Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Instytut Historii Sztuki <Posen> [Hrsg.]
Artium Quaestiones — 14.2003

DOI Heft:
[Rozprawy]
DOI Artikel:
Woldt, Isabella: Lord Shaftesbury und die Künstler
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28200#0127
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
124

ISABELLA WOLDT

Der Gegenstand hatte eine exzellente Marmor- oder Reliefarbeit werden
kón-nen, so wie Raffael sie wohl im Sinne gehabt habe, meint Shaftesbu-
ry. Ais Gemalde widerspreche das Werk dem wesentlichen Prinzip von
Disposition und Ordnung. Den Berg Tabor bezeichnet Shaftesbury ais
einen Maulwurfshiigel („mole-hill”), hóchstens aber ais eine Buhnenin-
szenierung (die literarische Vorlage spricht dagegen von einem hohen
Berg, auf dem die Transfiguration stattfand), und beklagt weiter auch
die Unbestimmtheit der Raumordnung und der Position der Figuren:
„Those Figures below wch shoud be seen by the upper parts (supposing
the Point of sight to be above the Fiat of y* Mountain, as it must be for ye
sake of y® lying Figures there) are not at all veryd on this account, any
morę than y6 Figures in the Air”65. Raffael habe hier die Einheit des
Werkes ebenso geopfert, wie er das Kolorit in den Kartons geopfert
habe66. Mit dieser Meinung nahert sich Shaftesbury der Auffassung der
Franzósischen Akademie, vertritt aber eine andere Idee der Einheit des
Kunstwerkes ais diese. Fur ihn ist die Vereinigung mehrerer in Zeit und
Ort voneinander entfernter Ereignisse in einem Historienbild nicht
móglich, sondern lediglich in einer antikisierenden Reliefdarstellung
oder in einem Emblem, wie es in seinen Frontispizen zu beobachten ist.
Mit der Problematik des Raum-Zeit-Verhaltnisses in der Kunst beschaf-
tigt sich Shaftesbury ausfuhrlich in seiner Abhandlung „A notion of the
„Historical Draught or Tahlature” Of the judgment of „Hercules”61. Er ver-
tritt die klassische Einheit von Handlung, Zeit und Ort, wobei die Dar-
stellung notwendig ais eine organische Einheit betrachtet werden und
auf einen Blick erfaBbar sein muB. Damit wendet sich Shaftesbury gegen
die akademische Vorgabe, ein Gemalde zu „lesen”. Der Idee des „periphe-
ren Blicks” von Roger de Piles68 folgend, postuliert er das Sehen eines
Kunstwerkes, wobei fur ihn die Einheit des Kunstwerkes ais Einheit des
Gegenstandes der Darstellung zu betrachten ist, die jedoch nicht in der
unmittelbaren yisuellen Wirkung des Werkes angelegt ist. Auch wenn
Shaftesbury die Historienmalerei ais die hóchste Form der Malerei
ansieht, womit er der Tradition der Franzósischen Akademie folgt, ist er
weder ais ein Vertreter des franzósischen Akademismus des 17. Jahr-
hunderts noch ais Nachfolger barocker Koloristen zu betrachten. Shaf-
tesbury yerbindet beide Strómungen und steht am Anfang jener Tradi-
tion, in der die Kunsttheorie, wie Thomas Puttfarken es ausdruckte, die
yisuelle Ordnung des Werkes in den Dienst des Inhalts stellt: „This was
typical of eighteenth-century attitudes to yisual order and subject

65 SE, 1,5, S. 200 f.
66 SE, 1,5, S. 200.
(l/ Characteristicks, III, S. 347 ff.
68 Vgl. R. de Piles, L’Idee du Peintre parfait: pour servir de regle aux jugements que
lon doit porter sur les ouvrages des peintres, Genua 1970 (Nachdr. d. Ausg. London 1707).
 
Annotationen