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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 26.1908

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Nr. 1
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Baur, Ludwig: Katholische Kirchenkunst und moderne Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15941#0009
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Ueransgegeben und redigiert voo Universitäts-Professor Vv. La„r in Tiil'iiigc».
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Katholische Kirchenkunst und
moderne Kunst.

Bon Prof. lör. Ludwig Baur, Tübingen.

I.

P r i u zi p i e l l e G r u n d fr a g e n.

„Die kirchliche Knnstübnng, die auf der
Tradition heiliger Jahrhunderte ruht, wird
sich der allmählich weiterschreitenden Ent-
wicklung nicht verschließen dürfen, will sie
anders lebensfähig und zeugungsfähig
bleiben." !) Gewiß! Die katholische
Kirche hat sich niemals einem ganz be-
stimmten Stil verschrieben, um ihn in
exklusivem Sinn zu pflegen und als den
einzig zulässigen zu bezeichnen. Die Ge-
schichte der christlichen Kunst würde laut
dagegen protestieren. Wir sehen einen
allerdings langsam aber konsequent voran-
schreitenden Wechsel von Syrien, Rom,
Ravenna, Byzanz und' ihren Stilarten
bis herauf zur romanischen Baukunst, zur
Golik, zur Renaissance und den Nach-
renaissancestilen. Der Wechsel vollzog
sich, ohne daß die Kirche, d. h. die Gesetz-
gebung der Kirche, irgendwie eingegriffen
hälle. Jede neue Stilart, die innerhalb
der Kirche gepflegt wurde, trat auf, nicht
in Opposition zur Kirche, zu ihrem Geiste,
zu ihren Gesetzen, sondern in Opposition
zum vorangegangenen Stil, vollzog sich
also ans rein künstlerischem Boden. So
können wir sagen: Es gibt keine Slil-
sorm, die für sich das Privilegium der
Kirchlichkeit iu Anspruch nehmen könnte.
August Neichensperger, der exklusive Bor-

') Hofma»» in der Jahresmappe d. Ges. f.
christl. Kunst, 1906.

! kämpfer der Gotik und energische Be-
kämpfer aller anderen Stile, war im Un-
recht. Niemanden fällt es heute mehr
ein, die nichtgotischeu Stilarten als an
sich schon unkirchlich zu brandmarken.

Also ist die Frage „katholische Kirche
und moderne Kunst" kein Problem mehr?
, Oder sie ist nur deswegen ein Problem,
weil Unverstand und zäher Konservatis-
mus eines daraus machen? Biele glauben
es und meinen, mit dem Hinweis auf diese
allmählich banale Wahrheit, daß die
Kirche keinen Stil privilegiere, sei olles
' gelöst. Sie ziehen das Fazit: Laßt die
Künstler gewähren! — Sachte! Wir wollen
uns das doch noch überlegen. Einmal
können wir nicht übersehen, daß auch in
den vergangenen Stilen, wie z. B. im
' Barock, in den Details der Bauformen,
oder in der Malerei der Renaissance und
späteren Kunst, ja selbst im romanischen
und gotischen Stil, gewisse Einzelerschei-
nungen des Stils selbst — wir können
sie ruhig als Auswüchse bezeichnen —
mindestens etwas Unerfreuliches, Undeli-
kates und Taktloses, wo nicht direkt Un-
dezentes an sich haben, das sich mit dem
Charakter der Kirche und der Aufgabe
der Kunst in der Kirche nicht vertragen
will. Ein großer Teil des künstlerischen
Schaffens hängt eben auch vonr ästheti-
schen und theologischen Taktgefühl ab. —
Schon daraus sehen wir, daß ivir etwas
vorsichtig sein und manche Ausscheidungen
und Reserven machen müssen.

Zweifellos ist die Kunst eine gewisse
Form der Knltnräußerung; es spricht ein
bestimmter Geist ans ihr. Nun war das
‘ Mittelalter in der glücklichen Lage, von
 
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