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Der Affenspiegel: satyrische Wochenschrift — 1901

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Roloff.


^A -^KV -V-

Von Robert Hepmann.

Es siel ein Schuß im Morgenrot —
Da schrecken die Philister auf —
In Straßen nnd Plätzen steht Hanf an Hanf
Die Masse wie ein stürmend' Meer,
Das zürnend prallt an Fels und Wehr.
Die armen Narren mit Weib und Kind,
Der reichen Prasser verhungert Gesind —
Die armen Narren schreien nach Brot! —
Am Himmel brennt das Morgenrot — — —
Die Spießer verriegeln Thür und Thor
Und stopfen sich Watte ins schmutzige Ohr,
Die Satten sperren die Fenster zu
.. Und prüfen die Riegel an Kastell und Truh' — —
„Brot!" schreien die Narren — „Brot!" und „Brot"! —
Am Himmel glüht das Morgenrot-
Tie stoßen u-nd drängen gell Garten und Haus,
„r Srurmstut schwillt das dumpfe Gebraus:^
> wulM — oie scyrecNlche Not
' Verzehrt uns! Ihr Hunde, so gebt uns Brot!"
Und immer nur: „Brot!!" — Und dann und wann
Ans einem Steine ein bleicher Mann:
„Die Pest Euch, Ihr Satten!" — Die Masse horcht auf —
Und „Tod und Teufel! Schließt uns auf!
> Ihr habt Euch gemästet, wir wurden krank —
So gebt uns jetzo Brot und Trank!
Gebt uns von Eurem weichen Bett,
D'rin Eure Dirnen geil und fett!
Ihr habt zu viel — so laßt uns ein,
Sollst schlagen wir Euch die Schädel ein!" —
Die Masse horcht auf — und wieder ein Ruf:
„Der Gott, der Alle frei erschuf,
Der wollte weder Herrn noch Knecht',
Ihr aber schändet das Menschenrecht!"
Die Masse horcht auf — doch bleibt sie noch stumm,
Eill Flüstern nur läuft im Kreise um —
Und wieder ein And'rer: „So schlagt sie tot!!" —
Am Himmel blutet das Morgenrot-

Ein kurzes Kommando — und stille sind
Die jungen Soldaten — und: „Feuer!" — da rinnt
Das Blut durch die Gasse. — Es löst sich der Hanf
Wildschreiend in fluchende Gruppen auf —
Sie fliehen. — Fern hallt es noch — „Brot!" — -
Wohl zwanzig liegen am Pflaster tot! — — —
Von fernher surrt ein seltsamer Laut —
Das Volk ist's, das Barrikaden Laut!
Die Blaujacken stutzen — die Stunde rinnt —
Nun rücken sie vor. — Hier liegt ein Kind,
Im Blute zermalmt. — Da ächzt ein Weib —
Sie stampfen im Takt auf den zuckenden Leib —
Sie rücken schweigend die Straße vor —
Dann halten sie an. — wächst es empor,
Ganz nah, ganz dicht, im Fluge erbaut,
Und rechts und links, wohin man schaut,
Barrikaden in stummem, frechem Hohn,
Und oben die Fahne der Revolution —
Mit dampfendem Menschcnblut genetzt!

Und Totenstille — — Ein Amselschlag
Im blühenden jungen Sommertag —
Daun dröhnt der Wirbel — es knallt ein Schuß —
Die drüben erwidern den blutigen Gruß — —
„Zum Sturm!" — — Ein toller Augenblick —
Ein schreckliches Ringen — — sie müssen zurück!
Da rasselt heran ein schweres Geschütz —
„Ergebt Euch!" — „Nie!!" — Ein kurzer Blitz
Aus ehernem Schlunde der Mitrailleus'
Ein Krach — und dann ein wildes Getös —
„Zum Sturm!" — Und wieder, vom Blute erhitzt,
Sie lausen und springen, mit Blut verschwitzt,
An Löchern und Steinen geht's keuchend hinauf —
Und oben steht stumm der finstere Haus' —
Die fechten wie Löwen — ganz still — kein Schrein —
Nur die Geschütze donnern darein
Ihr blutiges Feuer, als heule der Sturm — —

„Ihr gebt dem Armen die Löhnung nicht,
Ihr laßt ihn krepieren, Ihr Hundegezncht,
Ihr laßt ihn verfaulen bei lebendem Leib,
Ihr schändet des Armen verzweifeltes Weib,
Ihr mordet ihm seine Kinder dahin
Für Eurer Beutel verfluchten Gewinn,
Ihr raubt ihm die Habe nach Junkerbranch
Und laßt ihn verrecken für Euren Bauch,
Und seinen gestohlenen blutigen Lohn
Verpraßt im Spiel Euer Hnreusohn!
Fluch Euch, Ihr Bestien! Fluch und Tod!
Sv gebt Enern Opfern doch wenigstens Brot!!"
Die Masse murrt — — und Plötzlich ein Schrei,
Wie das zornige Brüllen des Wüstenleu:
„Tod Euch!" — Es blitzen die Beile im Licht,
Und eine Thüre polternd zerbricht —
Sie schlagen mit Kolben die Läden ein
Und plündern den Bäcker im Sonnenschein —
„Brot!! — Brot!!" — Ein gellender Jubelschrei —
Sie zerren den Bäcker im Hemde herbei — —

Da staut sich am Platze der wilde Hanf —
Sio rennen zurück in verworrenem Lauf —
„Sie kommen!" — „Wer kommt??" — Im Takte ein
Tritt —
Sie halten maschinenmäßig Schritt —
Es blitzen die Helme im Sonnenschein — —
Und dumpfe Schwüle — da fliegt ein Stein —
Es kollert ein Helm in den Straßenkot —
Ein Schuß — „Was? — Blei!" — „Wir wollen Brot!"
Ein Hagel von Steinen dnrchsaust die Lust,
Soldaten stürzen — der Führer ruft

Da plötzlich wankt der steinere Turm —
Ein Blitz — ein Knattern — ein schrecklicher Schrei —
Und Staub und Glieder — — dann ist's vorbei-
Nur auf den Trümmern das Bajonett
Feiert ein blutiges Siegesbankctt — — —
So endet in allen Straßen der Kampf,
Und langsam verzieht sich der Pnlverdampf.
- Ganz still ist's — ein Winseln — wohl noch ein Schrei,
Wo einem im Leibe das wühlende Blei,
'Wo eine Mutter ihr säugendes Kind
Erwachend zur Masse zertreten sindt —
Dann wieder Ruhe. — — Und Sonnenschein
Legt golden sich über die Hänserreih'n — — —
Der Spießer öffnet leis das Thor
Und schaut sich nm und schleicht hervor
Und grinst vergnügt und rutscht im Blut
Und grüßt den Nachbar nnd zieht den Hut
Und schnupft und spuckt vor den Toten aus
Und öffnet bedächtig Laden und Haus — — —
Es geht das Geschäft — der Handel blüht,
Der Junker gedeiht wie ein edles Gestüt,
Der arme Mann wird nicht mehr rot,
Erbettelt er sich ein Stückchen Brot,
Zieht wieder ergeben wie's liebe Vieh
Den Schinderkarren der Bonrgoisie — —
Es dampfen die Schlöte im reichen Paris,
Der Prasser irdischem Paradies,
Und täglich zieht im Morgenrot
Paris hindurch der bleiche Tod —
Und täglich liegt einer stumm nnd starr
Im Bauch von Paris — ein verhungerter Narr —-

wir sind von verschiedenen Seiten aufgefordert worden, ein Porträt
des Herrn Trambahndirektors Hippe zu bringen — warum wissen wir nicht,
wir teilen den Petenten mit, daß sich keiner unserer Maler entschließen
konnte, den Herrn Trambahndirektor zu porträtieren, weil — na, wir sind
vernünftige Leute und wollen das nicht sagen. Allein nachdem wir in der
That den Herrn Trambahndirektor gerne — verewigen würden, malen wir
unfern lieben Lesen hiemit sein — schriftliches Bild. Also — der Herr
Trambahndircktor ist ein — Sie wollen uns verklagen, Herr Hippe? Bitt'
Sie, wir haben ja gar nichts gesagt! — Der Herr Trambahndirektor ist eine
angesehene Persönlichkeit, weil er sich von niemanden anschauen läßt, was
er sich leisten kann, weil er Geld hat. Sie wollen wisse», liebe Leser, woher
er das Geld hat? wer wird denn so neugierig sein! Alle Züge des Herrn
Trainbahndirektors können wir Ihnen doch nicht zeichnen. Jedenfalls hat

er Geld und überdies untersteht ihm die Münchener Trambahn, somit alle
Schaffner und Entgleisungen. Auch der momentane Rangierbahnhof, der
die respektable Fläche der Ludwigsstraße, von der Theresienstraße angefangen
bis zur Galleriestraße, einnimmt, ist sein —Eigentum. Sein Werk? Erlauben
Sie, das wissen wir nicht, und überdies wollen wir den Magistrat nicht
compromittieren. Ferner besitzt der Herr Hippe alle Sommerwägen in
München — — Wie? Sie meinen, wir entwerfen Ihnen ein miserables
— Porträt? Aber wir müssen Ihnen doch die Wahrheit sagen, liebe Leser,
wie? Ihr kennt jetzt schon den Herrn Hippe? So — könnt Ihr ihn Luch
also vorstellen? Gut. Was? Ihr habt genug? Na, offen gestanden, wir
schon lange, und zwar nicht von dein Herrn Hippe, i beileibe nicht, sondern
von den Sommerwägen. Uebrigens, die Sommerwägen werden abgeschafft-
Ihr seid baff?
Beruhigt Luch, das ist blos ein schlechter Witz. Sollten wir Euch etwa
das Porträt des Herrn Trambahndirektors unvollständig geben? —

ZM Kitte Bachi im Wimmel. MZ
Line wahre Geschichte aus den nebligen Gebieten.

Ich habe in der vorigen Nummer des Affenspiegel abgebrochen,
als ich mich in Gesellschaft eines himmlischen Gensdarmen befand.
Meine Leser werden dies verzeihen und hoffentlich nicht denken, daß
ich die ganzen acht Tage mich mit diesem himmlischen Gensdarmen
in Ten himmlischen Gefilden Herumgetrieben hätte. LMollinA! Ob-
gleich die Nacht, die ich im Himmel war, sehr lange dauerte
— himmlische Nächte dauern immer lange an — so habe ich doch im
gründe wenig erlebt, da die Schafsköpfe, welche von dieser Erden in
den Himmel kommen, sich verflucht wenig ändern. Doch ich will nicht
abschweifen, sondern mein Erlebnis mit dem himmlischen Gensdarmen
weiter schildern. Als derselbe seine berechtigten Zweifel bezüglich
meiner chinesischen Missionsthätigkeit äußerte und ich nicht sofort
-tworten konnte, kam mir plötzlich eine phänomenale Idee.
„Sie meinen, Herr Gensdarm", sagte ich, „ich sei kein echter
Missionär gewesen, weil ich keine Boxerschädel bei mir hätte? Sehen
Sie nicht u'der Missionar in China hat Zeit und Muße gehabt, sich
Boxerschädel zu reservieren. Erstens haben die europäischen Truppen
allc - ve euvmmcn. besonders die Offiziere, die die Schädel als
-k. » lk > , ff,- ihre Bräute nnd Frauen gesammelt. Zweitens, Herr
M d mu, hat ein chinesischer Missionar so viel zu stehlen, daß ihm
'cksi- Zejf bleibt, Boxerköpfe zu sammeln. Uud es ist kein leichtes
Mck Ar" t, in China zu stehlen-, wo so viele Offiziere und wohl-
slwtiuir ..- Soldaten sich aufhalten! Natürlich nehme ich die Deutschen
Regel aus, weil — je nun, gesehen hab ich's nicht und
M ch ' neu gezeigt, daß ich wahr- und wahrhaftig ein Missionar
b ü und . e können mich ruhig in die inneren Gefilde des Himmels
wandern lassen".
„Was haben Sie denn dort zu thuu?" frug weiter der Gestrenge.
„Ich habe eine himmlische Mission zu erfüllen, Herr Gensdarm"
anr ortete ich. „Erstens habe ich das königliche Engelchen zu suchen,
das berc' s im intimsten Mutterleibe Draga Maschius in die himm-
lischen Gefilde entflohen — es sind sechzehn Leiborden auf seine Auf-
snl ng gesetzt —, zweitens hat man mir die Aufgabe gestellt, einen
Pvi üker an Himmel zu suchen, der so blöd ist wie Pobjedouosszew
— gewiß keine leichte Aufgabe —, drittens soll ich einige Dutzend
PliGe für Münchner Trambahnschaffner reservieren nnd zwar im
Auürage der Münchener Trambahndirektion, die die Schaffner mit
Freibillets zu versehen gedenkt, viertens soll ich zehn Ehrenjnngfrauen
für den Empfang Waldersees suchen, weil man in Deutschland keine
findet, die stark genug wären, den Empfang ohne Schaden für ihre
Gesundheit zu überleben, und fünftens bin ich beauftragt, nach der
deutschen Freiheit zu fahnden — wieder ein heilloses Stück Arbeit —
die sich seit etlichen fünfzig Jahren geflissentlich verborgen hält.
Einige behaupten, der alte Liebknecht habe sie mitgenommen, andere
sagen, die Alexandriner hätten sie lebendig gebraten nnd verspeist,
wieder andere wollen sie im Schlafzimmer des Herrn Röhren ge-

sehen haben und etliche meinen gar, sie spiele mit den — türkischen
Staatsanwälten, die die Freiheit so sehr lieben, allabendlich Skat;
daß hinwiederum Gerüchte umgehen, die alte Viktoria habe sie in
ihrem Unterrock mit in den Himmel genommen, oder sie sei plötzlich
am Herzschlag gestorben, als sie die jüngste Rede Bülows gehört,
oder sie sei die Maitresse des Kosakenkaisers geworden, will
ich nur so nebenbei erwähnen".
„Na, mein Lieber" antwortete gerührt der himmlische Gensdarm,
„wenn Sie sich solch schwierige Aufgaben gestellt haben, will ich Sie
nicht länger aufhalten. Aber einen guten Rat lassen sie sich von
einem himmlischen Gensdarmen geben: Suchen Sie nicht länger nach
der deutschen Freiheit. Das ist eine arme Witwe, die keinen Mann
mehr findet. Wahrscheinlich giebt es in Deutschland keine Männer
mehr. Jedenfalls ist es gefährlich, sehr gefährlich, nach ihr zu fahnden,
und es thäte mir leid um Sie —"
„Ich bin Ihnen für Ihre Warnung sehr dankbar" antwortete
ich, „allein so tragisch nehme ich die Sache nicht. Denn man läßt
in Deutschland, besonders aber in Preußen, denen, die die Freiheit
suchen, alle nur erdenkbaren Privilegien zu teil werden-"
„Vielleicht weil man weiß, daß die deutsche Freiheit nicht auf-
zufinden ist".
„Kann sein. Jedenfalls werde ich mich nicht beirren lassen,
sie zu suchen. Die verdammte Reaktion aber wenn ich irgendwo
finde, spieße ich sie mit der nächsten Mistgabel auf!"
Iin-. MMetz-NNs"" <iomm»rte der bimmlifchs Gensdurm ..wollen —
Sie Deutschland entvölkern? Die arme Reaktion! Was hat sie Ihnen
denn gethan? Es läßt sich doch so gut mit ihr leben! Man ißt,
trinkt, liest die Berliner Post oder die evangelische Vereinszeitung,
schläft mit Madame Huber bis zum Morgen nnd sendet Ansichts-
postkarten nach Ostasien. Wollen Sie noch mehr?"
„Ja" fing ich an zu fluchen. „Ich will — ich will die — —"
„Halt, halt", schrie der himmlische Gensdarm, „sagen Sie
nicht, was Ihnen auf der Zunge liegt — sagen Sie es nicht!"
Der Arme zitterte am ganzen Leibe. Obgleich ich ein ganz
unschuldiges Wort sagen wollte, behalte ich es nun doch für mich
und überlasse es den Interessenten, sich auszudenken, was ich sagen
wollte. Ich nahm Abschied von dem himmlischen Gensdarmen.
„Adjen, mein Lieber", sagte ich, „ich weiß, daß Sie ein himm-
lischer Gensdarm sind und freue mich darüber".
„Und warum wissen Sie das?" frug er erstaunt.
„Weil Sie so höflich waren" antwortete ich, „der beste Beweis,
daß Sie ein durch nnd durch himmlischer Gensdarm sind". Der
Himmlische verstand mich nicht; ich aber ging, vor Allem die deutsche
Freiheit zu suchen.
Wenn ich eine Spur von ihr entdeckt haben werde, will ich
es meinen Lesern mitteilen.
Ick.


pulvx Ksx.

Sie suchten ihn die ganze Nacht,
Nutex hielt sich verkrochen
Und lachte nur. — Plebejerinacht
Hat manchen schon zerstochen.
L. F. L. PH.

Am Leib der Königin hielt der Floh
Sein blutig-schauriges Nachtmahl,
Und spielte Impresario
Für Darwinistische Zuchtwahl.

Dein Leib ist mir der Helikon,
Ans Hippokrenenadern
Trink ich den warmen Liebesbronn
Und Du willst mit mir hadern?

Pfui! Demokrat mit rotem Blut,
Dn saugst an blauem Geblüts — —
Ach, laß mich nur. Ls thut so gut,
Nur ist so weh im Gemüts.

Ich bin ein Dichter, Du weißt es ja,
Man nennt mich rynisch Krates;
Sei Du mir als Hipparchia
Die Buhle meines Staates.

Mein ganzer Barrikadentrieb
War nur feudale Sehnsucht;
Die Dekadenten hab ich lieb,
Wie eine Magd ihre Weh'nfrncht.

Entsetzt sprang da die Edle ans
Und klingelt' nach dem Lakaien. —
Der taumelt aus dein Schlafe auf
Mit Fluch nnd Maledeien.

Ich liebe Dich, Dn Azurweib,
Und Deine illustren Glieder,
Ich küsse Deinen Ahnenleib
Und kose an Deinem Mieder.

„Befehlen, königliche Hoheit?"
Such hier von diesem Pfühle
Den Floh, der voller Rohheit
Schändet meine Gefühle.
 
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