Davids einzige Tochter Clara Coornvelt eingetreten — wirk-
lich noch in dem alten Barögekleid, das sie beim Tode ihres
Vaters hatte schwarz färben lassen: Natürlich hatte sie wieder
von der schwindsüchtigen Webersfrau Verkooy angefangen,
wegen der sie schon dreimal auf dem Büro und zweimal in
der Privatwohnung bei ihnen gewesen war. — Unbedingt das
hübscheste Gesprächsthema für einen neunzigsten Geburtstag!
Ein Glück nur, daß die alte liebe Seele kein Wort von alledem
verstand: Die saß ganz still in ihrem Stuhl, blickte vor sich hin
und nickte abwechselnd diesem und jenem der Familien-
mitglieder zu. Der Reihe nach setzten sich die weiblichen Be-
sucher dicht neben sie und sagten der Greisin etwas Schönes
über die allgemeineFestesfreude, mit der ihr Jubeltag begangen
wurde. Dann ging ein Lächeln um den schmalen eingefallenen
Mund, dem sich ein paar murmelnde Laute entrangen, und die
steifen zitternden Finger griffen in schüchterner Liebkosung
nach der beweglichen warmen Hand, die die eifrigen Worte
mit Gebärden begleitete. „Es ist furchtbar lieb von Ihnen und
ich danke Ihnen herzlich.“ Das war Tante Keejetjes Spruch-
formel gegen jedermann; sie redete alle Leute mit Sie an und
war in ihrem Innern stolz auf diesen Satz, der den beson-
deren Umständen jedem der Gratulanten Rechnung trug.
Flora beeilte sich, ihr Glas Eierkognak auszulöffeln, denn
sie sah, daß Clazien im Glanz ihres Feiertagskleides und vor
stolzer Liebenswürdigkeit strahlend mit einer frischen Karaffe
voll des goldgelben Geburtstagstrankes hereinkam, den man
an keinem anderen Orte der Stadt so vorzüglich bekam. Das
war doch ein Glück fürLize, daß sie ihre alte Mutter bei einer
so ausgezeichneten Pflegerin aufgehoben wußte ... denn
eigentlich gehörte eine unverheiratete Tochter in das Haus
ihrer alten Mutter! Flora führte nämlich hartnäckige Rück-
zugsgefechte gegen die Emanzipation. Diese stand für sie als
34
lich noch in dem alten Barögekleid, das sie beim Tode ihres
Vaters hatte schwarz färben lassen: Natürlich hatte sie wieder
von der schwindsüchtigen Webersfrau Verkooy angefangen,
wegen der sie schon dreimal auf dem Büro und zweimal in
der Privatwohnung bei ihnen gewesen war. — Unbedingt das
hübscheste Gesprächsthema für einen neunzigsten Geburtstag!
Ein Glück nur, daß die alte liebe Seele kein Wort von alledem
verstand: Die saß ganz still in ihrem Stuhl, blickte vor sich hin
und nickte abwechselnd diesem und jenem der Familien-
mitglieder zu. Der Reihe nach setzten sich die weiblichen Be-
sucher dicht neben sie und sagten der Greisin etwas Schönes
über die allgemeineFestesfreude, mit der ihr Jubeltag begangen
wurde. Dann ging ein Lächeln um den schmalen eingefallenen
Mund, dem sich ein paar murmelnde Laute entrangen, und die
steifen zitternden Finger griffen in schüchterner Liebkosung
nach der beweglichen warmen Hand, die die eifrigen Worte
mit Gebärden begleitete. „Es ist furchtbar lieb von Ihnen und
ich danke Ihnen herzlich.“ Das war Tante Keejetjes Spruch-
formel gegen jedermann; sie redete alle Leute mit Sie an und
war in ihrem Innern stolz auf diesen Satz, der den beson-
deren Umständen jedem der Gratulanten Rechnung trug.
Flora beeilte sich, ihr Glas Eierkognak auszulöffeln, denn
sie sah, daß Clazien im Glanz ihres Feiertagskleides und vor
stolzer Liebenswürdigkeit strahlend mit einer frischen Karaffe
voll des goldgelben Geburtstagstrankes hereinkam, den man
an keinem anderen Orte der Stadt so vorzüglich bekam. Das
war doch ein Glück fürLize, daß sie ihre alte Mutter bei einer
so ausgezeichneten Pflegerin aufgehoben wußte ... denn
eigentlich gehörte eine unverheiratete Tochter in das Haus
ihrer alten Mutter! Flora führte nämlich hartnäckige Rück-
zugsgefechte gegen die Emanzipation. Diese stand für sie als
34