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Eckhard Unger
Stier 102—104.
102) Ina XV paleia
103) ana mät Nairi allik ina res
när eni sa Diqlat salam sar-
rütiia ina äad käpi sa sade
ina sit nagabisa abni tanäti
kissütiia
104) alkakät qurdiia ina kiribsu
altur.
102) In meinem XV. Regierungs-
jahre
103) zog ich nach Nairi. An der
Quelle des Tigris fertigte ich
ein Denkmal meiner Majestät
an der Felswand, am Aus-
gange seines Tunnels. Den
104) Ruhm meiner Macht, die
Taten meiner Tapferkeit
schrieb ich darauf.
Diese beiden Zeugnisse wurden früher allgemein auf denselben Ort
bezogen, erst Lehmann-Haupt (zuletzt Armenien 456) sah sich durch
seine erwähnte Annahme genötigt, in beiden Stellen grundverschiedene
Örtlichkeiten zu sehen. Der König habe nur im siebenten Jahre (852)
die eigentliche Tigrisquelle besucht, ‘den Ort, wo das Wasser hervortritt’,
d. h. nach Lehmann-Haupt die Gegend des Gölldschiksees (S. 456), erst
im 15. Jahre ‘den Ausgang des Tunnels’, in dem der Bylkaleinßu zeit-
weilig verschwindet. Wenn der König auch letztere Stelle als die Tigris-
quelle bezeichnet, so tue er das, um zu vertuschen, daß damals jene
echte Tigrisquelle weiter westlich in Feindeshand geraten war, also
Avider besseres Wissen’ (Materialien 44), trotzdem ihm ‘und seinen
Begleitern bekannt war, daß der Tunnelausgang nicht die erste Stelle
war, an der dieser Quellarm zutage trat’ (Armenien 457). Also hätte
Salmanassar wissentlich gelogen, nicht nur zu Hause in Kalach auf
dem Obelisk und Stier, sondern auch in den Inschriften III und V am
Bylkaleinßu selbst (unten S. 50), wo doch die Umwohner mindestens so
gut oder so schlecht als der Assyrerkönig wissen mußten, was für eine
Bewandtnis es mit diesem Wasserlauf hatte. Das wäre nicht nur ein
unwürdiges, sondern ein aussichtsloses Beginnen gewesen. Da Salmanassar
in den Inschriften III und V am Bylkaleinßu diesen schlechtweg als
Quelle des Tigris bezeichnet, muß der Bach dafür bei den Umwohnern
und überhaupt gegolten haben.
Warum aber bedienen sich die zwei Annalenstellen so verschiedener
Bezeichnungen ? Nun, erstlich ist es gewiß nicht unmöglich, daß die
Berichterstatter über die zwei um acht Jahre auseinanderliegenden Züge
denselben Punkt, den Ausfluß des Tigris aus dem unteren Tunnel, das
Eckhard Unger
Stier 102—104.
102) Ina XV paleia
103) ana mät Nairi allik ina res
när eni sa Diqlat salam sar-
rütiia ina äad käpi sa sade
ina sit nagabisa abni tanäti
kissütiia
104) alkakät qurdiia ina kiribsu
altur.
102) In meinem XV. Regierungs-
jahre
103) zog ich nach Nairi. An der
Quelle des Tigris fertigte ich
ein Denkmal meiner Majestät
an der Felswand, am Aus-
gange seines Tunnels. Den
104) Ruhm meiner Macht, die
Taten meiner Tapferkeit
schrieb ich darauf.
Diese beiden Zeugnisse wurden früher allgemein auf denselben Ort
bezogen, erst Lehmann-Haupt (zuletzt Armenien 456) sah sich durch
seine erwähnte Annahme genötigt, in beiden Stellen grundverschiedene
Örtlichkeiten zu sehen. Der König habe nur im siebenten Jahre (852)
die eigentliche Tigrisquelle besucht, ‘den Ort, wo das Wasser hervortritt’,
d. h. nach Lehmann-Haupt die Gegend des Gölldschiksees (S. 456), erst
im 15. Jahre ‘den Ausgang des Tunnels’, in dem der Bylkaleinßu zeit-
weilig verschwindet. Wenn der König auch letztere Stelle als die Tigris-
quelle bezeichnet, so tue er das, um zu vertuschen, daß damals jene
echte Tigrisquelle weiter westlich in Feindeshand geraten war, also
Avider besseres Wissen’ (Materialien 44), trotzdem ihm ‘und seinen
Begleitern bekannt war, daß der Tunnelausgang nicht die erste Stelle
war, an der dieser Quellarm zutage trat’ (Armenien 457). Also hätte
Salmanassar wissentlich gelogen, nicht nur zu Hause in Kalach auf
dem Obelisk und Stier, sondern auch in den Inschriften III und V am
Bylkaleinßu selbst (unten S. 50), wo doch die Umwohner mindestens so
gut oder so schlecht als der Assyrerkönig wissen mußten, was für eine
Bewandtnis es mit diesem Wasserlauf hatte. Das wäre nicht nur ein
unwürdiges, sondern ein aussichtsloses Beginnen gewesen. Da Salmanassar
in den Inschriften III und V am Bylkaleinßu diesen schlechtweg als
Quelle des Tigris bezeichnet, muß der Bach dafür bei den Umwohnern
und überhaupt gegolten haben.
Warum aber bedienen sich die zwei Annalenstellen so verschiedener
Bezeichnungen ? Nun, erstlich ist es gewiß nicht unmöglich, daß die
Berichterstatter über die zwei um acht Jahre auseinanderliegenden Züge
denselben Punkt, den Ausfluß des Tigris aus dem unteren Tunnel, das