1. Einführung
Jeder Gang durch eine Stadt - vorbei an den steinernen Häuser-
fronten, Monumenten und Portalen - zeigt verwitterte Natur-
werksteine: Granitquader blättern ab, Marmorsäulen werden
rauh und unansehnlich, Sandsteinplatten zerfallen, Kalkstein-
monumente sind bis zur Unkenntlichkeit der ehemaligen Skulp-
tur entstellt. Helle Werksteine werden überdeckt von schwärzli-
chen Verwitterungskrusten, die das unterliegende Gestein
manchmal korrodieren, manchmal aber auch konservieren kön-
nen. Mitunter zeigen sich gravierende Gesteinszerstörungen,
Verkrustungen oder Verfärbungen bereits wenige Jahre nach
dem Einbau der Steine. Andere steinerne Bauten weisen nach
Jahrhunderten noch die ursprüngliche Festigkeit und Form un-
versehrt auf.
Verwitterung kommt von «Wetter». Sonne, Regen, Eis und
Wind tragen zur physikalischen Verwitterung bei: Sie sprengen
die Kristalle und brechen das Gefüge der Gesteine auf. Luft und
Wasser mit ihren Inhaltsstoffen treten mit dem Gestein in Reak-
tion und wirken chemisch: Sie lösen, fällen neue Substanzen aus
und verändern den vorgegebenen Materialbestand. Das Wetter
begünstigt oder hemmt auch den Wuchs und die Tätigkeiten
von Mikroorganismen und höheren Pflanzen und Tieren, die
zum mechanischen oder chemischen Angriff beitragen. Der
Mensch, der die Umwelt mit aggressiven Stoffen belastet, tut ein
übriges, um die Zerstörungen zu beschleunigen: Er verstärkt die
natürlichen - geogenen - Verwitterungseinwirkungen durch an-
thropogene Einflüsse.
Mit der Verwitterung der Naturwerksteine beschäftigen sich die
Geowissenschaftler seit mehr als einem Jahrhundert. Ein heute
noch gültiges Handbuch der bautechnischen Gesteinsprüfung
mit speziellen Erläuterungen zur Verwitterung schuf Hirsch-
wald (1912). 1915 legte Weiss (Hrsg.) eine Monographie über
die nutzbaren Gesteine Deutschlands vor; darin hat Kaiser ei-
nen Abschnitt über «Die Verwitterung der Gesteine, besonders
der Bausteine» geschrieben. Kaiser (z. B. 1929) lieferte darüber
hinaus zahlreiche wichtige Einzelarbeiten zur Frage der Bau-
steinverwitterung, unter anderem zu den Schäden am Kölner
Dom, der seither immer wieder Untersuchungsobjekt gewesen
ist (z. B. Knetsch 1952; Luckat 1973-1977). Ein grundlegendes
Werk über die Verwitterungsschäden an Steinbauten verdanken
wir Kieslinger (1932). Mit der Gesteinsverwitterung am Bei-
spiel Münchner Bauten und Denkmäler hat sich Stois (in Reis
1935) befaßt.
Seit einem Jahrzehnt stehen die anthropogenen Verwitterungs-
prozesse im Vordergrund der Diskussion. Aus der Fülle neuerer
Arbeiten hierzu seien nur genannt das Buch von Winkler
(1975) sowie einige wichtige oder wegweisende Publikationen
von Riederer (1973 a, b), Luckat (1973-1977, 1981 a, b), Beeger
& Prescher (1978), Niesel (1979), Arnold (1981), Niesel &
Schimmelwitz (1982), Zehnder (1982), Grimm (1984 a) sowie
Snethlage (1984 a).
Die Geologen und Mineralogen, die Werkstein-Technologen und
die Denkmalpfleger versuchen auf zwei Wegen, die Gründe für
die Verwitterung aufzuzeigen, die Vorgänge der Zerstörung zu
erfassen, die Auswirkungen zu quantifizieren und die Anteile
der natürlichen und der vom Menschen provozierten Schäden
abzuschätzen:
— Durch physikalische, chemische und biologische Laborun-
tersuchungen wird angestrebt, die natürlichen Prozesse
nachzuvollziehen. Solche Experimente können im allgemei-
nen nur einzelne Faktoren der Verwitterung oder nur einzel-
ne Gesteinsarten berücksichtigen, nicht aber die Summe der
Verwitterungseinflüsse erfassen, die je nach der Gesteinssor-
te, nach dem Milieu und nach der Exposition gegenüber
Sonne, Wind, Regen und Bodenfeuchtigkeit unterschiedli-
che Wirkungen erzielen. Im Laborversuch muß zudem der
Faktor Zeit gerafft werden, so daß die Experimente nicht
mehr den langzeitigen natürlichen Verwitterungsvorgängen
entsprechen.
— Durch Beobachtung der Verwitterungsphänomene in der na-
türlichen Umgebung wird versucht, die Bedeutung der ver-
schiedenen Verwitterungsfaktoren abzuschätzen und die
Schäden als Folge von zeitlich und örtlich unterschiedlichen
Angriffen zu interpretieren. Das ist schwierig, da der beob-
achtete Endzustand das Ergebnis eines langdauernden Pro-
zesses ist, dessen Beginn oft nicht mehr rekonstruierbar und
dessen zeitlicher Ablauf unbekannt sind.
In unserem Forschungsprojekt, das die «Verwitterung von Na-
turwerksteinen in München in Abhängigkeit von Zeit und Ort»
zum Thema hatte, wurde versucht, beide Wege zu gehen, um zur
Klärung der Verwitterungsvorgänge beizutragen (Grimm 1980,
1983):
— Vorrangig war die Beobachtung der Verwitterungsphänome-
ne in der natürlichen Umgebung im Rahmen einer «Stadt-
kartierung»: «Die Stadt München sollte sozusagen als gro-
ßes Laboratorium angesehen werden; und die Experimente,
die die Natur selbst Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang an
einer breiten Palette von Werksteinen vollzog und vollzieht,
sollten nachträglich am Objekt registriert werden» (Grimm
1980, S. 36).
— Aufgrund der Beobachtungen wurden sodann petrographi-
sche, physikalische, chemische und technische Gesteinsana-
lysen durchgeführt mit dem Ziel, die wichtigsten Verwitte-
rungserscheinungen zu beschreiben, einige maßgebliche Ver-
witterungsvorgänge und -kombinationen zu simulieren und
deren Wirksamkeiten zu erfassen.
München bot sich für eine Bestandsaufnahme der Naturwerk-
steinarten und für Untersuchungen zur Gesteinsresistenz gegen-
über natürlichen und anthropogenen Verwitterungseinflüssen
bevorzugt an: In der wohlhabenden Stadt ist der Reichtum an
repräsentativen Bauten und Denkmälern aus Naturwerksteinen
seit Jahrhunderten groß. Hinzu kommt eine auffällige Vielfalt
an Gesteinssorten; da es nämlich in der näheren Umgebung der
Stadt an nutzbaren Felsgesteinen mangelt, wurden die Werkstei-
ne seit eh und je aus allen Richtungen importiert (Abb. 1). Als
wertvoll für unsere Untersuchungen erwies sich zudem, daß es
in München seit Jahrzehnten Vorarbeiten zur Frage der Natur-
werksteinverwendung und -verwitterung gibt (z. B. Bayer.
Architekten- und Ingenieur-Verein 1912; Reis 1935; Geldhauser
1982).
Das Forschungsprojekt wurde 1980 eingeleitet und großzügig
unterstützt durch die Stiftung Volkswagenwerk, der wir sehr zu
Dank verpflichtet sind. Dabei gilt besonderer Dank den Herren
G. Dege und Dr. H. Plate, denen die Betreuung des Projektes
oblag.
Der Autor W.-D. Grimm war Initiator und Leiter des Projektes;
er verfaßte auch weitestgehend den Text der vorliegenden Ar-
beit.
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Jeder Gang durch eine Stadt - vorbei an den steinernen Häuser-
fronten, Monumenten und Portalen - zeigt verwitterte Natur-
werksteine: Granitquader blättern ab, Marmorsäulen werden
rauh und unansehnlich, Sandsteinplatten zerfallen, Kalkstein-
monumente sind bis zur Unkenntlichkeit der ehemaligen Skulp-
tur entstellt. Helle Werksteine werden überdeckt von schwärzli-
chen Verwitterungskrusten, die das unterliegende Gestein
manchmal korrodieren, manchmal aber auch konservieren kön-
nen. Mitunter zeigen sich gravierende Gesteinszerstörungen,
Verkrustungen oder Verfärbungen bereits wenige Jahre nach
dem Einbau der Steine. Andere steinerne Bauten weisen nach
Jahrhunderten noch die ursprüngliche Festigkeit und Form un-
versehrt auf.
Verwitterung kommt von «Wetter». Sonne, Regen, Eis und
Wind tragen zur physikalischen Verwitterung bei: Sie sprengen
die Kristalle und brechen das Gefüge der Gesteine auf. Luft und
Wasser mit ihren Inhaltsstoffen treten mit dem Gestein in Reak-
tion und wirken chemisch: Sie lösen, fällen neue Substanzen aus
und verändern den vorgegebenen Materialbestand. Das Wetter
begünstigt oder hemmt auch den Wuchs und die Tätigkeiten
von Mikroorganismen und höheren Pflanzen und Tieren, die
zum mechanischen oder chemischen Angriff beitragen. Der
Mensch, der die Umwelt mit aggressiven Stoffen belastet, tut ein
übriges, um die Zerstörungen zu beschleunigen: Er verstärkt die
natürlichen - geogenen - Verwitterungseinwirkungen durch an-
thropogene Einflüsse.
Mit der Verwitterung der Naturwerksteine beschäftigen sich die
Geowissenschaftler seit mehr als einem Jahrhundert. Ein heute
noch gültiges Handbuch der bautechnischen Gesteinsprüfung
mit speziellen Erläuterungen zur Verwitterung schuf Hirsch-
wald (1912). 1915 legte Weiss (Hrsg.) eine Monographie über
die nutzbaren Gesteine Deutschlands vor; darin hat Kaiser ei-
nen Abschnitt über «Die Verwitterung der Gesteine, besonders
der Bausteine» geschrieben. Kaiser (z. B. 1929) lieferte darüber
hinaus zahlreiche wichtige Einzelarbeiten zur Frage der Bau-
steinverwitterung, unter anderem zu den Schäden am Kölner
Dom, der seither immer wieder Untersuchungsobjekt gewesen
ist (z. B. Knetsch 1952; Luckat 1973-1977). Ein grundlegendes
Werk über die Verwitterungsschäden an Steinbauten verdanken
wir Kieslinger (1932). Mit der Gesteinsverwitterung am Bei-
spiel Münchner Bauten und Denkmäler hat sich Stois (in Reis
1935) befaßt.
Seit einem Jahrzehnt stehen die anthropogenen Verwitterungs-
prozesse im Vordergrund der Diskussion. Aus der Fülle neuerer
Arbeiten hierzu seien nur genannt das Buch von Winkler
(1975) sowie einige wichtige oder wegweisende Publikationen
von Riederer (1973 a, b), Luckat (1973-1977, 1981 a, b), Beeger
& Prescher (1978), Niesel (1979), Arnold (1981), Niesel &
Schimmelwitz (1982), Zehnder (1982), Grimm (1984 a) sowie
Snethlage (1984 a).
Die Geologen und Mineralogen, die Werkstein-Technologen und
die Denkmalpfleger versuchen auf zwei Wegen, die Gründe für
die Verwitterung aufzuzeigen, die Vorgänge der Zerstörung zu
erfassen, die Auswirkungen zu quantifizieren und die Anteile
der natürlichen und der vom Menschen provozierten Schäden
abzuschätzen:
— Durch physikalische, chemische und biologische Laborun-
tersuchungen wird angestrebt, die natürlichen Prozesse
nachzuvollziehen. Solche Experimente können im allgemei-
nen nur einzelne Faktoren der Verwitterung oder nur einzel-
ne Gesteinsarten berücksichtigen, nicht aber die Summe der
Verwitterungseinflüsse erfassen, die je nach der Gesteinssor-
te, nach dem Milieu und nach der Exposition gegenüber
Sonne, Wind, Regen und Bodenfeuchtigkeit unterschiedli-
che Wirkungen erzielen. Im Laborversuch muß zudem der
Faktor Zeit gerafft werden, so daß die Experimente nicht
mehr den langzeitigen natürlichen Verwitterungsvorgängen
entsprechen.
— Durch Beobachtung der Verwitterungsphänomene in der na-
türlichen Umgebung wird versucht, die Bedeutung der ver-
schiedenen Verwitterungsfaktoren abzuschätzen und die
Schäden als Folge von zeitlich und örtlich unterschiedlichen
Angriffen zu interpretieren. Das ist schwierig, da der beob-
achtete Endzustand das Ergebnis eines langdauernden Pro-
zesses ist, dessen Beginn oft nicht mehr rekonstruierbar und
dessen zeitlicher Ablauf unbekannt sind.
In unserem Forschungsprojekt, das die «Verwitterung von Na-
turwerksteinen in München in Abhängigkeit von Zeit und Ort»
zum Thema hatte, wurde versucht, beide Wege zu gehen, um zur
Klärung der Verwitterungsvorgänge beizutragen (Grimm 1980,
1983):
— Vorrangig war die Beobachtung der Verwitterungsphänome-
ne in der natürlichen Umgebung im Rahmen einer «Stadt-
kartierung»: «Die Stadt München sollte sozusagen als gro-
ßes Laboratorium angesehen werden; und die Experimente,
die die Natur selbst Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang an
einer breiten Palette von Werksteinen vollzog und vollzieht,
sollten nachträglich am Objekt registriert werden» (Grimm
1980, S. 36).
— Aufgrund der Beobachtungen wurden sodann petrographi-
sche, physikalische, chemische und technische Gesteinsana-
lysen durchgeführt mit dem Ziel, die wichtigsten Verwitte-
rungserscheinungen zu beschreiben, einige maßgebliche Ver-
witterungsvorgänge und -kombinationen zu simulieren und
deren Wirksamkeiten zu erfassen.
München bot sich für eine Bestandsaufnahme der Naturwerk-
steinarten und für Untersuchungen zur Gesteinsresistenz gegen-
über natürlichen und anthropogenen Verwitterungseinflüssen
bevorzugt an: In der wohlhabenden Stadt ist der Reichtum an
repräsentativen Bauten und Denkmälern aus Naturwerksteinen
seit Jahrhunderten groß. Hinzu kommt eine auffällige Vielfalt
an Gesteinssorten; da es nämlich in der näheren Umgebung der
Stadt an nutzbaren Felsgesteinen mangelt, wurden die Werkstei-
ne seit eh und je aus allen Richtungen importiert (Abb. 1). Als
wertvoll für unsere Untersuchungen erwies sich zudem, daß es
in München seit Jahrzehnten Vorarbeiten zur Frage der Natur-
werksteinverwendung und -verwitterung gibt (z. B. Bayer.
Architekten- und Ingenieur-Verein 1912; Reis 1935; Geldhauser
1982).
Das Forschungsprojekt wurde 1980 eingeleitet und großzügig
unterstützt durch die Stiftung Volkswagenwerk, der wir sehr zu
Dank verpflichtet sind. Dabei gilt besonderer Dank den Herren
G. Dege und Dr. H. Plate, denen die Betreuung des Projektes
oblag.
Der Autor W.-D. Grimm war Initiator und Leiter des Projektes;
er verfaßte auch weitestgehend den Text der vorliegenden Ar-
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