14- Monreale, Dom, Inneres nach Osten. Repro: The Glory of Byzan-
tium. (Kat. Ausst.} Hrsg. Helen C. Evans - William D. Wixom.
New York 1997, S. 439-
Zuordnung der Detailformen an eine der beiden Rah-
men. Solche Konflikte sind ein ganz klarer Beleg da-
für, dass das Rahmensystem aus den verfügbaren
Musterbüchern ad hoc für die ganz neuartige Bausi-
tuation zusammengestellt werden musste. Die Archi-
tekturzwischenfelder scheiden einerseits beide Figu-
renregister klar voneinander, sie bieten aber auch den
Figuren, die mit ihren gestreckten Füßen mehr zu
schweben scheinen, eine Art Standsockel. Beide Fi-
gurenzonen werden also in der Vertikalen mit sol-
chen Form- und Funktionsverschleifungen komposi-
tionell zusammengebunden. Für die untere Figuren-
reihe nutzten die Glasmaler hingegen — und das ist
wichtig — die hier unmittelbar anschließende Sohl-
bank der Fensterarchitektur als Standfläche!
Bereits diese Beobachtungen werfen ein bezeich-
nendes Licht auf das hohe Maß an architektonischem
Verständnis, mit dem die Werkstatt eine enge Ver-
zahnung von Architektur und Glasmalerei anstreb-
te. Die zeitgleichen französischen Beispiele — und diese
Feststellung ist für uns wichtig - gehen mit diesem
Verglasungssystem weit bedenkenloser um; der ad-
ditive Bildaufbau will einen übergreifenden tekto-
nischen Zusammenhalt meist gar nicht erst sugge-
rieren [vgl. Abb. 15}. Vielleicht ist es dieser Mangel
an struktivem Denken, das notwendig gewesen wäre,
um die enorm gewachsenen Bildflächen im Hinblick
auf ein größeres Bildganzes zu bewältigen. Die Folge
ist dort ein isoliertes Nebeneinander kleiner Bildein-
heiten oder Bildsysteme (beispielsweise aus Standfi-
guren und Ornamentteppichen). Bemerkenswer-
terweise spiegelt sich dieser Unterschied auch in der
Figurenauffassung, zeichnen sich doch gleichzeitige
französische Glasmalereien überhaupt durch ein we-
niger harmonisches Maßverhältnis zur Figur aus, die
damit den jeweiligen Fenstergrößen beliebig ange-
passt werden konnte. Gerade diese Einstellung könnte
in Frankreich auch die Entwicklung einer bauhüt-
tengerechten Architekturrahmung behindert haben.
Diese organisiert die Fläche klarer, verhilft der Einzel-
figur zu einer gesteigerten Monumentalität und bin-
det sie enger in die gebaute Architektur ein [Abb. 16}.
Möglicherweise — so meine These — wirkte dabei die
im Osten einflussreichere klassizistische Strömung als
Katalysator dieser Entwicklung; hat man doch dort
noch Mitte des 13- Jh. an einer tektonisch geprägten
Auffassung von Figur und Rahmen festgehalten: Aus
einer solchen Tradition wuchsen gerade auch die am
Straßburger Münster tätigen Werkstätten hervor, wie
die um 1190/1200 entstandenen Figurenfenster aus
der Johanneskapelle belegen [Abb. 17}; sie sind mit
den Marburger Standfigurenfenstern trotz der um ein
Vielfaches geringeren Größe vergleichbar [Abb. 18}.
Etwa ein Jahrzehnt nach der Marburger Ostchorver-
glasung wurden dann in Straßburg im ersten nördli-
chen Obergadenfenster die übereinander angeordne-
ten Standfiguren erstmals von orthogonal projizierten
Architekturaufrissen nach Bauhüttenvorlagen gerahmt,
wodurch sie eine mit der Architekturplastik durchaus
konkurrierende Monumentalität erreichen [Abb. 19}.s
8 Hierzu grundlegend BECKSMANN, Rüdiger: Die architekto-
nische Rahmung des hochgotischen Bildfensters : Untersuchungen zur
oberrheinischen Glasmalerei von 1230-1330. Forschungen zur
Geschichte der Kunst am Oberrhein; 9—10. Berlin 1967.
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