genialisch als beispielhafter, umfassender Ent-
wurf der Wirklichkeit die werdende sozialistische
Welt, wie seinerzeit die Holländer die neue Bürger-
welt des siebzehnten Jahrhunderts und die Fran-
zosen die neue Bürgerwelt des neunzehnten Jahr-
hunderts festgehalten, kein Hals oder Rembrandt
ersteht, kein Manet oder Courbet; keiner malt mit
neuen, eben revolutionären Formen einen neuen,
eben revolutionären Inhalt wie Jacques-Louis
Davis ,,Marats Tod" oder Eugene Delacroix ,,Die
Göttin der Freiheit, das Volk führend". Der
Vergleich erst noch mit der wahrhaft revolutionä-
ren Malerei des aufbrechenden Bürgertums der
italienischen Frührenaissance offenbart den sich
allmählich ausbreitenden Verlust an künstlerischer
Substanz.
Dieser Verlust kann nicht aufgehoben werden
durch die Nachfolger der Abstrakten, die sich
im gesellschaftlich luftleeren Raum befinden, weil
deren Rebellion vorab eine Sache des auf sich
allein gestellten Individuum ist, ein Aufstand
metaphysischer Philosophie; sie kann ebenfalls
nicht aufgehoben werden durch die Nachfolger
der russischen Realisten des neunzehnten Jahr-
hunderts, weil diese der dominierenden Schule der
sogenannten ./Wanderer" verhaftet bleiben, ihre
Darstellungsweise daher alles, nur nicht revo-
lutionär ist, sondern restaurativ: alte überlieferte
Formen werden für einen neuen Inhalt verwendet
analog der frühchristlichen Kunst —, um
allgemein verständlich zu sein, um das neue
weltanschauliche Engagement direkt zu tätigen.
Dieses unmittelbare Engagement endet zufolge
seiner immer mehr überhandnehmenden doktri-
nären Einengung in einem Zweckoptimismus mit
unzähligen sozialistischen Helden in edler Pose,
in einem ,,naturalistischen Idealismus". Nur sehr
wenige Bilder ragen aus der Gleichschaltung heraus,
unter ihnen das vielleicht hervorragendste: die
von Alexander Alexejewitsch Deineka 1928 ge-
malte ^Verteidigung von Leningrad"; aber sie
steht im Bann des zehn Jahre zuvor verstorbenen
Schweizer Malers Ferdinand Hodler, der innerhalb
der bürgerlichen Welt kühn die naturalistischen
Dämme der herkömmlichen Historienmalerei als
,,gefrorene Geschichte" durchbrochen.
Ein Jahr später, 1929, nimmt dann einer der
bedeutendsten russischen Abstrakten, El Lissitzky,
nachdem er zeitweise in Deutschland Lehrer am
Bauhaus gewesen und in die Sowjetunion zurück-
gekehrt, die Diskussion Kandinsky-Lenin von
neuem auf: es ist, wie vorher das Manifest der
,,Assoziation" der Beginn der zweiten Periode
gewesen, der Abschluss dieser gegen zehn Jahre
dauernden Zeit der sogenannten,,Rekonstruktion".
Indem er sich mit dem Problem der Architektur
und des Raumes befasst und Wesentliches über
Malewitsch und Tatlin aussagt, hält er unter dem
Titel ^Ideologischer Ueberbau" folgendes fest:
,,Wir führen hier einige Abschnitte eines Le-
bensprozesses auf, der, erst durch die Revolution
zur Welt gebracht, noch keine fünf Jahre zählt.
In dieser Zeit haben sich die hohen Forderungen,
die die Kulturrevolution stellt, im Gefühl und
im Bewusstsein unserer neuen Architektengenera-
tion verwurzelt. Unserem Baukünstler ist klar
geworden, dass er durch seine Arbeit als aktiver
Mitarbeiter am Aufbau einer neuen Welt teilnimmt.
Für uns hat das Werk eines Künstlers keinen Wert
,an und für sich', keinen Selbstzweck, keine eigene
Schönheit; all dies erhält es erst durch seine
Beziehungen zur Gemeinschaft. In der Schöpfung
eines jeden grossen Werkes ist der Anteil der
Architekten ersichtlich und der Anteil der Ge-
meinschaft latent . . . Wir sind in unserer Archi-
tektur wie in unserem gesamten Leben bestrebt,
eine soziale Ordnung zu schallen, das heisst, das
Instinktive ins Bewusstsein zu heben. Der ideo-
logische Ueberbau schützt und sichert die Arbeit.
Als Unterbau für die Erneuerung nannten wir zu
Anfang die sozialwissenschaftliche Rekonstruk-
tion. Sie ist der eindeutige Ausgangspunkt, aber
es wäre ein Fehler, die Zusammenhänge so simpel
zu erklären. Das Leben, das organische Wachstum
ist ein dialektischer Prozess, der gleichzeitig Ja
und Nein bedeutet, Plus und Minus. Alles Entste-
hende ist Teil des gesellschaftlichen Lebenspro
zesses, ist die Folge bestimmter Tatsachen und
wirkt sich weiter auf die entstehenden Absichten
aus. Auf der Basis des Entstandenen bildet sich
eine Ideologie, eine Betrachtungsart, bilden sich
Deutung und Beziehung, die weiter auf das Ent-
stehende ausstrahlen ..."
So ist hier das dialektische Verhältnis von
gesellschaftlichem Unterbau und Überbau ein-
deutig gefasst; es ist gleichzeitig die doppelte
Absage an jegliche Idealisierung und Idolisierung;
es ist sowohl die Absage an die metaphysische Ab-
straktion als ,,Revolution der Kunst" wie auch
die Absage an den pseudorealistischen Naturalis-
167
wurf der Wirklichkeit die werdende sozialistische
Welt, wie seinerzeit die Holländer die neue Bürger-
welt des siebzehnten Jahrhunderts und die Fran-
zosen die neue Bürgerwelt des neunzehnten Jahr-
hunderts festgehalten, kein Hals oder Rembrandt
ersteht, kein Manet oder Courbet; keiner malt mit
neuen, eben revolutionären Formen einen neuen,
eben revolutionären Inhalt wie Jacques-Louis
Davis ,,Marats Tod" oder Eugene Delacroix ,,Die
Göttin der Freiheit, das Volk führend". Der
Vergleich erst noch mit der wahrhaft revolutionä-
ren Malerei des aufbrechenden Bürgertums der
italienischen Frührenaissance offenbart den sich
allmählich ausbreitenden Verlust an künstlerischer
Substanz.
Dieser Verlust kann nicht aufgehoben werden
durch die Nachfolger der Abstrakten, die sich
im gesellschaftlich luftleeren Raum befinden, weil
deren Rebellion vorab eine Sache des auf sich
allein gestellten Individuum ist, ein Aufstand
metaphysischer Philosophie; sie kann ebenfalls
nicht aufgehoben werden durch die Nachfolger
der russischen Realisten des neunzehnten Jahr-
hunderts, weil diese der dominierenden Schule der
sogenannten ./Wanderer" verhaftet bleiben, ihre
Darstellungsweise daher alles, nur nicht revo-
lutionär ist, sondern restaurativ: alte überlieferte
Formen werden für einen neuen Inhalt verwendet
analog der frühchristlichen Kunst —, um
allgemein verständlich zu sein, um das neue
weltanschauliche Engagement direkt zu tätigen.
Dieses unmittelbare Engagement endet zufolge
seiner immer mehr überhandnehmenden doktri-
nären Einengung in einem Zweckoptimismus mit
unzähligen sozialistischen Helden in edler Pose,
in einem ,,naturalistischen Idealismus". Nur sehr
wenige Bilder ragen aus der Gleichschaltung heraus,
unter ihnen das vielleicht hervorragendste: die
von Alexander Alexejewitsch Deineka 1928 ge-
malte ^Verteidigung von Leningrad"; aber sie
steht im Bann des zehn Jahre zuvor verstorbenen
Schweizer Malers Ferdinand Hodler, der innerhalb
der bürgerlichen Welt kühn die naturalistischen
Dämme der herkömmlichen Historienmalerei als
,,gefrorene Geschichte" durchbrochen.
Ein Jahr später, 1929, nimmt dann einer der
bedeutendsten russischen Abstrakten, El Lissitzky,
nachdem er zeitweise in Deutschland Lehrer am
Bauhaus gewesen und in die Sowjetunion zurück-
gekehrt, die Diskussion Kandinsky-Lenin von
neuem auf: es ist, wie vorher das Manifest der
,,Assoziation" der Beginn der zweiten Periode
gewesen, der Abschluss dieser gegen zehn Jahre
dauernden Zeit der sogenannten,,Rekonstruktion".
Indem er sich mit dem Problem der Architektur
und des Raumes befasst und Wesentliches über
Malewitsch und Tatlin aussagt, hält er unter dem
Titel ^Ideologischer Ueberbau" folgendes fest:
,,Wir führen hier einige Abschnitte eines Le-
bensprozesses auf, der, erst durch die Revolution
zur Welt gebracht, noch keine fünf Jahre zählt.
In dieser Zeit haben sich die hohen Forderungen,
die die Kulturrevolution stellt, im Gefühl und
im Bewusstsein unserer neuen Architektengenera-
tion verwurzelt. Unserem Baukünstler ist klar
geworden, dass er durch seine Arbeit als aktiver
Mitarbeiter am Aufbau einer neuen Welt teilnimmt.
Für uns hat das Werk eines Künstlers keinen Wert
,an und für sich', keinen Selbstzweck, keine eigene
Schönheit; all dies erhält es erst durch seine
Beziehungen zur Gemeinschaft. In der Schöpfung
eines jeden grossen Werkes ist der Anteil der
Architekten ersichtlich und der Anteil der Ge-
meinschaft latent . . . Wir sind in unserer Archi-
tektur wie in unserem gesamten Leben bestrebt,
eine soziale Ordnung zu schallen, das heisst, das
Instinktive ins Bewusstsein zu heben. Der ideo-
logische Ueberbau schützt und sichert die Arbeit.
Als Unterbau für die Erneuerung nannten wir zu
Anfang die sozialwissenschaftliche Rekonstruk-
tion. Sie ist der eindeutige Ausgangspunkt, aber
es wäre ein Fehler, die Zusammenhänge so simpel
zu erklären. Das Leben, das organische Wachstum
ist ein dialektischer Prozess, der gleichzeitig Ja
und Nein bedeutet, Plus und Minus. Alles Entste-
hende ist Teil des gesellschaftlichen Lebenspro
zesses, ist die Folge bestimmter Tatsachen und
wirkt sich weiter auf die entstehenden Absichten
aus. Auf der Basis des Entstandenen bildet sich
eine Ideologie, eine Betrachtungsart, bilden sich
Deutung und Beziehung, die weiter auf das Ent-
stehende ausstrahlen ..."
So ist hier das dialektische Verhältnis von
gesellschaftlichem Unterbau und Überbau ein-
deutig gefasst; es ist gleichzeitig die doppelte
Absage an jegliche Idealisierung und Idolisierung;
es ist sowohl die Absage an die metaphysische Ab-
straktion als ,,Revolution der Kunst" wie auch
die Absage an den pseudorealistischen Naturalis-
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