4
P e r k e o.
Heut Owcnd is also
Sylveschter, d'r letscht im
Johr un am Zwölfe verkünde
die Glocke un die Musikante
vun de Thürm runner, daß 's
Johr 1887 in's Meer d'r
Vergessenheit hinabgsunke is;
mit ihm viel Freud, awer
aach viel Kummer un Leid.
Non, m'r wolle mit d'r feschte
Hoffnung uns niwerschwinge
heut Owend in's neue Johr
gsund, fröhlich, glücklich un
— dorschiig zu bleiwe wie's
im alte Johr d'r Fall war.
Hoffentlich Werre uns aach
die Russe (die zweebeenige
nämlich) in Ruh losse, eweso
die „Madam France", weil
vorläufig alle beide ziemlich
viel in ihrer Haushaltung zu
dhun un sunscht noch e manchs
Plätz'l zu säuwere, korzum
die Händ voll Aerwet hawe,
eh se die schtrapaziös un koschtschpielig Rees noch Berlin un
Wien unnernemme. De Schlesier hott m'r deß am Syl-
veschterowend aach bei uns so beliebte „Werfle" die Dääg
unmöglich gemacht, dann in Schlegel im Kreis Neurode is
noch d'r Schlesische Zeitung en Werrth wege „Glückschpiels"
vnm Schöffengericht freigschbroche, vun d'r Schtrofkammer
awer bschtroft worre, weil er geduld hott, daß sein Gäscht
's Bier rauswersle. Gut Nacht drum Werflschpiel, wann's
im Norde anfängt „unknoblig" zu werre, dauerts nimmi lang
un bei uns geht d'r gleich Wind, reschpektive aach unser
Werrth gehn dem gleiche Schicksal entgege. Drumm:
Bekränzt mit Trauerflor den Würfelbecher,
Geschwungen fröhlich in so mancher Nacht,
Ihr Knochen hochgeehrt vom deutschen Zecher,
Ein jähes Ende ist euch zugedacht.
Vergeblich schützten euch die Wackern Schöffen,
Der Staatsanwalt schritt den Berufungspfad —
Läßt Du beim „Knobeln" Dich im Wirthshaus treffen,
So büßt der Wirth des Glückspiels arge That.
Was fein ersonnen war im Würflerkreise
Mit regem Geist und unermüdem Witz,
Die „Arten" die bestimmten fest und weise,
Sie sind gewesen nun und nicht mehr nütz.
Du Pasch mit ohne oder mit Schikanen,
Hausnummer, Segnens, Drahtseil, nackter Spatz
Schließt eure „Augen", Friede euren Manen,
Wo ihr jetzt wallt, da gehts dem Wirth verkratzt.
In Bayern zählt man Mogeln zu den nobel»
Passionen bei des Zwickens keckem Jeu,
In Preußen darf man nicht einmal mehr knobeln
Um's Bier — der Staatsanwalt ist in der Näh!
So nehmt den Dank für das was in den langen
Decennien Gutes uns von euch geschah —
Ade ihr Würfel! Auf dem Grabstein prangen
Soll dieses Wort: ffuoba sst ulsa!
Wer also in Schlesie nit uff's Schtrofkammerbänk'l will,
der muß de Werflbecher mit schtiller Verachtung schtrofe un
wann's en manchmool noch so sauer ankummt; norr schmachtende
Blick derf erm noch zuwerfe, do dagege hott d'r Herr Schtaats-
anwalt nix einzuwenne. Weil m'r also an d'r Jahreswende
sin, ruf ich Euch all Ihr liewe Lcserinne un Leser e herz-
lichs „Prosit Neujohr" zu, mit dem Verschpreche aach im
neue Johr treu un fleißig Euch all deß Luschtige mitzutheile,
was vorkummt, oßder sunscht mein Herz bewegt, damit Ihr
mit m'r zufriede seid. Awer aach an die Worte möcht ich
Euch heut erinnere:
Ewig gleich ist Nichts auf Erden,
Alles keimt, gedeiht und fällt.
Was gelebt muß Asche werden
Und aus Auche keimt die Welt.
Wieder ist des Frühlings Wonne
Und des Sommers Gluth dahin,
Eingeheimst des Herbstes Segen,
Den uns Mutter Erd' verlieh'n.
Auszuruh'n von großen Mühen,
Legt zur Ruh' sich die Natur;
Und wo sonst die Blumen blühen,
Siehst heut Eis und Schneefeld nur.
Doch im Busen wohlgeborgen,
Glimmet noch ein Lebenslicht,
Das in nicht gar fernen Tagen
Neue Frühlingslust verspricht.
Wie der Strahl der gold'nen Sonne
Durch die finstern Wolken bricht,
Glühet auf zu höhrer Wonne,
Süßer Freude Himmelslicht.
Was uns die Natur nicht bietet,
Kahl und öde ringsumher.
Das ersetzen Freudenfeste,
Gnadenreich und inhaltsschwer.
Gnadenreiche Weihnachtsfeier,
Schönstes Fest der Christenheit!
In des Winters Todenschleier
Birgst du Glück und Seligkeit,
Wenn in trautem Elternkreise
Buntgeschmückt der Christbaum prangt,
Saget an, gibt's höh're Wonne,
Wenn verklärt das Kind Euch dankt?
Inhaltsschwere Jahreswende
Bringt des Ernstes Wiederkehr;
Weihnachtsjubel hat ein Ende,
Manches Herz ist wieder schwer.
Schauend auf vergangenes Wirken,
Auf vergangenes Geschick,
Rufet in dir die Erinnerung
Manche Freud', manch Leid zurück.
Möge nur ein neues Streben
Leiten dich in's neue Jahr;
Alle Kraft, die dir gegeben.
Zu verwerthen immerdar;
Recht und Tugend stets zu üben.
Bis dich birgt des Grabes Ruh,
Und aus liebevollem Herzen
Ruf ich Allen „Glück auf" zu.
Lesefrucht.
Wohl ist schön die Tugend durch sich. Doch wisse, das Unglück
Träuft der Vollendung Oel auf die Geweihten herab, v. Halem.
Verantwortlicher Redakteur: Philipp Klausner, Heidelberg.
Druck und Verlag von Wurm L Pfeffer in Heidelberg.
Gin verbittertes Herz.
Roman von Adolph v. Plattenstein er.
4) (Fortsetzung.)
Die Gnädige und der Rittmeister waren sich ihrem
Aeußern gleichgeblieben, aber wie sehr hatte sich Ellen in
diesen wenigen Monaten verändert. Das fröhliche Naturell
war dahin, nur selten mehr verzog sich der Mund zu einem
Lächeln, und wenn es geschah, so ruhten ganz gewiß die
großen, finnigen Augen auf einem Gegenstand, den sie selbst
nicht sahen, oder richteten sich sehnsuchtsvoll in's Weite, als
hofften sie dort des Räthsels Lösung zu finden.
Der Gnädigen entging dieser traumhafte Zustand nicht.
— Sie sagte zwar nichts darüber, aber daß es ihr viel
Sorge und schlaflose Nächte machte, läßt sich kaum bezweifeln.
Sie wußte nur zu gut, daß es ihrem Bruder nicht gelungen,
Ellen's Herz zu gewinnen. Ihre einzige Hoffnung beruhte
darauf, daß Ellen seine Vorzüge mit der Zeit zu würdigen
wissen wird.
Ellen hatte — wie es sich die Gnädige stillschweigend
im Herzen gelobt, bis jetzt alle nur erdenkbare Freiheit ge-
nossen. Fast täglich ging sie allein in den Wald, und zwar
in die hohe Tannengasse, und doch diente es nur dazu, ihren
Zustand bedenklicher zu machen.
Der Rittmeister in seiner alten Unerfahrenheit merkte
leider nichts davon und die Gnädige hütete sich, ihn darüber
aufzuklären. Somit nichts ahnend warb er um Ellens Hand,
und Ellen, die ihr Herz viel zu wenig kannte, hatte aus
Dankbarkeit „Ja" gesagt und heute — war der Hochzeitstag.
Die Trauung, so wollte es die Gnädige, sollte im
Schlosse vollzogen werden, dem Frühgottesdienste aber wollten
die Herrschaften in der Pfarrkirche noch beiwohnen.
Der Rittmeister half den Damen in den Wagen. Ellen
nahm heute den Ehrenplatz ein und die Gnädige setzte sich
ihr zur Linken. Kaum hatte auch der Rittmeister Platz ge-
nommen, so schnalzte Mops mit der Zunge, die Rappen
zogen an, und im raschen Tritt ging es zum Pfarrdorfe
hinunter.
Als der Rittmeister mit Ellen die Kirche betrat, erhob
sich die ganze Gemeinde und im gleichen Moment erbrauste
die Orgel. Mächtige, tief zu Herzen gehende Accorde er-
füllten die Räume des Gotteshauses.
Der Rittmeister, tief gerührt, dankte nach links und
rechts und die Braut schluü die Augen nieder. Die
mächtigen Töne hoben ihr Inneres nicht, sie riefen ein un-
nennbares Weh, ein nie so sehr empfundenes Verlassensein
in ihr wach.
Die Gnädige folgte erhobenen Hauptes. Ihre welken
Züge drückten innere Befriedigung aus, nur senkte sich hin
und wieder ihr Blick fast strenge auf die Braut, die, nach
ihrem Ermesse», das ihr bevorstehende Glück nicht hoch genug
zu schätzen wußte.
Den Herrschaften folgte der Verwalter auf dem Fuße.
Seine Miene schien sich nach jedem Blick auf die Braut
schwermüthiger zu gestalten. Die Frau Verwalterin hingegen
trug das Haupt noch höher als sonst. Die Ehre, die ihr
heute wiederfuhr, ließ sie die Knixe, die der Herrschaft ver-
meint, äußerst ceremoniell erwidern.
Der Kanzel gegenüber befanden sich die reichgeschnitzten
Stühle der Stollberg und dorthin bewegte sich auch der
kleine Zug.
Während die Orgel den Uebergang zum Liede: „Herr
Gott Dich loben wir!" präludirte, nahmen nach kurzem Gebete
die Herrschaften Platz und unter lautem Geräusch setzte sich
auch die Gemeinde.
Der Rittmeister schlug das Lied auf und reichte es der
Braut. Sie aber war nicht fähig, es zu halten. Glanzlos
hing ihr Blick am Fuße der Kanzel
Ihr nur allein sichtbar lehnte dort ein junger Mann.
Sein bleiches Gesicht an die kalten Eisenstäbe gedrückt, wleche
den Fuß der Kanzel umgaben, blickte er mit seinen fiebrisch
glänzenden Angen auf sie herüber.
Dieser junge Mann war ja auch der Magnet, der sie
immer und immer wieder nach der Tannengasse zog.
Noch nie aber fühlte sie die Gewalt dieses Blickes so,
wie heute. — Heute? — Nein jetzt! — In diesem Augen-
blicke wurde es ihr klar, wonach ihr Herz so namenlos sich
sehnte. Sie fühlte urplötzlich, daß die tiefe Gluth dieser
Augen ihre Sonne, ihr Leben war, und sie stand im Begriffe
zu entsagen.
Das Lied war zu Ende und der Geistliche bestieg die
Kanzel. Das Thema, welches er gewählt, war mehr der
heutigen Handlung, als dem Tage angemessen.
Es lautete:
„Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht
scheiden."
Kathinka fand diese Worte mehr als wahr, griffen sie
P e r k e o.
Heut Owcnd is also
Sylveschter, d'r letscht im
Johr un am Zwölfe verkünde
die Glocke un die Musikante
vun de Thürm runner, daß 's
Johr 1887 in's Meer d'r
Vergessenheit hinabgsunke is;
mit ihm viel Freud, awer
aach viel Kummer un Leid.
Non, m'r wolle mit d'r feschte
Hoffnung uns niwerschwinge
heut Owend in's neue Johr
gsund, fröhlich, glücklich un
— dorschiig zu bleiwe wie's
im alte Johr d'r Fall war.
Hoffentlich Werre uns aach
die Russe (die zweebeenige
nämlich) in Ruh losse, eweso
die „Madam France", weil
vorläufig alle beide ziemlich
viel in ihrer Haushaltung zu
dhun un sunscht noch e manchs
Plätz'l zu säuwere, korzum
die Händ voll Aerwet hawe,
eh se die schtrapaziös un koschtschpielig Rees noch Berlin un
Wien unnernemme. De Schlesier hott m'r deß am Syl-
veschterowend aach bei uns so beliebte „Werfle" die Dääg
unmöglich gemacht, dann in Schlegel im Kreis Neurode is
noch d'r Schlesische Zeitung en Werrth wege „Glückschpiels"
vnm Schöffengericht freigschbroche, vun d'r Schtrofkammer
awer bschtroft worre, weil er geduld hott, daß sein Gäscht
's Bier rauswersle. Gut Nacht drum Werflschpiel, wann's
im Norde anfängt „unknoblig" zu werre, dauerts nimmi lang
un bei uns geht d'r gleich Wind, reschpektive aach unser
Werrth gehn dem gleiche Schicksal entgege. Drumm:
Bekränzt mit Trauerflor den Würfelbecher,
Geschwungen fröhlich in so mancher Nacht,
Ihr Knochen hochgeehrt vom deutschen Zecher,
Ein jähes Ende ist euch zugedacht.
Vergeblich schützten euch die Wackern Schöffen,
Der Staatsanwalt schritt den Berufungspfad —
Läßt Du beim „Knobeln" Dich im Wirthshaus treffen,
So büßt der Wirth des Glückspiels arge That.
Was fein ersonnen war im Würflerkreise
Mit regem Geist und unermüdem Witz,
Die „Arten" die bestimmten fest und weise,
Sie sind gewesen nun und nicht mehr nütz.
Du Pasch mit ohne oder mit Schikanen,
Hausnummer, Segnens, Drahtseil, nackter Spatz
Schließt eure „Augen", Friede euren Manen,
Wo ihr jetzt wallt, da gehts dem Wirth verkratzt.
In Bayern zählt man Mogeln zu den nobel»
Passionen bei des Zwickens keckem Jeu,
In Preußen darf man nicht einmal mehr knobeln
Um's Bier — der Staatsanwalt ist in der Näh!
So nehmt den Dank für das was in den langen
Decennien Gutes uns von euch geschah —
Ade ihr Würfel! Auf dem Grabstein prangen
Soll dieses Wort: ffuoba sst ulsa!
Wer also in Schlesie nit uff's Schtrofkammerbänk'l will,
der muß de Werflbecher mit schtiller Verachtung schtrofe un
wann's en manchmool noch so sauer ankummt; norr schmachtende
Blick derf erm noch zuwerfe, do dagege hott d'r Herr Schtaats-
anwalt nix einzuwenne. Weil m'r also an d'r Jahreswende
sin, ruf ich Euch all Ihr liewe Lcserinne un Leser e herz-
lichs „Prosit Neujohr" zu, mit dem Verschpreche aach im
neue Johr treu un fleißig Euch all deß Luschtige mitzutheile,
was vorkummt, oßder sunscht mein Herz bewegt, damit Ihr
mit m'r zufriede seid. Awer aach an die Worte möcht ich
Euch heut erinnere:
Ewig gleich ist Nichts auf Erden,
Alles keimt, gedeiht und fällt.
Was gelebt muß Asche werden
Und aus Auche keimt die Welt.
Wieder ist des Frühlings Wonne
Und des Sommers Gluth dahin,
Eingeheimst des Herbstes Segen,
Den uns Mutter Erd' verlieh'n.
Auszuruh'n von großen Mühen,
Legt zur Ruh' sich die Natur;
Und wo sonst die Blumen blühen,
Siehst heut Eis und Schneefeld nur.
Doch im Busen wohlgeborgen,
Glimmet noch ein Lebenslicht,
Das in nicht gar fernen Tagen
Neue Frühlingslust verspricht.
Wie der Strahl der gold'nen Sonne
Durch die finstern Wolken bricht,
Glühet auf zu höhrer Wonne,
Süßer Freude Himmelslicht.
Was uns die Natur nicht bietet,
Kahl und öde ringsumher.
Das ersetzen Freudenfeste,
Gnadenreich und inhaltsschwer.
Gnadenreiche Weihnachtsfeier,
Schönstes Fest der Christenheit!
In des Winters Todenschleier
Birgst du Glück und Seligkeit,
Wenn in trautem Elternkreise
Buntgeschmückt der Christbaum prangt,
Saget an, gibt's höh're Wonne,
Wenn verklärt das Kind Euch dankt?
Inhaltsschwere Jahreswende
Bringt des Ernstes Wiederkehr;
Weihnachtsjubel hat ein Ende,
Manches Herz ist wieder schwer.
Schauend auf vergangenes Wirken,
Auf vergangenes Geschick,
Rufet in dir die Erinnerung
Manche Freud', manch Leid zurück.
Möge nur ein neues Streben
Leiten dich in's neue Jahr;
Alle Kraft, die dir gegeben.
Zu verwerthen immerdar;
Recht und Tugend stets zu üben.
Bis dich birgt des Grabes Ruh,
Und aus liebevollem Herzen
Ruf ich Allen „Glück auf" zu.
Lesefrucht.
Wohl ist schön die Tugend durch sich. Doch wisse, das Unglück
Träuft der Vollendung Oel auf die Geweihten herab, v. Halem.
Verantwortlicher Redakteur: Philipp Klausner, Heidelberg.
Druck und Verlag von Wurm L Pfeffer in Heidelberg.
Gin verbittertes Herz.
Roman von Adolph v. Plattenstein er.
4) (Fortsetzung.)
Die Gnädige und der Rittmeister waren sich ihrem
Aeußern gleichgeblieben, aber wie sehr hatte sich Ellen in
diesen wenigen Monaten verändert. Das fröhliche Naturell
war dahin, nur selten mehr verzog sich der Mund zu einem
Lächeln, und wenn es geschah, so ruhten ganz gewiß die
großen, finnigen Augen auf einem Gegenstand, den sie selbst
nicht sahen, oder richteten sich sehnsuchtsvoll in's Weite, als
hofften sie dort des Räthsels Lösung zu finden.
Der Gnädigen entging dieser traumhafte Zustand nicht.
— Sie sagte zwar nichts darüber, aber daß es ihr viel
Sorge und schlaflose Nächte machte, läßt sich kaum bezweifeln.
Sie wußte nur zu gut, daß es ihrem Bruder nicht gelungen,
Ellen's Herz zu gewinnen. Ihre einzige Hoffnung beruhte
darauf, daß Ellen seine Vorzüge mit der Zeit zu würdigen
wissen wird.
Ellen hatte — wie es sich die Gnädige stillschweigend
im Herzen gelobt, bis jetzt alle nur erdenkbare Freiheit ge-
nossen. Fast täglich ging sie allein in den Wald, und zwar
in die hohe Tannengasse, und doch diente es nur dazu, ihren
Zustand bedenklicher zu machen.
Der Rittmeister in seiner alten Unerfahrenheit merkte
leider nichts davon und die Gnädige hütete sich, ihn darüber
aufzuklären. Somit nichts ahnend warb er um Ellens Hand,
und Ellen, die ihr Herz viel zu wenig kannte, hatte aus
Dankbarkeit „Ja" gesagt und heute — war der Hochzeitstag.
Die Trauung, so wollte es die Gnädige, sollte im
Schlosse vollzogen werden, dem Frühgottesdienste aber wollten
die Herrschaften in der Pfarrkirche noch beiwohnen.
Der Rittmeister half den Damen in den Wagen. Ellen
nahm heute den Ehrenplatz ein und die Gnädige setzte sich
ihr zur Linken. Kaum hatte auch der Rittmeister Platz ge-
nommen, so schnalzte Mops mit der Zunge, die Rappen
zogen an, und im raschen Tritt ging es zum Pfarrdorfe
hinunter.
Als der Rittmeister mit Ellen die Kirche betrat, erhob
sich die ganze Gemeinde und im gleichen Moment erbrauste
die Orgel. Mächtige, tief zu Herzen gehende Accorde er-
füllten die Räume des Gotteshauses.
Der Rittmeister, tief gerührt, dankte nach links und
rechts und die Braut schluü die Augen nieder. Die
mächtigen Töne hoben ihr Inneres nicht, sie riefen ein un-
nennbares Weh, ein nie so sehr empfundenes Verlassensein
in ihr wach.
Die Gnädige folgte erhobenen Hauptes. Ihre welken
Züge drückten innere Befriedigung aus, nur senkte sich hin
und wieder ihr Blick fast strenge auf die Braut, die, nach
ihrem Ermesse», das ihr bevorstehende Glück nicht hoch genug
zu schätzen wußte.
Den Herrschaften folgte der Verwalter auf dem Fuße.
Seine Miene schien sich nach jedem Blick auf die Braut
schwermüthiger zu gestalten. Die Frau Verwalterin hingegen
trug das Haupt noch höher als sonst. Die Ehre, die ihr
heute wiederfuhr, ließ sie die Knixe, die der Herrschaft ver-
meint, äußerst ceremoniell erwidern.
Der Kanzel gegenüber befanden sich die reichgeschnitzten
Stühle der Stollberg und dorthin bewegte sich auch der
kleine Zug.
Während die Orgel den Uebergang zum Liede: „Herr
Gott Dich loben wir!" präludirte, nahmen nach kurzem Gebete
die Herrschaften Platz und unter lautem Geräusch setzte sich
auch die Gemeinde.
Der Rittmeister schlug das Lied auf und reichte es der
Braut. Sie aber war nicht fähig, es zu halten. Glanzlos
hing ihr Blick am Fuße der Kanzel
Ihr nur allein sichtbar lehnte dort ein junger Mann.
Sein bleiches Gesicht an die kalten Eisenstäbe gedrückt, wleche
den Fuß der Kanzel umgaben, blickte er mit seinen fiebrisch
glänzenden Angen auf sie herüber.
Dieser junge Mann war ja auch der Magnet, der sie
immer und immer wieder nach der Tannengasse zog.
Noch nie aber fühlte sie die Gewalt dieses Blickes so,
wie heute. — Heute? — Nein jetzt! — In diesem Augen-
blicke wurde es ihr klar, wonach ihr Herz so namenlos sich
sehnte. Sie fühlte urplötzlich, daß die tiefe Gluth dieser
Augen ihre Sonne, ihr Leben war, und sie stand im Begriffe
zu entsagen.
Das Lied war zu Ende und der Geistliche bestieg die
Kanzel. Das Thema, welches er gewählt, war mehr der
heutigen Handlung, als dem Tage angemessen.
Es lautete:
„Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht
scheiden."
Kathinka fand diese Worte mehr als wahr, griffen sie