W. DÖRPFELD
408
Nach Puchstein waren im Theater von Epidauros die Schau-
spieler schon sichtbar, bevor sie die Bühne betraten. Der Zu-
schauer konnte sie sehen, wie sie die Rampe zur Bühne hinauf-
stiegen und vor der «Versurentür» noch so lange warteten, bis
das Stichwort hei, das ihnen das Durchschreiten der Tür und
das Erscheinen auf der Bühne selbst gestattete. Wo in aller
Welt ist eine solche Einrichtung jemals in einem Theater vor-
gekommen? Es gehört Mut dazu, den Griechen so etwas zuzu-
trauen. In Wirklichkeit hat es jene «Versurentüren» in keinem
Theater gegeben, sie sind eine Erfindung Puchsteins. Nicht
einmal einen griechischen Namen weiss er für sie anzugeben.
Wie kommt denn aber Puchstein, so fragt gewiss mancher
Leser, zu einer Ergänzung, die weder zu den Ruinen stimmt,
noch künstlerisch annehmbar ist, noch zu den antiken Dramen
passt? Die Antwort hierauf ist zugleich die Beantwortung der
vierten Frage, die wir uns angesichts der Puchsteinschen Re-
konstruktion vorgelegt hatten:
4.) Stimmt die Ergänzung zu den Angaben der
antiken Schriftsteller, insbesondere zu
V i t r u v und Pollux?
Im Anfänge dieses Aufsatzes wiesen wir schon darauf hin,
dass Puchstein die sämtlichen literarischen Nachrichten über
das griechische Theater, mit Ausnahme der Angaben des
Vitruv und des Pollux, grundsätzlich unbeachtet lässt. Sie
passen meistens zu seiner Ergänzung durchaus nicht und werden
deshalb von ihm verdächtigt oder ganz bei Seite geschoben.
Was die antiken Schriftsteller in Wirklichkeit über die Gestalt
des griechischen Skenengebäudes lehren, hat E. Reisch in
unserem Buche (S. 176—305) sorgfältig zusammengestellt. Von
einer hohen schmalen Bühne, wie Puchstein sie ergänzt, wissen
die älteren Schriftsteller und namentlich die älteren Dramen
absolut nichts; sie kennen nur ein gemeinsames Spiel von
Chor und Schauspielern in der Orchestra und ein Auftreten
der Götter in der Höhe auf dem Dache des Hauses. Ihr Zeugnis
ist so unzweideutig und durchschlagend, dass C. Robert im
Hermes 1897, S. 451 schreiben konnte: «Nur ein gänzlich Ver-
stockter kann heute noch glauben, dass ein Stück des Aischylos
oder Euripides, von Aristophanes ganz zu schweigen, auf dem
408
Nach Puchstein waren im Theater von Epidauros die Schau-
spieler schon sichtbar, bevor sie die Bühne betraten. Der Zu-
schauer konnte sie sehen, wie sie die Rampe zur Bühne hinauf-
stiegen und vor der «Versurentür» noch so lange warteten, bis
das Stichwort hei, das ihnen das Durchschreiten der Tür und
das Erscheinen auf der Bühne selbst gestattete. Wo in aller
Welt ist eine solche Einrichtung jemals in einem Theater vor-
gekommen? Es gehört Mut dazu, den Griechen so etwas zuzu-
trauen. In Wirklichkeit hat es jene «Versurentüren» in keinem
Theater gegeben, sie sind eine Erfindung Puchsteins. Nicht
einmal einen griechischen Namen weiss er für sie anzugeben.
Wie kommt denn aber Puchstein, so fragt gewiss mancher
Leser, zu einer Ergänzung, die weder zu den Ruinen stimmt,
noch künstlerisch annehmbar ist, noch zu den antiken Dramen
passt? Die Antwort hierauf ist zugleich die Beantwortung der
vierten Frage, die wir uns angesichts der Puchsteinschen Re-
konstruktion vorgelegt hatten:
4.) Stimmt die Ergänzung zu den Angaben der
antiken Schriftsteller, insbesondere zu
V i t r u v und Pollux?
Im Anfänge dieses Aufsatzes wiesen wir schon darauf hin,
dass Puchstein die sämtlichen literarischen Nachrichten über
das griechische Theater, mit Ausnahme der Angaben des
Vitruv und des Pollux, grundsätzlich unbeachtet lässt. Sie
passen meistens zu seiner Ergänzung durchaus nicht und werden
deshalb von ihm verdächtigt oder ganz bei Seite geschoben.
Was die antiken Schriftsteller in Wirklichkeit über die Gestalt
des griechischen Skenengebäudes lehren, hat E. Reisch in
unserem Buche (S. 176—305) sorgfältig zusammengestellt. Von
einer hohen schmalen Bühne, wie Puchstein sie ergänzt, wissen
die älteren Schriftsteller und namentlich die älteren Dramen
absolut nichts; sie kennen nur ein gemeinsames Spiel von
Chor und Schauspielern in der Orchestra und ein Auftreten
der Götter in der Höhe auf dem Dache des Hauses. Ihr Zeugnis
ist so unzweideutig und durchschlagend, dass C. Robert im
Hermes 1897, S. 451 schreiben konnte: «Nur ein gänzlich Ver-
stockter kann heute noch glauben, dass ein Stück des Aischylos
oder Euripides, von Aristophanes ganz zu schweigen, auf dem