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Gottfried v. Lücken
sehen, die die attische Kunst erst weit später erreichte. Wir sehen, die
ionische Kunst hat hier Fortschritte gemacht, die wir in ihrer Vasenmalerei,
da diese kurz vorher abbricht, nicht mehr verfoigen können.
B. Die attische Vasenmalerei.
1. Bis zur Frangoisvase.
Man kann es in der attischen Kunst so klar wie nirgends sonst sehen,
welch langer mühsamer Weg zu durchlaufen war, bis man von der sche-
matischen Art, in der der geometrische Stil seine Gestalten darstellte,
zu einer der Natur entsprechenden Körperlichkeit kam.
Zu der Zeit, in der sich die Vasenmalerei in Attika von den Tier-
friesen des orientalischen Stils zu befreien begann und die Menschen
statt der dürren geometrischen Bildungen, die sie noch auf den ältesten
'frühattischeiV Vasenbildern i) zeigen, vollere Formen annehmen ^), treten
uns in den Porosskulpturen der Akropolis die Anfänge der Großplastik
entgegen. Man sollte meinen, in dieser frühen Zeit müßte der Herstel-
lungsprozeß für den Bildhauer so schwierig gewesen sein, daß er die
Formengebung stark modifizierte. Allein die Stilisierung bleibt sich in
beiden Künsten gleich, ln der Malerei wie in der Plastik findet man
dieselben plumpen, etwas schwerfälligen Formen. Um zu sehen, wie weit
die Ähnlichkeit hier geht, muß man einzelne Figuren mit einander ver-
gleichen. Der Vorderteil des Nettos der New-Yorker Amphora (JHS.
XXXI1 1912 Tat. 10) ist dem Helden des kleinen Heraklesgiebels im
Akropolismuseum nicht nur in der Haltung sehr ähnlich. Noch mehr
erinnert die ganze Formengebung an ihn. Beidemal ist der Körper etwas
ungegliedert, und es scheint, als sei er aus einer weichen gallertartigen
Masse gebildet. Die ganze Führung des Konturs, die Art, wie sich die
Hinterbacken absetzen, Alles ist an beiden Werken verwandt. Die Form-
vorstellung dieser frühen Zeit ist noch nicht ganz gefestigt. Das wird
am besten klar, wenn man die Schädelbildung betrachtet. Der Kopf
des lolaos auf dem Hydragiebel,der mit dem bärtigen Kopf einer früh-
9 Unter i des Richterschen Rataiogs JHS. XXXH 1912, 383.
0 Unter Π und HI des Richterschen Rataiogs.
3) Dickins, Cataiogue of the Acropoiis Museum 2; Wiegand, Porosarchi-
tektur 145 Abb. 213.
9 Dickins, Cataiogue 1; Brunn-Bruckmann Tat. 16.
Gottfried v. Lücken
sehen, die die attische Kunst erst weit später erreichte. Wir sehen, die
ionische Kunst hat hier Fortschritte gemacht, die wir in ihrer Vasenmalerei,
da diese kurz vorher abbricht, nicht mehr verfoigen können.
B. Die attische Vasenmalerei.
1. Bis zur Frangoisvase.
Man kann es in der attischen Kunst so klar wie nirgends sonst sehen,
welch langer mühsamer Weg zu durchlaufen war, bis man von der sche-
matischen Art, in der der geometrische Stil seine Gestalten darstellte,
zu einer der Natur entsprechenden Körperlichkeit kam.
Zu der Zeit, in der sich die Vasenmalerei in Attika von den Tier-
friesen des orientalischen Stils zu befreien begann und die Menschen
statt der dürren geometrischen Bildungen, die sie noch auf den ältesten
'frühattischeiV Vasenbildern i) zeigen, vollere Formen annehmen ^), treten
uns in den Porosskulpturen der Akropolis die Anfänge der Großplastik
entgegen. Man sollte meinen, in dieser frühen Zeit müßte der Herstel-
lungsprozeß für den Bildhauer so schwierig gewesen sein, daß er die
Formengebung stark modifizierte. Allein die Stilisierung bleibt sich in
beiden Künsten gleich, ln der Malerei wie in der Plastik findet man
dieselben plumpen, etwas schwerfälligen Formen. Um zu sehen, wie weit
die Ähnlichkeit hier geht, muß man einzelne Figuren mit einander ver-
gleichen. Der Vorderteil des Nettos der New-Yorker Amphora (JHS.
XXXI1 1912 Tat. 10) ist dem Helden des kleinen Heraklesgiebels im
Akropolismuseum nicht nur in der Haltung sehr ähnlich. Noch mehr
erinnert die ganze Formengebung an ihn. Beidemal ist der Körper etwas
ungegliedert, und es scheint, als sei er aus einer weichen gallertartigen
Masse gebildet. Die ganze Führung des Konturs, die Art, wie sich die
Hinterbacken absetzen, Alles ist an beiden Werken verwandt. Die Form-
vorstellung dieser frühen Zeit ist noch nicht ganz gefestigt. Das wird
am besten klar, wenn man die Schädelbildung betrachtet. Der Kopf
des lolaos auf dem Hydragiebel,der mit dem bärtigen Kopf einer früh-
9 Unter i des Richterschen Rataiogs JHS. XXXH 1912, 383.
0 Unter Π und HI des Richterschen Rataiogs.
3) Dickins, Cataiogue of the Acropoiis Museum 2; Wiegand, Porosarchi-
tektur 145 Abb. 213.
9 Dickins, Cataiogue 1; Brunn-Bruckmann Tat. 16.