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Der Affenspiegel: satyrische Wochenschrift — 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.48272#0030
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Seite 4.

„Der Affenspiegel".

Heft 3.

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Die Sonne der Ironie leuchtet über dem politischen
Horizont, der bei den meisten Diplomaten leider schrecklich
beschränkt ist, so daß sie immer im Schatten ihrer Dumm-
heit stehen. Wir Civilisten, die wir uns zum Unterschiede
von den Civil-listen nur mit einem l schreiben, freuen uns.
Worüber? Ja, wo soll man denn anfangen? Erstens ein-
mal über China! — Sie verstehen das nicht? Sie wissen
wohl das Allerneueste noch nicht? Vom Grafen Waldersee
und der chinesischen Kaiserin? Das wissen Sie nicht? Na,
ich bitte Sie. Denken Sie nnr an das Märchen vom jungen
Prinzen und der verzauberten Königstochter. Es konnte ja
gar nicht anders kommen. Er jung, schon, feurig, schwär-
merisch, sie, verwunschen, hold, begehrenswert und reich-
Sie verstehen immer noch nicht? Bedaure, dann kann ich
es Ihnen nicht weiter erzählen. Denn Verständnis muß
man beim Politisieren besitzen, und vor allen Dingen
Phantasie, wenn man von chinesischer Ueberbrettlpolitik spricht.
Aber das Neueste von Südafrika wissen Sie dach?
Auch nicht? Der Krieg ist beinahe schon zn Ende. Die
Offiziere kämpfen nicht mehr weiter, weil sie nachhause
müssen, sich von ihren ungetreuen Frauen scheiden zu lassen.
Die Soldaten haben den Kanonenkoller, eine neue Krankheit.
Kennen Sie nicht? Das ist ein unbehagliches Gefühl in
den.Gedärmen, das sehr nachteilig für die eventuelle Wäsche
ist. Die Krankheit ist eine Begleiterscheinung des rauchlosen
Pulvers. Verstanden? Kitchener wird eine Stelle als
deutscher Leibgendarm erhalten. Die Uniform ist schon be-
stellt. Die britischen Soldaten werden in London an die
Witwen und Waisen, die nicht unter acht Jahren alt sind,
öffentlich nm den Selbstkostenpreis abgegeben. Dewet wird
König von Transvaal, und König Dickerich von England
wird Oberprotektor aller Bordells in Südafrika. Er ist
vollkommen einverstanden mit dieser Lösung. Um die Engli-
sierung der Afrikaner zu beschleunigen, gehen bereits große
Transporte von englischem Whyski und Ladeis aus London
Westend nach Pretoria ab. — Das haben Sie Alles noch
nicht gehört? Merkwürdig! Da können Sie sehen, wie
gut es ist, wenn man seine Spezialberichterstatter in der
ganzen Welt hat. —
In Spanien wendet sich übrigens bereits Alles zum
Gute». Die Königin will einen Urenkel Gambettas heiraten
und am Hochzeitstage alle Revolutionäre mit Kuchen und
Chokolade bewirten. Die Soldaten haben sogar den Auftrag
erhalten, Bomben herzuschenkeu, wozu eigens in aller Eile
Kanonen fabriziert werden. Bei den am Sonntag stattge-
fnndenen Wahlen sind alle Sozialisten mit Friedenspfeifen
im Munde und Palmen in den Fäusten zu den Urnen ge-
gangen. — Das Schönste aber ist in Serbien passiert. Sie
wissen schon? Aha, das wissen Sie. Aber Sie wissen nicht

Alles. Die Geburt ist mißglückt, das haben Sie erfahren
Aber das, was bei der Nachgeburt passiert ist. wissen Sie
sicherlich nicht. Nein? Nun, ich weiß es auch nicht; man
hat mir blos geschrieben, daß die Nachgeburt stündlich er-
wartet wird. — Von Deutschland wollen Sie auch etwas
hören? Denken sie sich, die bäuerische Polizei ist einem
Verbrechen auf die Spur gekommen! Aber böse Buben
haben die Spur wieder verwischt. Ja, ich sage Ihnen, die
bösen Buben in Deutschland, die richten viel Unheil an.
Ganz besonders aber in Oesterreich. Da hat einer die
polnischen Magnaten Spitzbuben genannt! Und da soll das
Volk noch an eine Autorität glauben! Wie? Das Ansehen
der Krone? Nein, mein Lieber, das sinkt nicht. Die Kronen
in Oesterreich bleiben immer in Ansehen, weil sie gut ge-
prägt sind. Allerdings ist ein halber Gulden nicht viel für
eine Krone. Aber eine österreichische Krone — ich bitte
Sie! x>ropo8, wissen Sie, daß Possart sechzig Jahre alt
geworden ist? Man sollte es nicht glauben, wenn er es
nicht selbst gesagt hätte. Und die Weltgeschichte läuft immer
noch ihren alten Gang! Ist nicht einmal stehen geblieben
bei dem freudigen Ereignis. Freudiger wäre das Ereignis
noch, wenn es schon hundert Jahre alt wäre, denn — na,
ich will nichts gesagt haben.
Uebrigens, das Münchener Volksbad ist doch etwas
Wunderbares, nicht wahr? Gestern ist Herr Rosipal dort
zn Besuch gewesen. Ec fand es großartig — für das Volk.
Der Eintrittspreis wird jetzt auf 3.?>0 Mk. Pro Kopf er-
mäßigt. Ich habe aber jetzt keine Zeit mehr. Das Nächstemal
Neues. Es sind eben Privattelegramme vom Fürsten von
Hinteristavan eingelaufen. Der sinkt nm eine Stellung nach
als Redakteur beim „Affenspiegel", weil er das ewige
Regieren und Sich—lächerlich—machen satt hat. Er will
auch einmal Andere lächerlich machen. Wie? Das glauben
Sie nicht? Ich auch nicht. Schluß! ^. ..




Michels Debüt.
Der Michel hatte im Oberammergauer Passionsspiel einmal die Nolle des Christus
übernommen. Bekanntlich muß er am Kreuze zuletzt in die Worte ansbrcchen: „Es ist
vollbracht". Gerade dieser kleine Satz machte dem Michel die größten Schwierigkeiten,
da er ihn absolut nicht im Gedächtnis behalten konnte. Bei der Vorstellung nun sprach
Michel fortgesetzt, um die Worte nicht zu vergessen, leise vor sich hin: „Es ist voll-
bracht. — Es ist vollbracht. — Es ist etc. etc." Endlich kam sein Stichwort —
„Es ist prachtvoll" stöhnt Michel und stirbt. Islri—Xri.
 
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