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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Thiersch, August: "Refinements" in der Baukunst der Altertums und Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0100
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E. Fabricius & A. Hahn
(B.D.A.), Köln a. Rh. Bild-
hauer G.Albertshofer, München

Garteneingang des
Wohnhauses Mün-
chen - Herzogpark

Anfang und Ende einer gekrümmten Fassade hätte
die Mühe nicht gelohnt.
Der letzte Abschnitt des Werkes handelt von den
asymmetrischen Dimensionen bei griechischen Tem-
peln und von ihrem optischen Effekt. Die oft auf-
fallende Verschiedenheit bei Säulenabständen, Säulen-
dicken, Metopenbreiten usw. hält Goodyear nach
Ruskins Vorgang für eine absichtliche Vermeidung
der geometrischen Regelmäßigkeit. Sie sollen eine
„optische Vibration“ erzeugen und einen Schein
von Leben in die starre Regelmäßigkeit bringen, er
bezeichnet sie ebenfalls als „temperamental refine-
ments“.
Jeder Architekt kann an der Hand dieses schönen
Werkes leicht sich selbst Rechenschaft geben, wie
weit die hier ausgebreiteten ästhetischen Spekula-
tionen zutreffen. Er wird hierbei durch ein vortreff-
lich eingerichtetes Autoren- und Sachregister unter-
stützt.
Eine andere Schrift desselben Verfassers behandelt
unter dem Titel „Vertical curves and other archi-

tectural refinements“ Unregelmäßigkeiten an goti-
schen Kirchen Nordfrankreichs und frühbyzantini-
schen Bauten Konstantinopels.
Es ist schwer, unter den vielen beobachteten Aus-
beugungen und Neigungen der Pfeiler und Wände
Feinheiten des Stils zu erkennen, während andere
Ursachen, wie Arbeitsfehler, Nachgeben der Funda-
mente und vor allem einseitiger Gewölbedruck so
sehr viel näherliegen. Daß Bogen und Gewölbe ihre
Widerlager leicht auseinanderdrängen, hat den
mittelalterlichen Baumeistern viel Sorge gemacht,
und schlimme Erfahrungen blieben ihnen nicht
erspart.
Dies zeigen nur allzudeutlich die hier mitgeteilten
Innenansichten, unter anderen von St. Jean in
Caen, St. Quentin, der Kathedralen von Amiens,
Noyon und Notre Dame in Paris. Die massige Turm-
fassade dieser letzten Kirche hat sich schon während
des Baues nach vorn geneigt und die inneren Stützen
mitgezogen.
Die Abweichungen von der Regelmäßigkeit bei
Kirchengrundrissen sind oft sehr auffällige. Schwie-
rigkeiten der Fundation, die durch Benützung alter
Fundamente oder durch die Notwendigkeit, diesen
auszuweichen, entstanden, sowie Ungeschicklich-
keiten beim Abstecken werden mehr als ästhetische
Gründe die Veranlassung gewesen sein. Tatsache ist,
daß mit der Renaissance diese Unregelmäßigkeiten
verschwinden.
Bereits zehn Jahre vor dem Erscheinen der
Optical Refinements hat Goodyear in den Me-
moiren des Museums des Brooklyn Institute of Arts
and Sciences unter dem Titel: A Renaissance
Leaning facade at Genova, Abbildungen und
Messungen von schiefen Kirchenfassaden in Italien
veröffentlicht und den Nachweis zu führen gesucht,
daß diese Abweichungen vom Lot beim Bau beab-

E. Fabricius & A. Hahn Eingang des Wohnhauses
(B.D.A.), Köln a. Rh. in München-Herzogpark


Architektonische Rundschau 1914
Seite 88
 
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