aus familiären Gründen die Risiken und Kosten einer
Geschäftsverlegung auf sich genommen hätte. Unter ande-
rem Aspekt erscheint die Angelegenheit, wenn man berück-
sichtigt, daß Campe von dem „großen Umfange“ seiner Ge-
schäfte spricht und davon, daß seinem Verlag - abgesehen
von der nicht unerheblichen eigenen schriftstellerischen Pro-
duktion - jährlich „drei- bis vierhundert Bücher“ zur Veröf-
fentlichung angeboten werden6. An dieser Stelle ist deshalb
auf die Entstehung seiner „Braunschweigischen Schulbuch-
handlung“ einzugehen, die gewiß eine wichtige Vorausset-
zung für Viewegs Schritt nach Braunschweig bildete und
bald ein nicht unwesentlicher, in der Darstellung der Verlags-
geschichte aber stets vernachlässigter Bestandteil des Vie-
weg-Verlages werden sollte.
2 Joachim Heinrich Campe7, 1746 im braunschweigischen
Deensen geboren, Absolvent der Landesuniversität Helm-

stedt, hielt sich nach einem unruhigen Wanderleben von sei-
nem damaligen Wohnsitz Trittow - heute Trittau - bei Ham-
burg kommend, auf einer Reise in die Schweiz im August
1785 in Braunschweig auf8. Hier trat Herzog Karl Wilhelm
Ferdinand9, zu dessen Charakterisierung an dieser Stelle nur
angeführt werden kann, daß er Gotthold Ephraim Lessings
Leben durch dessen Berufung an die Wolfenbütteler Biblio-
thek eine entscheidende Wendung gab10, mit dem erfolgrei-
chen Jugendschriftsteller, dem damals schon der Ruf vor-
ausging, ein „führender Vertreter philanthropischer Erzie-
hungstheorie und -praxis“ zu sein11, in Verbindung. Das Er-
gebnis der ersten Unterredungen, das für die Urteilskraft und
Aufgeschlossenheit der beiden Beteiligten spricht, wird aus
dem Schreiben des Herzogs vom 22. Oktober 1785 an
Campe ersichtlich: er wünscht ihn „in hiesigen Landen nie-
dergelassen zu wissen“ und bittet um Vorschläge zur Erzie-
hung seiner Söhne12. Auf einen weiteren erstaunlich vertrau-
ensvollen Brief Herzog Karl Wilhelm Ferdinands vom 3. De-
zember 178513 folgen schon wenig später Campes erste
„Vorschläge zur Schulverbesserung“, die der Geheime Se-
kretär Johann Paul Mahner an den Geheimen Rat Karl Au-
gust von Hardenberg, der eine nicht unwesentliche Rolle bei
den künftigen Verhandlungen spielen sollte, am 17. Dezem-
ber desselben Jahres weiterleitete14. Wesentlicher Bestand-
teil dieser Vorschläge war ein „ Dreifacher Plan zu einer zu er-
richtenden Schul Buchhandlung“15. Campe entwickelte in
4 Paragraphen seine Vorstellungen von der Einführung bes-
serer Schulbücher, von dem durch die Handlung vermehrten
Geldumlauf, von der Möglichkeit jährlich wenigstens 20 bis
30000 Taler „fremdes Geld ins Land zu ziehen“ und von der
Organisation des Verlages, der auch die „gangbarsten Cam-
peschen Verlags Artikel“ mitbringen solle, „welche allein
schon durch Fortsetzung und neue Auflagen sicher über
12000 Thlr. fremdes Geld ins Land ziehen“. Er erklärt, daß
„die bloßen Druck- und Papierkosten sich jährlich an 7000
Thlr. und darüber belaufen, weil einige meiner Schriften jedes
mahl zu 5000, andere zu 6 bis 8000 Exemplaren aufgelegt
werden“16.
Über den Stand der Verhandlungen berichtete Campe be-
reits am 30. November 1785 an Johann Caspar Lavater:
„Der aufgeklärte und sehr edel denkende Herzog von Braun-
schweig ruft mich unter den großmüthigsten Bedingungen in
sein Land, übergiebt mir, bis ich selbst einen anderen Auf-
enthalt für mich wählen werde, sein Schloß zu Salzdahlum,
schenkt mir ein Kanonikat und versichert mir ein ganz unab-
hängiges Leben bei selbstgewählten Geschäften. Für das
alles will er nichts, als meinen Rath zur Verbesserung des
Schulwesens“17. Campe erhielt die Erlaubnis, die Schul-
buchhandlung „in dem ehemaligen Schlosse zu Wolfenbüt-
tel zu etabliren“, das 1770 bis 1776 schon Lessing als Woh-
nung gedient hatte. Erwählte „Zum Waarenlager die ehema-
lige Hofconditorei; 2. zur Wohnung des Buchhändlers und
seiner Familie die sogenannten Pagenzimmer, die daran an-
stoßende Wachtstube und die nebenliegende Küche; 3. Zu
einem Abtretungszimmer für mich das Zimmer des Hofkel-
lermeisters; 4. zum Comtoirdie Zimmer des Hofsecretärs“18.

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