Archaische griechische Vasenmaierei und Piastik
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neue Ausdruckskraft erhalten. Dieser Wandel in der Naturauffassung
liegt nicht nur in der individuellen Entwicklung des Euphronios be-
gründet. Bei anderen Künstlern wie bei Onesimos kann man es sehen,
daß ihnen die Natur weit reicher erscheint als ihren Vorgängern, und
auch in der Plastik läßt sich Ähnliches verfolgen.
Wenn eine der Koren in den Frauengestalten der Geryoneusschale
nahe Verwandte fand, so zeigt sich die Entwicklung, die der Stil ge-
nommen hat, in der Kore mit den braunen Schuhen *) ebenso wie bei
den Frauen der Eurystheusschale. An die Stelle der Eleganz, die in den
früheren Werken herrschte, ist ein ausgeprägter Sinn für den Reichtum
der Erscheinung und das Charakteristische getreten. Man muß besonders
die Hetäre des Innenbildes mit der Kore vergleichen. Die ganze Gestalt
ist gedrungener geworden. Die Falten sind nicht so klar zu übersehen
wie früher, werden aber dem Charakter des Stoffes mehr gerecht. Die
Gesichter haben nichts von der Feinheit, die sie früher zeigten. Die
Lippen sind fleischig und wulstig, die Nasen plump und schwer geworden.
Die hinter Eurystheus befindliche Gestalt der gleichen Schale er-
innert an eine andere Kore 2). Es findet sich auf beiden Gesichtern
der gleiche etwas mürrische Ausdruck, der dadurch entsteht, daß der
Mund dicht unter der Nase sitzt. Auch die fast wie zum Kuß zugespitzten
Lippen sind hier und dort analog, und die Bildung von Kinn und Nase
hat viel Verwandtes.
Alle Formen werden weicher und fleischiger. Schon Kekule 3) hat
von dem archaischen attischen berliner Stelenfragment gesagt, daß es
feiner und weicher modelliert sei als die Aristionstele.' Diese Weichheit
darf man nicht darauf zurückführen, daß man die Frau anders charakteri-
sieren wollte als den Mann. Die Frauengestalten des Antaioskraters
haben ebenso harte Formen wie die Männer. Erst auf späteren Vasen
werden die Formen weicher. Die Helena auf dem Skyphos des Hieron
und Makron (Furtwängler-Reichhold Taf. 85) besonders zeigt sich der
N Dickins, Cataiogue 683; Perrot-Chipiez VHI 579 Fig. 291; Phot. Aiinari
24641.
3) Dickins, Cataiogue 672; Phot. Aiinari 24659; Lechat, Au Mi^e de
i'Acropoie Fig. 15.
s) Sitzber. Beri. Akad. 1902 1 399; Die griechische Skuiptur ^ 15; Giseia
M. Richter, Fiandbook of the Ciassicai Cotiecticn cf the Metropoiitan Museum,
203, Abb. 121, 122.
Athen. Mitteilungen XXXX1V 1919 7
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neue Ausdruckskraft erhalten. Dieser Wandel in der Naturauffassung
liegt nicht nur in der individuellen Entwicklung des Euphronios be-
gründet. Bei anderen Künstlern wie bei Onesimos kann man es sehen,
daß ihnen die Natur weit reicher erscheint als ihren Vorgängern, und
auch in der Plastik läßt sich Ähnliches verfolgen.
Wenn eine der Koren in den Frauengestalten der Geryoneusschale
nahe Verwandte fand, so zeigt sich die Entwicklung, die der Stil ge-
nommen hat, in der Kore mit den braunen Schuhen *) ebenso wie bei
den Frauen der Eurystheusschale. An die Stelle der Eleganz, die in den
früheren Werken herrschte, ist ein ausgeprägter Sinn für den Reichtum
der Erscheinung und das Charakteristische getreten. Man muß besonders
die Hetäre des Innenbildes mit der Kore vergleichen. Die ganze Gestalt
ist gedrungener geworden. Die Falten sind nicht so klar zu übersehen
wie früher, werden aber dem Charakter des Stoffes mehr gerecht. Die
Gesichter haben nichts von der Feinheit, die sie früher zeigten. Die
Lippen sind fleischig und wulstig, die Nasen plump und schwer geworden.
Die hinter Eurystheus befindliche Gestalt der gleichen Schale er-
innert an eine andere Kore 2). Es findet sich auf beiden Gesichtern
der gleiche etwas mürrische Ausdruck, der dadurch entsteht, daß der
Mund dicht unter der Nase sitzt. Auch die fast wie zum Kuß zugespitzten
Lippen sind hier und dort analog, und die Bildung von Kinn und Nase
hat viel Verwandtes.
Alle Formen werden weicher und fleischiger. Schon Kekule 3) hat
von dem archaischen attischen berliner Stelenfragment gesagt, daß es
feiner und weicher modelliert sei als die Aristionstele.' Diese Weichheit
darf man nicht darauf zurückführen, daß man die Frau anders charakteri-
sieren wollte als den Mann. Die Frauengestalten des Antaioskraters
haben ebenso harte Formen wie die Männer. Erst auf späteren Vasen
werden die Formen weicher. Die Helena auf dem Skyphos des Hieron
und Makron (Furtwängler-Reichhold Taf. 85) besonders zeigt sich der
N Dickins, Cataiogue 683; Perrot-Chipiez VHI 579 Fig. 291; Phot. Aiinari
24641.
3) Dickins, Cataiogue 672; Phot. Aiinari 24659; Lechat, Au Mi^e de
i'Acropoie Fig. 15.
s) Sitzber. Beri. Akad. 1902 1 399; Die griechische Skuiptur ^ 15; Giseia
M. Richter, Fiandbook of the Ciassicai Cotiecticn cf the Metropoiitan Museum,
203, Abb. 121, 122.
Athen. Mitteilungen XXXX1V 1919 7