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Andreae, Bernard [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (1,2): Die Sarkophage mit Darstellungen aus dem Menschenleben: Die römischen Jagdsarkophage — Berlin, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.14580#0136

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6.3. DIE ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER TREIB JAGDSARKOPHAGE

Taf. 94,4) aus einem christlichen Grabzusammenhang, in Osimo (Kat. 59, Taf. 94,1) mit christlichen Deckelsze-
nen und auf dem spätesten Jagdsarkophag im Museo Nuovo des Konservatorenpalastes (Kat. 112, Taf. 95,4),
der aus der Werkstatt des christlichen Sternkranzsarkophages in Arles stammt, nicht mehr vorkommt, kann
man vermuten, daß die Heroisierung durch die Überwindung des Löwen ein Gedanke war, der der christlichen
Sarkophagkunst fern lag.

Gleichwohl wird man umgekehrt die Entstehung des neuen Typus der Treibjagdsarkophage nicht unbedingt
in der christlichen Kunst suchen, sondern eher in der volkstümlichen Kunst, die sich mit dem Emporkommen
neuer Bevölkerungsschichten und der Reduzierung des geistigen und kulturellen Lebens in tetrarchischer
Zeit entwickelt. Da aus diesen Bevölkerungsschichten auch die nach dem Sieg Konstantins tonangebenden
Christen stammen, scheint hier nur eine gemeinsame Wurzel vorhanden zu sein, nicht aber ein genuin
christlicher Sarkophagtypus vorzuliegen. Ein solcher wäre auch kaum so rasch mit der heidnischen Löwenjagd
kontaminiert worden und hätte sich möglicherweise länger gehalten. Gleichwohl muß es auf den Treibjagdsar-
kophagen einen Gedankenbezug gegeben haben, der diesen Sarkophagtypus auch Christen als Grablege
annehmbar machte und zuließ, daß man die Jagdszene, wie auf dem Sarkophag in Osimo (Kat. 59, Taf. 94,1),
mit alt- und neutestamentlichen Szenen kombinierte oder daß er in christlichen Sarkophagwerkstätten tradiert
wurde, wie der Sarkophag im Konservatorenpalast (Kat. 112, Taf. 95,4) beweist.
Bemerkenswert scheint in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß zugleich mit dem Verschwinden der
Löwenjagdszenen aus dem Figurenrepertoire der Treibjagdsarkophage die Überlagerung des Grundmusters
mit den beiden Figurenschemata der Eberjagd (2) und des Hirschbezwingers (6) immer häufiger und schließlich
sogar, wie es scheint, obligatorisch wird. E^s empfiehlt sich daher, nun auf die oben offengelassene Frage
zurückzukommen, ob diese beiden Szenen zur ursprünglichen Komposition gehören und nur bei einfacheren
Versionen weggelassen werden konnten oder ob sie eine nachträgliche Bereicherung des Grundmusters
darstellen. Das ist zugleich die Frage, ob das Grundmuster von Anfang an nur den Hintergrund für die
Komposition der Treibjagdsarkophage abgegeben hat oder ob es selbst die Urfassung dieser Sarkophagklasse,
d.h. ihren Archetypus widerspiegelt. Die Eberjagdszene (2) mit dem ausfallenden Jäger, der die Saufeder
gegen den Keiler richtet, ist als Typus noch älter als die Löwenjagdszene, die im zweiten Viertel des
3. Jahrhunderts n.Chr. in den römischen Sarkophagwerkstätten entwickelt wurde. Die wesentlich einfachere
Eberjagdszene begegnet in ihren Grundzügen bereits auf den mythologischen Eberjagdsarkophagen des
2. und 3. Jahrhunderts n.Chr.586 und hat eine in die griechische Kunst zurückreichende Motivgeschichte587.
Von daher kann man also kaum Aufschluß für diese Frage erhoffen. Nicht anders steht es mit dem Hirsch-
bezwinger (6), der zwar außer in Gestalt einer weiblichen Jägerin auf dem oberitalischen Sarkophag in
Belluno588 auf den Jagdsarkophagen vor dieser Zeit nicht vorkommt, dafür aber als Typus ebenfalls schon
seit dem 2. Jahrhundert in den Herkulessarkophagen589 tradiert wird. Seiner heroischen Natur gemäß ist
der Hirschbezwinger hier allerdings nicht bekleidet.

Es wäre durchaus denkbar, daß der Schöpfer des Typus der Treibjagdsarkophage von vornherein diese
beiden dem Repertoire der Sarkophagbildnerei entstammenden Figuren seiner Komposition eingefügt hat.
Man kann jedoch nicht übersehen, daß damit in das einfache und problemlos zu verstehende Grundmuster,
wie der Sarkophag der Villa Doria (Kat. 185, Taf. 95,1) es bietet, eine gewisse Widersprüchlichkeit hineinge-
kommen ist. Warum ist der Eber meist nach links gewendet, wenn das Wild im Hintergrund nach rechts
ins Netz getrieben wird? Oder in bezug auf den Hirschbezwinger: Wie kann ein Jäger zu Fuß der Treiberkette
zu Pferde schon so weit vorausgeeilt sein, daß er einen Hirsch, noch bevor dieser vom Netz aufgehalten
wird, erreicht hat und niederzwingt, während die Treibjagd im Hintergrund noch im vollen Gang ist?
Wenn man dies unter dem Gesichtspunkt der logischen Entwicklung einer Treibjagd als widersprüchlich
empfindet, so erhebt sich allerdings die Gegenfrage, ob man bei spätantiken Sarkophagreliefs diese Art
von Logik erwarten darf. Es war von Anfang an ein Charakteristikum römischer Sarkophagkunst, daß
die Szenen auf den Sarkophagen nicht nach einer strengen, dramatischen Logik entwickelt wurden, sondern

Adonis-, Hippolytos- und Meleagersarkophage vgl. Anm. 21. 22.

Schon auf dem Francois-Krater in Florenz ist der Typus vor-
geprägt: E. Simon, Die griechischen Vasen (1976) Taf. 55 Mitte.
H. Gabelmann, Die Werkstattgruppen der oberitalischen Sarko-

phage (1973) 72B. Taf. 13 A. - Vgl. zum Typus des Hirschbezwin-
gers auch Andreae, MarbWPr 1979, 58.

Robert, ASR III 1, i24fF. Nr. 101-116. - Vgl. Heibig4 I Nr. 1026;
III Nr. 2359.

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