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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 20.1902

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Bach, Max: Hans Multscher, Bildhauer und Maler?
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https://doi.org/10.11588/diglit.15935#0014

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Truchseß von Woldburg mehrere vor-
treffliche Gemälde jvon Hans Multscher
gesehen.

Die Bilder gehörten einst einem Flügel-
altar an, dessen^ plastische Mittelgruppe
verschollen ist, sie bestehen jetzt ans acht
Tafeln und maren wie folgt angeordnet:
Innere Seite:

Geburt ! Anbetung
der Könige
Pfingstfest J Tod Mariä
Außen:

Christus am Oelberg i Pilati Handwaschung

Kreuztragung ! Auferstehung

Am inneren rechten Flügel beim Tod
der Maria zieht sich über die ganze Breite
des Bildes folgende Schrift in schönen
gothischen Minuskeln: „bitte. got. für.
Haussen. muoltscheren . von . richenhofen .
burger . ze ulm . haut. dz. werk. gemacht.
do . man . zalt . M° . CCCC . XXXVII.
Ain Anfang links steht eine Hausmarke,
wahrscheinlich das Wappen des Mult-
scher, oder wenn man will, sein Steinmetz-
zeicheu.

In dem Zwickel über der Säule der
Bogenarchitektur desselben Gemäldes be-
findet sich ein Kreuz mit Doppelbalken,
welches stets als das Wappen der Hospi-
täler erscheint. 2 Das würde darauf Hin-
weisen, daß Multscher seinen Altar in
die Kapelle des Hospitals zu Ulm gestiftet
hat. Aus der Art und Weise der An-
bringung und Fassung der Inschrift, so-
wie aus dem Fehlen irgend welcher Pa-
trizier- oder Stifterwappen u. s. w. glaube
ich mit Recht annehmen zu müssen, daß
Multscher nicht allein der Fertiger, son-
dern auch der Stifter des Altars ist.

Wie steht es aber nun mit der zweiten
Inschrift? ' Friedläuder glaubt darin ein
untrügliches urkundliches Zeugnis; zu er-
kennen, für die Doppeleigenschaft des
Meisters als Maler und Bildhauer. Ich
möchte dazu noch ein großes Fragezeichen
setzen! Die Flüchtigkeit und Unvoll-
ständigkeit der Schriftcharaktere, ihre für
die Zeit ungewöhnliche Form, der Ort,
wo die Schrift angebracht ist'u. s. w. läßt
Zweifel an der Gleichzeitigkeit der In-
schrift aufkommen. Wäre es nicht mög-
lich, an eine spätere Ueberarbeitung, ähn-
lich wie beim Karg'schen Altar zu denken
oder bezieht sich die Inschrift lediglich

auf die plastische Mittelgruppe, ivelche
das Hauptstück des Altars bildete? Das
sind Fragen, die ohne genaue Facsimilir-
nug und Untersuchung der Inschrift nicht
gelöst werden können.

Anders liegt aber die Sache, wenn man
die Berliner Bilder mit den Stertzinger
Tafeln vergleicht. Die treffliche Publi-
kation der photographischen Gesellschaft
und die dem Friedländer'schen Aufsätze
beigegebenen Photographien lassen das
in einer Weise bewerkstelligen, wie man
es nicht besser wünschen kann; dazu kommt
noch der günstige Umstand, daß beide
Altarwerke fünf Darstellungen gemeinsam
haben und zwar: Geburt Christi, An-
betung der Könige, Christus am Oelberg,
Kreuztragung rmd Tod Mariä.

Jeder unbefangen Vergleichende muß
sofort auf den Gedanken kommen; ist es
möglich, daß ein und derselbe Meister
diese Bilder gemalt haben kann! So-
weit man bis jetzt den Entwicklungsgang
eines Meisters des 15. Jahrhunderts hat
beobachten können, sind immer die fort-
spinnenden Fäden seines Weiterschreitens
in sehr bescheidener Progression erkennbar
gewesen. Niemals ist ein so drastischer
Unterschied, eine so auffällige Weiter-
entwicklung seines Schaffens und Kön-
nens innerhalb 20 Jahren beobachtet
i worden.

Friedländer sagt: „Wenn fast alle

Beobachtungen dem Malmerk des um
\ 1457 geschaffenen Stertzinger Altars
höhere Reife, gewachsenes Können, ge-
klärten Schönheitssinn, zugestehen, so hat
die Schöpfung von 1437 doch etwas voraus

— überschäumenden Neichthum, federnde
Spannkraft und den Reiz des Wagnisses".

— „Die rein stilkritische Demonstration,
daß beide Schöpfungen von einer Hand
seien, scheint kaum möglich."

Ganz richtig, aber Friedländer hat etwas
Wesentliches übersehen; man beachte doch
die Köpfe der Kriegsknechte bei der Kreuz-
tragung, der Geißelung, der Oelbergscene
u. s. w. auf den Stertzinger Bildern;
dieselben sind fad und langnasig, ohne
Individualität, ohne Detaillirung der
Formen, häßlich karikirt. Run vergleiche
man aber damit die analogen Köpfe der
Berliner Bilder und nehme dazu noch die
I Köpfe der zuschanenden Menge bei der
 
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