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Instytut Historii Sztuki <Posen> [Hrsg.]
Artium Quaestiones — 26.2015

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Rozprawy
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Żuchowski, Tadeusz J.: Wo manchmal die Gebeine bleichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.42380#0065
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Tadeusz J. Zuchowski

WO MANCHMAL DIE GEBEINE BLEICHEN

,Auf Friedhof muß Schluß sein mit Politik.”
Günter Grass, Unkenrufe1

Seit Jahrhunderten existieren in vielen Kulturen ideelle Verbindun-
gen zwischen Garten und Begräbnis. Gräber entstanden oft in Hainen,
Erinnerungssteine wurden in Parkanlagen aufgestellt, die Friedhöfe
ähnelten entweder Gartenanlagen oder wilden Heidelandschaften. Das
Phänomen ist zu verstehen als Deutung der Verbindung zwischen dem
Leben des Menschen und dem natürlichen Zyklus der Natur. Die men-
schliche Existenz schreibt sich ein in den großen Kreislauf der Natur.
Der Tod ist eine der Erscheinungen im kosmischen Werk. Gleichzeitig ist
mit dem Begräbnis das Gedächtnis der Verstorbenen verbunden. Die
Friedhöfe mit ihren Grabmälern erscheinen als Reservoir von Namen
und genealogischen Verbindungen, die uns auf die Vergangenheit ver-
weisen. Deswegen bilden Grabmäler und Friedhöfe für die europäische
Tradition einen wichtigen Bestandteil der Erinnerung. Ihre Öffentlich-
keit - die Friedhöfe sind zugänglich, ihr deskriptiver Charakter - die
Grabmäler sind beschriftet sowie ihre manifeste Form - nicht selten
enthalten sie bedeutende Bau- und Bildwerke, verleihen Friedhöfen eine
parallele geschichtliche Erinnerungsstruktur. Der Reichtum an Namen,
Berufen, Nationalitäten, Konfessionen, aber auch die intimen Aussagen
bezeugen die Wichtigkeit des Phänomens Friedhof. Eben aus den Grab-
mahnschriften können die Forscher oft Informationen ablesen, die in Ar-
chiven kaum beziehungsweise überhaupt nicht zugänglich sind. Friedhö-
fe zeichnen Gedächtniswege. Sie sind einzigartige Beweise der Identität.
Nehmen wir zum Beispiel den winzigen deutschen Friedhof Campo
Santo Teutonico in Rom, den seit Jahrhunderten die Geschichte durch-
fließt, oder den synthetisch geschaffenen Friedhof auf der Insel des Hei-
ligen Michael in Venedig, der seit zwei Jahrhunderten die Geschichte der
Lagunenstadt widerspiegelt.

G. Grass, Unkenrufe, München 1999 (Deutscher Taschenbuch Verlag), S. 45.
 
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