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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 21.1905

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Heft 4
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Sutter, Conrad: Die Architektur Olbrichs auf der Darmstädter Ausstellung im Sommer 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.44852#0037

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1905

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 4

Eckhaus und graues Haus. Architekt: Professor Jos. M. Olbrich in Darmstadt.


Äußerungen eines Künstlers, welcher eine ihnen
fremde Sprache spricht, ohne Verständnis oder ohne
eine Beziehung zum Werke finden zu können, be-
drückt oder ablehnend gegenüberstehen.
Auf der andern Seite gibt es Menschen, welche
zwar auch zu den Gebildeten gehören können, sich
aber aus einer naiv gesunden Abneigung gegen eine
schulmäßige Behandlung der Kunst das freie eigene
Anschauungsvermögen bewahrt haben. Diese werden
den Erscheinungen rein künstlerischen Geistes des-
halb verständnisvoller gegenüberstehen, weil der Ein-
druck des Gesehenen bei ihnen nicht auf den Wider-
stand eines mit angelernten Formen völlig erfüllten
Wissens stößt; sie haben die größere Aufnahme-
fähigkeit für die eigenartige Form, die Grundbe-
dingung für das Verständnis reiner Kunst. Aus
diesen Gegensätzen geht auch hervor, daß eine
Betätigung des Künstlers in rein künstlerischer Weise
nur möglich ist, wenn die natürliche Begabung in
ihrem Wachstum zur schöpferischen Kraft nicht durch
eine streng akademisch-wissenschaftliche Schulung
und Gewöhnung unterdrückt wird. Wie alle Kultur sich weiter-
baut auf vorausgegangener Errungenschaft und eine Zeit auf
den Schultern der andern steht, so ist selbstverständlich auch
in der Kunst, und nicht am wenigsten in der Baukunst, die
Kunstkultur früherer Epochen und ihre in den Stilen nieder-
gelegte bestimmte Gestaltung das Fundament, auf dem die
Kunst unsrer Zeit weiterbauen muß. Die künstlerische Tradition
muß den Künstler durchdringen, er muß vertraut sein mit
dem Werk der Alten, muß es achten und ehren. Aber diese
Ehrung darf nicht in der Nachahmung, sondern im Wetteifer
mit dem künstlerischen Geist, der in der alten Kunst steckt,
bestehen. Ebenso wie die Alten stets den für sie neuzeitlichen
Ausdruck für ihre Kunst fanden, muß auch die Kunst unsrer
Tage ihre eigene Form finden.
Es ist eine ernste Frage der Erziehung unsrer Baukünstler,
deren Lösung immer dringender wird. Man sollte erziehen
und nicht dressieren, man sollte eine reinliche Scheidung an-
streben zwischen einer Ausbildung, welche technisch-wissen-
schaftlich das Bauwesen, und einer solchen, welche rein


Eingang zum Eckhaus. Architekt: Professor Jos. M. Olbrich in Darmstadt.

künstlerisch die Baukunst behandelt, wobei selbstverständ-
lich, wie bei der Ausübung jeglicher Kunst, das Erlernen des
Handwerklichen Bedingung ist.
Der übliche Begriff der Schönheit in der Architektur deckt
sich fast durchweg mit dem Schönheitsbegriff, den wir von
den alten Stilen übernommen haben. Es ist hierdurch tat-
sächlich eine Begriffsverwirrung entstanden, indem an die
Stelle eines freien Empfindungseindruckes das festgeprägte,
durch die Schulung vorgeschriebene Bild früherer Formschön-
heit sich stellt. Ich möchte dieses stete Hervortreten und Be-
tonen der Stilschönheit das »Gegenständliche« in der Archi-
tektur nennen. Wie beim Bilde dem Laien (und manchem
Künstler) das »Gegenständliche« meist höher steht wie das Rein-
künstlerische, ja oft einzig und allein Verständnis findet, und
die akademische Kunst nur das an sich Schöne schön dar-
zustellen vermag, so ist die Anwendung der alten Stilform
der erprobte Gegenstand, dessen bestehende Schönheit durch
die akademische Form stets wieder als schön gezeigt wird.
Fällt dieser »Gegenstand« fort, so fällt auch die akademische
Richtung, welche einer eigenen Schönheit ermangelt. Das rein-
künstlerische Werk aber birgt seine Schönheit in der Art, wie für
die besondere Aufgabe der eigene formale Ausdruck gefunden ist.
Daß Olbrich auf dem Boden eines reinkünstlerischen
Schaffens steht, ist zweifellos. Es geht ein bestimmter, persön-
lich künstlerischer Zug durch sein ganzes Werk, der sich
auch dort zeigt, wo er noch nicht zu voller Reife durch-
gedrungen ist.
In seiner Dreihäusergruppe gibt er jedem Hause diejenige
Form, welche die Illusion seiner Zweckbestimmung eindring-
lich vermittelt, und unterstützt diesen Eindruck noch durch
die Farbengebung. Es wird niemand im Zweifel sein, daß
das sog. graue Haus das Pfarrhaus (für den Hofprediger) ist.
Seine ganze Erscheinung ist ernst, fast feierlich; der schlank
aufstrebende, leicht bewegte Giebel, die stark ausgesprochene
vertikale Teilung dieser Giebelfassade, deren Motive einen
rhythmischen Dreiklang bilden, die dunkle grau-braune Färbung
der verputzten Wandflächen und die rote Sandsteinarchitektur,
alles vereint sich, dem Hause seinen besonderen Charakter
zu verleihen. Und wenn in der Gartenfassade auch die
strenge Form gemildert ist, so gibt das Ganze doch den Ein-
druck würdiger, vornehmer Abgeschlossenheit. Wenn die
dunkeln Mauern einst von grünem Schlinggewächs umsponnen
sein werden und im Garten die Silberpappeln zu ihrer vollen
Höhe streben, dann wird die Absicht des Künstlers nur um
so deutlicher zum Ausdruck kommen.
Es ist kein Zufall, sondern bewußte Überlegung, daß
der weitgespannte, goldgelbe, dreieckige Holzgiebel des Eck-
hauses gerade dort errichtet ist, wo mächtige alte Bäume
den Gesamtüberblick verhindern. Der künstlerische Gedanke
liegt hier in dem Gegensatz zwischen der Wucht des Archi-
tekturmotives und der vielgestaltigen, unruhigen Baummasse,

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