staltungsmittel eine gewisse materielle Präsenz sug-
gerieren. In diesem Sinne sind Überbau und Arkade
in der vorderen Ebene auch als bauliche Einheit zu
begreifen, in der die Säulenarkade lediglich als ein
bedeutungsperspektivisch vergrößerter Gebäudezu-
gang erscheint. Diese tektonische Stimmigkeit der
gesamten Rahmenform wird durch eine interessante
Beobachtung bestätigt: Während im Ekklesia-Syna-
gogen-Fenster die marmorierten oder mit Kosmaten-
arbeit verzierten Säulen mit Blattkapitellen und at-
tischem Basenprofil kräftig genug sind, um die Archi-
tektur stützen zu können, zeigen Elisabeth- und Apo-
stelfenster nur unzureichend dünne Säulchen oder
lediglich Konsolen [vgl. Abb. 20a-c}. In diesen Fäl-
len wird die Architektur aber von einem zweiten Säu-
lenpaar hinterfangen; dabei kommt den vorderen Säu-
len die Aufgabe zu, den leichten Arkadenbogen zu
tragen, während die hinteren Stützen den schweren
Aufbau abfangen.
Die Baldachinarchitekturen der Kopfscheiben ant-
worten nun ganz verschieden auf die spitzbogige Lan-
zettenform des Fensterspiegels: Im Apostelfenster
scheinen sie die Architekturvorgaben geradezu zu ne-
gieren [vgl. Abb. 18}: Hier ließ man das die runde
Kuppel abschließende Ziegelband aus der inneren
Randborte hervorwachsen, um so einen rundbogigen
Fensterabschluss zu suggerieren! Dagegen ist die Be-
krönung des Ekklesia-Fensters durchaus kontrapunk-
tisch aufgefasst. Mit Hilfe eines noch ganz traditio-
nellen Architekturrepertoires setzt das Kegeldach zu-
sammen mit den diagonal verlaufenden Zeltdächern
10 Vergleichbaren Architekturen begegnet man in St. Patrokli in
Soest; dort werden die wohl um die Mitte des 13- Jh. gemalten
Figuren im Apsisrund von ganz ähnlich aufgebauten Baldachi-
nen bekrönt. Vgl. BIERSCHENK 1991 (wie Anm. 2), S. 175.
Auch die gemalten Apostelpaare im Chor der Pfarrkirche zu
Methler bei Unna aus der Mitte des 13- Jh.s haben verwandte
Rahmenformen mit einer Schirmkuppel überfangenen Ädikula,
die Architekturen sind die Arkadenzwickel gelegt. Beide
Wandmalereien gehen stilistisch mit den jüngeren Löhner Pro-
phetenfiguren zusammen, die trotz ihrer geringeren Größe wie-
derum enge Bezüge zu den Marburger Standfiguren aufweisen.
KORN, Ulf-Dietrich: Bücken - Legden - Lohne. In: Deutsche
Glasmalerei des Mittelalters : Bildprogramme, Auftraggeber, Werkstät-
ten. Hrsg. Rüdiger BECKSMANN. Berlin 1992, Bd. II, S. 11-
42, insb. S. 38-42 und Abb. 30-33- Dem Kunstkreis der Mar-
burger Glasmalereien muss man wohl auch die bislang für Köln
beanspruchten Reste einer Farbverglasung der Probsteikirche St.
Laurentius in Arnsberg in der Nähe von Soest zuweisen, die auch
der Türme konkave Gegenbewegungen gegen die
konvexe Form des Spitzbogens [Abb. 21}. Schließlich
stülpte der Entwerfer dem strengen Rundbogen eine
zusätzliche, spitzbogig zulaufende Hängekuppel über,
um die formale Schieflage gegenüber der andersarti-
gen Rahmenform an dieser Stelle abzumildern.10
2. Farbigkeit und Ornament
Die farbige Fassung der Architektur scheint dem
Grundsatz größtmöglicher Buntheit zu folgen. Das
weiße Mauerwerk wird ebenso wie die grünen und
violetten Dächer mit farbigen Querstreifen durchzo-
gen, Säulenschäfte, Kapitelle und Basen werden weit-
gehend farblich differenziert. Aber dieses Phänomen
der Zergliederung von Formen in seine struktiven
Einzelteile begegnet auch in den Gewandfiguren, wo
die diagonal und horizontal über Gewänder und
Mäntel laufenden Borten splitterartig im unregel-
mäßigen Faltenverlauf springen [vgl. Abb. 13}- Dies
führt insgesamt dazu, dass die Farbstruktur über die
eigentlich klare Bildform dominiert und sie wieder
aufzulösen scheint! Figur und Architektur verschmel-
zen so in einem die Komposition eher verwirrenden
Farbenspiel. Ein Hinweis auf den Ornamentreichtum
als byzantinische Auszeichnungsformel für hochran-
gige Würdenträger genügt hier nicht, um dieses Phä-
nomen zu erklären. Es handelt sich hier meines Erach-
tens auch nicht um die Aufnahme tektonischer Struk-
turen aus der gleichzeitigen Architektur, die Michler
dahinter zu erkennen glaubt.11 Es fällt nämlich auf,
der Farbstimmung sehr nahe kommen. KORN, Ulf-Dietrich:
Kat. Nr. 10. In: Himmelslicht : europäische Glasmalerei zur Zett des
Kölner Dombaus (1248 — 1349). [Kat. Ausst.} Hrsg. Hiltrud
WESTERMANN-ANGERHAUSEN. Köln 1998, S. 138f.
11 MICHLER 1984 (wie Anm. 2), S. 95-202, hat dem bereits
angesprochenen Dilemma der Stilkritik angesichts des Ver-
suchs, das Phänomen von spätromanischer Glasmalerei in
gotischer Umgebung zu klären, eine feinsinnige Strukturana-
lyse entgegengesetzt und in der farbigen Anlage der spätro-
manischen Standfigurenfenster tektonische Strukturen der gleich-
zeitigen Architektur erkennen wollen. Seine Untersuchung
fördert höchst interessante Erkenntnisse bezüglich der We-
chselbeziehungen von Architektur und Glasmalerei und der
daraus resultierenden Neubewertung von früh- und hochgo-
tischer Architektur zutage. Eine Autopsie der Glasmalereien
würde aber zeigen, dass der gesamte Grund des Elisabethfen-
sters, das ein wichtiges Zwischenglied in der Beweisführung
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gerieren. In diesem Sinne sind Überbau und Arkade
in der vorderen Ebene auch als bauliche Einheit zu
begreifen, in der die Säulenarkade lediglich als ein
bedeutungsperspektivisch vergrößerter Gebäudezu-
gang erscheint. Diese tektonische Stimmigkeit der
gesamten Rahmenform wird durch eine interessante
Beobachtung bestätigt: Während im Ekklesia-Syna-
gogen-Fenster die marmorierten oder mit Kosmaten-
arbeit verzierten Säulen mit Blattkapitellen und at-
tischem Basenprofil kräftig genug sind, um die Archi-
tektur stützen zu können, zeigen Elisabeth- und Apo-
stelfenster nur unzureichend dünne Säulchen oder
lediglich Konsolen [vgl. Abb. 20a-c}. In diesen Fäl-
len wird die Architektur aber von einem zweiten Säu-
lenpaar hinterfangen; dabei kommt den vorderen Säu-
len die Aufgabe zu, den leichten Arkadenbogen zu
tragen, während die hinteren Stützen den schweren
Aufbau abfangen.
Die Baldachinarchitekturen der Kopfscheiben ant-
worten nun ganz verschieden auf die spitzbogige Lan-
zettenform des Fensterspiegels: Im Apostelfenster
scheinen sie die Architekturvorgaben geradezu zu ne-
gieren [vgl. Abb. 18}: Hier ließ man das die runde
Kuppel abschließende Ziegelband aus der inneren
Randborte hervorwachsen, um so einen rundbogigen
Fensterabschluss zu suggerieren! Dagegen ist die Be-
krönung des Ekklesia-Fensters durchaus kontrapunk-
tisch aufgefasst. Mit Hilfe eines noch ganz traditio-
nellen Architekturrepertoires setzt das Kegeldach zu-
sammen mit den diagonal verlaufenden Zeltdächern
10 Vergleichbaren Architekturen begegnet man in St. Patrokli in
Soest; dort werden die wohl um die Mitte des 13- Jh. gemalten
Figuren im Apsisrund von ganz ähnlich aufgebauten Baldachi-
nen bekrönt. Vgl. BIERSCHENK 1991 (wie Anm. 2), S. 175.
Auch die gemalten Apostelpaare im Chor der Pfarrkirche zu
Methler bei Unna aus der Mitte des 13- Jh.s haben verwandte
Rahmenformen mit einer Schirmkuppel überfangenen Ädikula,
die Architekturen sind die Arkadenzwickel gelegt. Beide
Wandmalereien gehen stilistisch mit den jüngeren Löhner Pro-
phetenfiguren zusammen, die trotz ihrer geringeren Größe wie-
derum enge Bezüge zu den Marburger Standfiguren aufweisen.
KORN, Ulf-Dietrich: Bücken - Legden - Lohne. In: Deutsche
Glasmalerei des Mittelalters : Bildprogramme, Auftraggeber, Werkstät-
ten. Hrsg. Rüdiger BECKSMANN. Berlin 1992, Bd. II, S. 11-
42, insb. S. 38-42 und Abb. 30-33- Dem Kunstkreis der Mar-
burger Glasmalereien muss man wohl auch die bislang für Köln
beanspruchten Reste einer Farbverglasung der Probsteikirche St.
Laurentius in Arnsberg in der Nähe von Soest zuweisen, die auch
der Türme konkave Gegenbewegungen gegen die
konvexe Form des Spitzbogens [Abb. 21}. Schließlich
stülpte der Entwerfer dem strengen Rundbogen eine
zusätzliche, spitzbogig zulaufende Hängekuppel über,
um die formale Schieflage gegenüber der andersarti-
gen Rahmenform an dieser Stelle abzumildern.10
2. Farbigkeit und Ornament
Die farbige Fassung der Architektur scheint dem
Grundsatz größtmöglicher Buntheit zu folgen. Das
weiße Mauerwerk wird ebenso wie die grünen und
violetten Dächer mit farbigen Querstreifen durchzo-
gen, Säulenschäfte, Kapitelle und Basen werden weit-
gehend farblich differenziert. Aber dieses Phänomen
der Zergliederung von Formen in seine struktiven
Einzelteile begegnet auch in den Gewandfiguren, wo
die diagonal und horizontal über Gewänder und
Mäntel laufenden Borten splitterartig im unregel-
mäßigen Faltenverlauf springen [vgl. Abb. 13}- Dies
führt insgesamt dazu, dass die Farbstruktur über die
eigentlich klare Bildform dominiert und sie wieder
aufzulösen scheint! Figur und Architektur verschmel-
zen so in einem die Komposition eher verwirrenden
Farbenspiel. Ein Hinweis auf den Ornamentreichtum
als byzantinische Auszeichnungsformel für hochran-
gige Würdenträger genügt hier nicht, um dieses Phä-
nomen zu erklären. Es handelt sich hier meines Erach-
tens auch nicht um die Aufnahme tektonischer Struk-
turen aus der gleichzeitigen Architektur, die Michler
dahinter zu erkennen glaubt.11 Es fällt nämlich auf,
der Farbstimmung sehr nahe kommen. KORN, Ulf-Dietrich:
Kat. Nr. 10. In: Himmelslicht : europäische Glasmalerei zur Zett des
Kölner Dombaus (1248 — 1349). [Kat. Ausst.} Hrsg. Hiltrud
WESTERMANN-ANGERHAUSEN. Köln 1998, S. 138f.
11 MICHLER 1984 (wie Anm. 2), S. 95-202, hat dem bereits
angesprochenen Dilemma der Stilkritik angesichts des Ver-
suchs, das Phänomen von spätromanischer Glasmalerei in
gotischer Umgebung zu klären, eine feinsinnige Strukturana-
lyse entgegengesetzt und in der farbigen Anlage der spätro-
manischen Standfigurenfenster tektonische Strukturen der gleich-
zeitigen Architektur erkennen wollen. Seine Untersuchung
fördert höchst interessante Erkenntnisse bezüglich der We-
chselbeziehungen von Architektur und Glasmalerei und der
daraus resultierenden Neubewertung von früh- und hochgo-
tischer Architektur zutage. Eine Autopsie der Glasmalereien
würde aber zeigen, dass der gesamte Grund des Elisabethfen-
sters, das ein wichtiges Zwischenglied in der Beweisführung
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