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Deutsches Archäologisches Institut / Abteilung Athen [Hrsg.]
Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung — 43.1918

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Schweitzer, Bernhard: Untersuchungen zur Chronologie und Geschichte der geometrischen Stile in Griechenland, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.29499#0034
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Bernhard Schweitzer

fragen haben, auf welchen Grund die feste sizilische, literarisch für uns
am Ende des V. Jahrhunderts auftauchende Tradition gebaut ist. Die
gestiegen (vgi. H. Francotte, L'industrie dans ia Grece ancienne I 287), alles der
Unternehmungslust reicher und einflußreicher Bürger überlassen, noch nichts
von der im VIF Jh. wenigstens einigermaßen vereinheitlichenden und die gegen-
seitige Eifersucht und Feindschaft der verschiedenen Stämme überbrückenden
Leitung Delphis — wie können wir erwarten, in diesem Chaos sich schneidender
und auseinanderstrebender Interessen eine bestimmende, über dem Einzelfall
stehende Gesetzmäßigkeit zu finden? Und wenn wir das einmal für den Augen-
blick zugeben wollten: hat selbst eine so planmäßig sich ausbreitende Macht
wie das britische Reich es vermocht, sich der Rapkolonie und Mauritius' vor
der Besitznahme Indiens zu versichern?
Für die Wahl der weiteren und engeren Lage einer griechischen Kolonie
hat eine ganze Reihe von Gesichtspunkten mitzusprechen: Reichtum des
Hinterlandes, Umgänglichkeit der eingeborenen Bevölkerung, Vorbedingungen
für selbständiges Bestehen, geschützte Lage, Verkehrstüchtigkeit (0. Hirsch-
feld, Festschrift für Curtius [1884], 358), gute Häfen. Ahnen können wir nur
noch die Macht mancher Imponderabilien wie alter, geheiligter Handels-
beziehungen (vgl. etwa die Verbindung Phokaias mit Tartessos in Spanien, Herod.
I 163) oder den lockenden Reiz, den die frühlokalisierten Fischermärchen der
Odyssee auf den Wandertrieb und die Abenteuerlust der Griechen ausübten.
Wir dürfen auch nicht vergessen, daß die Apoikien meist nicht entsandt wurden,
um Emporien für die Mutterstadt zu bilden, sondern um selbständige
zu gründen, die nicht selten rein agrarischen Charakter tragen, ja daß oft nicht
einmal handelspolitische Ziele, sondern politische Spaltung oder Übervölkerung
zur Auswanderung trieben. Und wieviele richtungbestimmende Kräfte mögen
wir nicht kennen? Jeder Schritt von der Überlieferung ab ist hier ein Schritt
ins Ungewisse. Diese selbst gibt aber ein ausreichend glaubwürdiges Bild:
die reichen Getreideländer Siziliens (Nissen, Italische Landeskunde I 351) und
am Pontos Euxeinos, berühmt durch die Westmeer-und die pontischen Gedichte
der Odyssee und des Argonautenzuges (W. Kranz, die Irrfahrt des Odysseus,
Hermes L 1915, 93), lockten die Unternehmungslust der Griechen, lange ehe
die Bergwerke an der thrakischen Küste oder die alten Kulturgüter Ägyptens
ihnen neue Möglichkeiten zu eröffnen schienen.
Folgen wir den Schlüssen Beiochs, so bedeutet das die Übertragung moderner
Vorgänge in die Antike und zwar in einer Schematisierung der geschichtlichen
Entwicklung, die sich nicht einmal in der von irrationalen Strömungen viel
weniger gehemmten und dem Auge des Forschers sich viel klarer darbietenden
neueren Geschichte bewährt. Die kritische Vernunft wird sich immer vor der
Überlieferung, sofern es sich um die Erforschung des Einzelvorganges handelt,
im richtigen Augenblick bescheiden müssen. Sie kann nur in den ihrer Organi-
sation entsprechenden Formen denken, hinter der Überlieferung aber steht
die nie faßbare Mannigfaltigkeit lebendigen Geschehens. Jede Kritik, die sich
zu früh von der Überlieferung trennt, verschließt sich die Möglichkeit tieferen
Eindringens und weiteren Erkennens.
 
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