Allgemeine Kunst- Chronik.
263
Die wackeren Münchener, deren prächtiges Zu-
sammenspiel auch schwache Stücke und weniger gute
Einzelkräfte annehmbar machte, verließen, an Beifall und
Ehren reich, das Carltheäter und machten dort dem
Gastspiel der gefeierten Düse Platz, zu deren Lob an
dieser Stelle gelegentlich ihrer letzten Anwesenheit schon
so viel gesagt wurde, dass zu loben fast nichts mehr übrig
bleibt. Und doch verdient ihre Klotilde in „Fernande"
neues, begeistertes Lob.
In dem hübschen Ausstellungstheater führte
L'Arronge seine Gesellschaft vom Berliner „Deutschen
Theater" vor. Wenig befriedigend in den „klassischen"
Stücken, klassisch dagegen im leichten Lustspiel, fast so
gut wie am Burgtheater. In „Stella" war Josef Kainz
der Stern, obgleich die Rolle des schwachen, zwischen
Liebe und Pflicht schwankenden Fernando nicht zu den
dankbaren gehört. Kainz vereinigt in der That seltene
Vorzüge: jugendlich feuriges Temperament, reifes künst-
lerisches Verständnis, Natürlichkeit, Deutlichkeit der Aus-
sprache, kräftiges und gutgeschultes Organ, angenehme
Bühnenerscheinung. Erst von dem Augenblicke an, als
Kainz auf die Bühne trat, interessirte man sich für das, was
da oben vorging, ja die ersten von ihm gesprochenen Worte
waren auch die ersten, welche ich verstand. Alle Szenen vor
seinem Auftreten waren für mich stummes Spiel und nicht
sehr ausdrucksvolles. Teresina Gessner (Stella) ist, seitdem
sie Österreich verlassen, wol älter, auch voller geworden, das
hübsche Mädchen wurde ein schönes Weib ; aber künstlerisch
reifer ist sie nicht geworden; den in sie gesetzten Er-
wartungen hat sie nicht entsprochen: in lyrischen Stellen
eintönig, im Affekt unzureichend an Kraft des Ausdrucks,
im Ganzen schablonenhaft, ohne Eigenart; Mittelgut, wie
die übrigen Mitspielenden, nur von ihrer Rolle über die-
selben emporgehoben. In den „Mitschuldigen" erregte
Georg Engels als Wirt einige Aufmerksamkeit durch
die Art, wie er die Verse mundgerecht zu machen wusste.
In Ernst von Wolzogen's Lustspiel „Die Kinder der
Exzellenz", nach dessen besserem Roman in Gemein-
schaft mit William Schumann bearbeitet — dem Stück fehlt
das Beste vom Roman: die Bazarszene — bildet die Lei-
stung des letztgenannten Künstlers als Major v. Muzell das
Hervorragendste des Abends, aber auch die Gesammt-
aufführung verdient volles Lob. Die Damen Hedwig
Meyer und Elsa Lehmann als Töchter der Exzellenz
und Hermann Nissen als Deutsch-Amerikaner sind neben
Engels namentlich zu erwähnen. Die übrigen Vorstellungen
des „DeutschenTheaters" : „DasWintermärchen", „Dr. Klaus"
und die einen Abend füllenden „Neuvermälten", „Quintus
Horatius Flaccus", „Ein Hut", brachten keine Überraschung.
Die mit Ausnahme des Horatius hier bekannten Kleinig-
keiten wurden gut gespielt, „Ein Hut" wie immer sehr
belacht.
Das Ausstellungstheater,
Im Theater an der Wien spielte Fräulein Lejo
in „Heißes Blut" die Rolle der Palmay und überraschte
angenehm durch ihre Leistung. Man gab sich dem Reize
ihrer gewinnenden Anmuth ebenso willig gefangen wie
dem pikanten Wesen und den Zauberkünsten ihrer be-
liebten Landsmännin. — Donnerstag den 18. d. M. stellten
sich Fräulein Sophie David (als Rose Friquet) und Herr
Pagin im „Glöckchen des Eremiten" dem Publi-
kum vor. Es fehlte beiden nicht an Beifall. Fräulein David
War in den zwei ersten Akten schauspielerisch sehr gut,
spielte nur etwas zu viel und erinnerte mich dadurch lebhaft
an Minnie Hauck in dieser Rolle; im letzten Akte schien
sie nicht nur verändert, sondern eine Andere, auch in der
Stimme. Es macht sich eine gewisse Unausgeglichenheit
in der Stimme wie im Spiel bemerklich, welche die junge
Künstlerin überwinden muss, um harmonisch befriedigende
Wirkung erzielen zu können. Herr Pagin wurde den An-
sprüchen seiner Rolle vollständig gerecht. Herr J osephi
war vortrefflich bei Stimme, sang und spielte gut wie immer.
Dass ich trotzdem keine rechte Freude an ihm haben
kann, liegt wol an mir. Dagegen hat er sichtlich sehr viel
Freude an sich selbst. Fräulein Lejo genügte für ihre
Rolle und erntete an vielen Stellen großen und ver-
dienten Beifall. Chor, Orchester und Ausstattung waren
befriedigend, die ganze Vorstellung leidlich gut. Nichts-
destoweniger möchte ich der Theaterleitung rathen, bei der
Operette zu bleiben und auf die Aufführung von komischen
Opern zu verzichten.
Herr Blasel hat wieder einmal mit Glück eine alte
Posse ausgegraben. „Ein Blitzmädel" vpn Costa mit
Musik von Millöcker gelangte am Montag im Cari-
theater zur Aufführung. Fräulein Augustin gefiel sehr
in der Titelrolle, besonders als Marquise und verkleidete
Tänzerin. In denselben beiden Akten war Herr Blasel
als Abbe und Balletmeister vorzüglich. Herrn Knaack's
Professor im letzten Akte war eine Prachtgestalt. Neben
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Die wackeren Münchener, deren prächtiges Zu-
sammenspiel auch schwache Stücke und weniger gute
Einzelkräfte annehmbar machte, verließen, an Beifall und
Ehren reich, das Carltheäter und machten dort dem
Gastspiel der gefeierten Düse Platz, zu deren Lob an
dieser Stelle gelegentlich ihrer letzten Anwesenheit schon
so viel gesagt wurde, dass zu loben fast nichts mehr übrig
bleibt. Und doch verdient ihre Klotilde in „Fernande"
neues, begeistertes Lob.
In dem hübschen Ausstellungstheater führte
L'Arronge seine Gesellschaft vom Berliner „Deutschen
Theater" vor. Wenig befriedigend in den „klassischen"
Stücken, klassisch dagegen im leichten Lustspiel, fast so
gut wie am Burgtheater. In „Stella" war Josef Kainz
der Stern, obgleich die Rolle des schwachen, zwischen
Liebe und Pflicht schwankenden Fernando nicht zu den
dankbaren gehört. Kainz vereinigt in der That seltene
Vorzüge: jugendlich feuriges Temperament, reifes künst-
lerisches Verständnis, Natürlichkeit, Deutlichkeit der Aus-
sprache, kräftiges und gutgeschultes Organ, angenehme
Bühnenerscheinung. Erst von dem Augenblicke an, als
Kainz auf die Bühne trat, interessirte man sich für das, was
da oben vorging, ja die ersten von ihm gesprochenen Worte
waren auch die ersten, welche ich verstand. Alle Szenen vor
seinem Auftreten waren für mich stummes Spiel und nicht
sehr ausdrucksvolles. Teresina Gessner (Stella) ist, seitdem
sie Österreich verlassen, wol älter, auch voller geworden, das
hübsche Mädchen wurde ein schönes Weib ; aber künstlerisch
reifer ist sie nicht geworden; den in sie gesetzten Er-
wartungen hat sie nicht entsprochen: in lyrischen Stellen
eintönig, im Affekt unzureichend an Kraft des Ausdrucks,
im Ganzen schablonenhaft, ohne Eigenart; Mittelgut, wie
die übrigen Mitspielenden, nur von ihrer Rolle über die-
selben emporgehoben. In den „Mitschuldigen" erregte
Georg Engels als Wirt einige Aufmerksamkeit durch
die Art, wie er die Verse mundgerecht zu machen wusste.
In Ernst von Wolzogen's Lustspiel „Die Kinder der
Exzellenz", nach dessen besserem Roman in Gemein-
schaft mit William Schumann bearbeitet — dem Stück fehlt
das Beste vom Roman: die Bazarszene — bildet die Lei-
stung des letztgenannten Künstlers als Major v. Muzell das
Hervorragendste des Abends, aber auch die Gesammt-
aufführung verdient volles Lob. Die Damen Hedwig
Meyer und Elsa Lehmann als Töchter der Exzellenz
und Hermann Nissen als Deutsch-Amerikaner sind neben
Engels namentlich zu erwähnen. Die übrigen Vorstellungen
des „DeutschenTheaters" : „DasWintermärchen", „Dr. Klaus"
und die einen Abend füllenden „Neuvermälten", „Quintus
Horatius Flaccus", „Ein Hut", brachten keine Überraschung.
Die mit Ausnahme des Horatius hier bekannten Kleinig-
keiten wurden gut gespielt, „Ein Hut" wie immer sehr
belacht.
Das Ausstellungstheater,
Im Theater an der Wien spielte Fräulein Lejo
in „Heißes Blut" die Rolle der Palmay und überraschte
angenehm durch ihre Leistung. Man gab sich dem Reize
ihrer gewinnenden Anmuth ebenso willig gefangen wie
dem pikanten Wesen und den Zauberkünsten ihrer be-
liebten Landsmännin. — Donnerstag den 18. d. M. stellten
sich Fräulein Sophie David (als Rose Friquet) und Herr
Pagin im „Glöckchen des Eremiten" dem Publi-
kum vor. Es fehlte beiden nicht an Beifall. Fräulein David
War in den zwei ersten Akten schauspielerisch sehr gut,
spielte nur etwas zu viel und erinnerte mich dadurch lebhaft
an Minnie Hauck in dieser Rolle; im letzten Akte schien
sie nicht nur verändert, sondern eine Andere, auch in der
Stimme. Es macht sich eine gewisse Unausgeglichenheit
in der Stimme wie im Spiel bemerklich, welche die junge
Künstlerin überwinden muss, um harmonisch befriedigende
Wirkung erzielen zu können. Herr Pagin wurde den An-
sprüchen seiner Rolle vollständig gerecht. Herr J osephi
war vortrefflich bei Stimme, sang und spielte gut wie immer.
Dass ich trotzdem keine rechte Freude an ihm haben
kann, liegt wol an mir. Dagegen hat er sichtlich sehr viel
Freude an sich selbst. Fräulein Lejo genügte für ihre
Rolle und erntete an vielen Stellen großen und ver-
dienten Beifall. Chor, Orchester und Ausstattung waren
befriedigend, die ganze Vorstellung leidlich gut. Nichts-
destoweniger möchte ich der Theaterleitung rathen, bei der
Operette zu bleiben und auf die Aufführung von komischen
Opern zu verzichten.
Herr Blasel hat wieder einmal mit Glück eine alte
Posse ausgegraben. „Ein Blitzmädel" vpn Costa mit
Musik von Millöcker gelangte am Montag im Cari-
theater zur Aufführung. Fräulein Augustin gefiel sehr
in der Titelrolle, besonders als Marquise und verkleidete
Tänzerin. In denselben beiden Akten war Herr Blasel
als Abbe und Balletmeister vorzüglich. Herrn Knaack's
Professor im letzten Akte war eine Prachtgestalt. Neben