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Andreae, Bernard
Odysseus: Archäologie des europäischen Menschenbildes — Frankfurt a.M., 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.15161#0058
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Ähnliche Skylla-Darstellungen sind an den verschiedensten Orten als
Treibarbeiten überliefert53. Bei Waffen, wie dem prächtigen Gesichts-
helm aus dem späten 1. Jahrhundert v. Chr. in Istanbul54, sollte das Un-
tier wohl eine den Gegner abschreckende Wirkung haben. Daß hier etwa
zur Zeit, da Vergil die Skylla in dieser Weise beschrieb, der gleiche Ty-
pus auftaucht wie auf dem Spiegelkasten in Berlin aus dem frühen
3. Jahrhundert v. Chr. und im noch etwas früheren Kalksteinrelief aus
Tarent zeigt, daß er nun Allgemeingut der ikonographischen Überliefe-
rung geworden war. Man konnte sich Skylla nicht mehr anders vorstel-
len. Im 1. Jahrhundert n. Chr., auf jeden Fall vor der Verschüttung der
Vesuvstädte im Jahre 79 n. Chr., begegnet der in seinen wesentlichen
Zügen festgelegte Typus im Tondo einer Bronzekasserole aus Bosco-
reale in London55, im 2. Jahrhundert n. Chr. auf einem Schwarzweiß-
mosaik mit Odyssee-Szenen aus Tor Marancia im Vatikan 56. Wie bei der
Blendung des Kyklopen, deren künstlerische Wiedergabe im einzelnen
auch nicht der dichterischen Beschreibung folgt, hatten die Künstler eine
eigene Version der Mythenepisode geschaffen, die bildfähig war.

Bemerkenswert ist, daß bei den meisten Darstellungen ein wesentli-
cher Teil hinzugedacht werden muß: das Schiff des Odysseus. Bei den
hier abgebildeten Beispielen sieht man nur im Tondorelief der Bronze-
patera aus Boscoreale rechts oben Bug oder Heck eines undeutlich wie-
dergegebenen Schiffs. Es wirkt wie eine unbeholfene Zutat des Toreu-
ten. Die Künstler wollten im allgemeinen offenbar den Augenblick dar-
stellen, in dem das Schiff des Odysseus schon vorbeigefahren und Skylla
mit ihrer Beute beschäftigt ist. Nur das triumphierend über dem Haupt
geschwungene Steuerruder erinnert in manchen Darstellungen noch an
das Schiff.

In einer, und zwar der bedeutendsten Skylla-Darstellung, ist das
Schiff des Odysseus jedoch integrierender Teil der Gesamtkomposilion:
Es ist die von den Laokoon-Künstlern signierte Skylla-Gruppe in Sper-
longa, die allem Anschein nach auf eine später in Konstantinopel aufge-
stellte Bronzeplastik zurückgeht, wie die Berichte darüber und die Dar-
stellung auf Kontorniatenprägungen des mittleren 4. Jahrhunderts
n. Chr. nahelegen. Dieser Skylla-Gruppe wird unten ein eigenes Kapitel
gewidmet ebenso wie der Skylla-Gruppe aus der Villa Hadriana, die zu
derjenigen in Sperlonga in einem ähnlichen Verhältnis stehen dürfte wie
das Kleine Attalische Gallierweihgeschenk zum Großen57.

Bevor wir uns diesen plastischen Darstellungen der beiden gefähr-
lichsten Abenteuer zuwenden, die Odysseus zu bestehen hat, das eine
am Anfang, das andere gegen Ende seiner Irrfahrten, seien im folgenden
die wesentlichen Stationen dieser Irrfahrten selbst ins Auge gefaßt.

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