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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0033
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der andern Finger möglieh war (s. unten 7). Auf unsere Nr. 2 würde die Benennung
incurvare digitos kaum recht passen. Bei diesem denkt man an ein entschiedenes Ein-
krümmen aller oder doch bestimmter Finger, nicht an ein so leichtes, wie es bei Nr. 2
typisch ist.

Bei der Verwendung des Motivs 2 standen die Illustratoren ebenso unter dem Banne
einer künstlerischen Tradition wie bei Nr. 1. Die unter Fig. 2e abgebildete Variante in
der Fingerhaltung wandelt den allbekannten sog. ,Segensgestus' ab und kommt gleich-
bedeutend mit Nr. 1, wenn auch viel seltener, schon in der frühmittelalterlichen Malerei vor1)
und pflanzt sich bis in die sog. Manessische Liederhs. fort.2) Aber auch mit der Finger-
stellung, die in den Hss. unserer Y-Familie das Merkmal der Hauptform des Motivs bildet,
findet sich dieses in älteren Denkmälern,3) wobei sich zeigt, daß es lediglich auf eine
Abänderung von Nr. 1 zurückgeht. Von verschiedenem Ursprung also ist, was in der
Sachsenspiegel-Illustration als Typus und als Variante erscheint. Aber die Illustratoren
haben die Verschiedenheit des Ursprungs nicht mehr empfunden.

In sachlicher Hinsicht können wir nunmehr die Gebärden 1 und 2 einander gleich
setzen und damit zu dem Punkt zurückzukehren, bei dem wir die Erörterung von Nr. 1
abgebrochen haben. Unter dem einen Namen ,Redegestus' dürfen wir jetzt die beiden
Ausdrucksbewegungen um so eher zusammenfassen, als fortan nur solche Anwendungsfälle
in Betracht kommen, wo sie die Gedankenmitteilung eines Redenden bezeichnen.

Wir beginnen mit dem Redegestus des Vorsprechers. Regelmäßig sehen wir diesen,
wo er für seine Partei das Wort führt, eine Hand erheben, D 18 b Nr. 3/) 79 b Nr. 4.
Das dürfte doch nicht auf bloßer künstlerischer Laune beruhen. Ein anderes Bild nämlich,

3) Beispiele: Psalter Egberts (a. 984—93) fol. 17 (B. Egbert, die Widmung annehmend) her. v.
Sauerland u. Haseloff Taf. 2, Clm. 4453 (c. 1000) fol. 34b (ein Zuhörer bei der Bergpredigt), photogr.
v. Teufel Nr. 1046, Berliner Evangeliar (11. Jahrh. fast sämtliche Figuren bei der Transfigaration) bei
Janitschek Malerei 88'89, Clm. 8271 (1190) fol. 3a, b, 5b (Einzelbildnisse), Salzburger Federzeichg. des
12 Jahrh. (HiobsWeib) bei Hefner-Alteneck Trachten etc. 64 (G), Clm. 15903 (c. 1200) fol. 19a (drei
von fünf Teilnehmern einer Unterredung), Clm. 3900 (c. 1250) fol. 62b (Jesus auferstehend), Clm. 835
(13. Jahrh.) fol. 14a (Potiphar den Joseqh kaufend, photogr. v. Teufel Nr. 2334), Cgm. 51 (Tristan fol. 82b
(Isot vor dem Bischof), Cgm. 63 (Wilhelm) fol. 20a (Zuschauer). — S. auch Haseloff Malerschule 300f.

2) Vergl. die Tafeln 91—93, 99, 117, 123, 137, 138 der Eraus'schen Ausgabe.

3) Beispiele: Cod. Egberti (a. 984—93) her. v. Kraus D. Miniaturen etc. Taf. 34, 40, 57 (Petrus
als Zuschauer), 60 (Apostel am Pfingstfest) 57 (Frau am Grabe Jesu), 46 (Petrus verleugnend), Paris Bibl.
nat. Ms. lat. 10514 fol. 76 (Evangelist) bei Sauerland u. Haseloff a. a. O. Taf. 54 Nr. 1, Clm. 4453
fol. 155b (ein Träger der Bahre des auferweckten Jünglings), 231b (Zuschauer bei der Erweekung des
Lazarus) photogr. von Teufel Nr. 1054, 1063), Clm. 15903 fol. 19a, 30a, 55a, 78b, 80a, 91b (Zuschauer,
Hörer, Redende), Clm. 23094 (c. 1250) bei Haseloff a. a. 0. Nr. 108 (ein Zuschauer', Clm. 3900 (c. 1250)
fol. 64b (Adam aus der Vorhölle befreit).

*) Auf dem entsprechenden Bilde O 32b Nr. 2 streckt der Vorsprecher den rechten Zeigefinger auf,
während er die linke Hand erhebt. — In der sog. Renesse'schen Schwabenspiegel-Hs. zu Brüssel Nr. 14690
fol. 133a erheben die Vorsprecher eine Hand; einer scheint allerdings damit zugleich auf seine hinter ihm
stehende Partei zurück zu deuten. In der Hs. des Hamburger Stadtrechts v. 1497 (Lappenberg
D. Miniaturen z. d. Hamb. Stadtr. Taf. 8, 15) bedient sich der Vorsprecher des Redegestus. Eben diesen
macht in der Heiligenberger Hs. über die Egg (her. v. Bad. General-Landesarchiv 1887) bei einer
Verhandlung von 1481 der Vorsprecher der einen Partei, während der des Gegners mit einem Zeige-
gestus agiert.
 
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