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Kühlenthal, Michael; Zunhamer, Martin; Peda, Gregor; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Tencalla, Carpoforo [Ill.]; Tencalla, Carpoforo [Ill.]
Der Passauer Dom und die Deckengemälde Carpoforo Tencallas: Ergebnisse der Restaurierung 1972-1980 — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 12: München, Zürich: Verlag Schnell & Steiner, 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.63238#0064
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und Permanentgrün gemischt und ebenfalls in zwei
Arbeitsgängen aufgebracht. Der helle, warme Grauton
als Grundfarbigkeit der Architektur wurde aus Umbra
grünlich, Umbra gebrannt, Schwarz und dunklem Ocker
gemischt (Abb. 59).
So ist nun die streng anmutende Architektur und die
kraftvolle Stuckierung durch den hellen Grauton zu ei-
ner Einheit zusammengefaßt. Die Rücklagen architek-
tonisch wichtiger Teile, von Gurten, Gesimsen und
Pendentifs, sind in Caput mortuum dunkelschattend
abgesetzt und der herbe Ockerton der allegorischen
Gestalten in den Medaillons der Pendentifs wird in die
plastischen Gestalten in der Wand des Mittelschiffs
heruntergezogen.
Die durch die verschiedenen Befunduntersuchungen
festgestellte Farbigkeit der Raumschale variierte ein
wenig in den einzelnen Raumabschnitten. Dies ist bei
einer so umfangreichen Arbeit, die sich über einen lan-
gen Zeitraum hinzog, nicht verwunderlich, da die Far-
ben jeweils neu ausgemischt werden mußten. Die fest-
gestellten Nuancen wurden auch bei der Rekonstruk-
tion der Raumfarbigkeit stets berücksichtigt um den
Eindruck einer schematisch perfekten Ausführung zu
vermeiden. Die Raumschale sollte dadurch trotz genau-
ester handwerklicher Ausführung ihren ursprünglichen
malerischen Charakter behalten.
Die originale Farbigkeit wurde fotografisch und durch
eine Primärdokumentation festgehalten und überliefert.
Die Primärdokumentation wurde auf zweierlei Weise
durchgeführt. Aus guterhaltenen Partien der Original-
farbigkeit wurden Befundstücke zu Archivierungszwek-
ken entnommen (Abb. 61), sowie sichtbare Primärdo-
kumente im südlichen Querschiff und im südlichen
Seitenschiff an Ort und Stelle am Bau erhalten: Im süd-
lichen Querschiff an der Nordwestseite über dem Haupt-
gesims am Gewölbeansatz und am Laubkranz der öst-
lichen Fensterseite; in der vierten Kuppel des südlichen
Seitenschiffs an der Quergurte zur Fenstertonne (Abb.
62). Weiterhin wurde an der Südwestseite des Tam-
bours unmittelbar über dem Kuppelkranz eine stuckierte
Fläche von ca. 8 qm im vorgefundenen Zustand ohne
Bearbeitung übertüncht, um für eine spätere Restau-
rierung eine lückenlose Schichtenabfolge zu erhal-
ten.
Im übrigen wurden alle auf den Tafeln, Bändern und
Schriftrollen der Putten und Propheten befindlichen
Texte von einem Spezialisten überprüft und dokumen-
tiert. Irrtümlich falsch überschriebene Buchstaben wur-
den wieder berichtigt und allgemein die Schriften wie-
der lesbar restauriert.
Die Befundergebnisse im Rahmen der ersten Gesamt-
restaurierung des Passauer Doms haben insofern auch
eine nicht zu unterschätzende kunsthistorische Bedeu-
tung, weil sie neue Gesichtspunkte in die allgemein vor-
herrschende Auffassung über das Aussehen von Kir-
chenräumen des späten 17. Jahrhunderts, insbesondere
von Carlone-Kirchen, eingebracht haben. Ein Umden-
ken in dieser Hinsicht erbrachte erstmals die Raumun-
tersuchung anläßlich der Renovierung der Passauer
Studienkirche 1965-68, ebenfalls eines Werks des
Carlone-Kreises. Dortwurdeschon eindeutig einemehr-
farbige Originalfassung — weißer Stuck auf rotem und
ockergelbem Grund — festgestellt und genauestens


62 Südliches Seitenschiff 4. Joch. Fenstertonne.
Unten Primärdokument der Erstfassung, oben Neufassung nach Befund

rekonstruiert. Die Raumuntersuchung des Passauer
Doms führte überraschenderweise gleich zur Kenntnis,
wenn man so will, von zwei Originalfassungen (einer
aus den 70er Jahren und einer aus den 80er Jahren des
17. Jahrhunderts). Man wird daher, um die Erfahrung
der Domrestaurierung von Passau reicher, in Zukunft
die Kirchenräume des späten 17. Jahrhunderts kri-
tischer betrachten müssen. Bei kritischer Einstellung
aber muß jede Restaurierung unvoreingenommen und
frei von vorgeprägten Vorstellungen begonnen werden,
denn jedes Objekt kann erfahrungsgemäß die erstaun-
lichsten Überraschungen bereit halten. Die allgemeine
Vorstellung von barocken Kirchenräumen des späten
17. Jahrhunderts war, daß die Architektur weiß gefaßt
und in dieser weißen Architektur die Deckenbilder ohne
Beziehung zum Kirchenraum isoliert aneinandergereiht
gewesen seien. Die Restaurierung der Studienkirche
und des Passauer Doms haben aber gezeigt, daß Archi-
tektur, Deckengemälde und Ausstattung (Altäre) auch
durch Farbe miteinander verbunden gewesen sein kön-
nen. Somit ist die farbige Fassung des Passauer Doms,
des größten Barockbaus des 17. Jahrhunderts nördlich
der Alpen, als Markstein in der Fassungsgeschichte des
späten 17. Jahrhunderts zu werten. Eine genaue Doku-
mentation (Fotodokumentation, Abnahme von Befund-
stücken und Primärdokumenteam Bau) machtdie Ergeb-
nisse dieser Untersuchungen auch für spätere Zeiten
nachvollziehbar.

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