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Andreae, Bernard [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (1,2): Die Sarkophage mit Darstellungen aus dem Menschenleben: Die römischen Jagdsarkophage — Berlin, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.14580#0137

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6.3. DIE ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER TREIBJAGDSARKOPHAGE

daß statische und dynamische Szenen nebeneinandergestellt, miteinander verzahnt und sogar ineinander verwo-
ben wurden. Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, daß manche Sarkophagbildhauer die aufgezeigte
Widersprüchlichkeit gesehen und nur eine der beiden Jagdszenen, entweder die Bärentreibjagd (i) oder
die Eberjagd (2), dargestellt beziehungsweise den Hirschbezwinger (6) fortgelassen haben. Das spricht dafür,
daß am Anfang der ganzen Entwicklung des Typus der Treibjagdsarkophage eine Bildfassung gestanden
hat, in der Szenen der Netztreibjagd auf Bären und Hirsche ohne die Überlagerung durch eine Sauhatz
oder einen Hirschbezwinger dargestellt waren. Man muß sich diese Bildfassung ähnlich vorstellen wie die
auf dem Sarkophag der Villa Doria (Kat. 185, Taf. 95,1) überlieferte.

Die Tatsache, daß sich von Anfang an die Notwendigkeit ergab, diese Bildfassung durch Kontaminationen
mit anderen Jagdszenen der Sarkophagkunst anzupassen, könnte dazu verführen, den Archetypus im Grunde
für nicht sehr sarkophaggerecht zu halten, sondern eine vorbildliche Darstellung in einer anderen Kunstgattung
zu postulieren. G. Rodenwaldt590 dachte an ein Gemälde von der Art, wie die Historia Augusta391 es
von einer Silva des Kaisers Gordian beschreibt. Aber solche postulierten Vorbilder bleiben schemenhaft,
solange man sie nur in den durch die Sarkophagbildner veränderten Fassungen beurteilen kann. Mit der
Annahme eines großen Vorbildes außerhalb der Sarkophagkunst, die schon bei der Beurteilung der monumen-
talen Löwenjagdsarkophage auf die falsche Fährte geführt hatte592, kann man zwei Phänomene in der Überliefe-
rungsgeschichte der Treibjagdsarkophage nicht befriedigend erklären. Erstens, wieso die als Grundmuster
erkannte Bildfassung die für die Jagdsarkophage charakteristische, in ihrer Motivgeschichte begründete Zwei-
teilung der Komposition in einen kürzeren, etwa ein Drittel des Rechteckfeldes umfassenden Abschnitt
links und eine die beiden restlichen Drittel ausfüllende Hauptszene rechts aufweist. Diese Grundstruktur
der Bildfeldaufteilung ist eine Eigenart der Sarkophagreliefkunst und wäre bei einem gemalten Vorbild
nicht zu erklären.

Das zweite Phänomen ist die Beharrlichkeit, mit der die als Grundmuster der Treibjagdsarkophage erkannte
Bildfassung auf diesen immer wieder durchschlägt. Diese Beharrlichkeit läßt sich nur erklären, wenn es
sich um einen in der Sarkophagkunst selbst ablaufenden Prozeß handelt. Bevor man sich durch die Postulierung
eines Vorbildes außerhalb der Sarkophagkunst den Weg zum Verständnis dieses Prozesses verbaut, ist es
deshalb methodisch notwendig, zunächst die Frage zu stellen, was mit der Überlagerung des Grundmusters
durch die Figuren des Eberjägers (2) und des Hirschbezwingers (6) ausgesagt werden sollte. Die Antwort
auf diese Frage wird verblüffend einfach, wenn man sich an den in diesen Bildprägungen beschlossenen
Sinn erinnert. Meleager und Herkules, die zuerst in diesen bildlichen Typen dargestellt waren, verkörperten
die auf vielen Grabdenkmälern beschworene Virtus der Verstorbenen. Die einfachste Erklärung ist daher,
daß man diese Verkörperung nach Abstreifung aller Bildungselemente in die unmittelbar begreifbare Bilderwelt
der volkstümlichen Treibjagdsarkophage herüberholte, auf denen sonst das den Römern so wichtige Element
der Virtus gefehlt hätte. Als mythologische Allegorie oder in der Form einer amazonenhaften Personifizierung
mochte man eine Anspielung auf den gleichwohl unverzichtbaren römischen Wertbegriff der Virtus offenbar
nicht mehr sehen. Ein zum Symbol gewordenes Bewegungsmotiv, das ohne Schwierigkeit in die realistische,
mit zeitgenössischen Zügen ausgestattete Schilderung einer Treibjagd eingefügt werden konnte, drückte
dies hingegen in einer der Zeit angemessenen Form aus.

Die Frage, ob die im Grundmuster noch greifbare Urfassung des Treibjagdbildes sarkophaggerecht war
oder nicht, bekommt nun eine andere Wendung. Die Treibjagdsarkophage stellen einen grundlegend neuen
Typus römischer Jagdsarkophage dar, der aus weit zurückreichenden Wurzeln seine Kraft gezogen hat.
Aus Wurzeln, die in Denkmälern wie dem Aeneassarkophag im Thermenmuseum 593 und den Sarkophagen
in Civitavecchia (Kat. 24, Taf. 6,1) und Kopenhagen (Kat. 42, Taf. 6,3) offen liegen. Geschaffen 594 wurde
dieser Typus in tetrarchischer Zeit, als der alte Typus der monumentalen Löwenjagdsarkophage seine Aussage-
kraft in zunehmendem Maße einzubüßen begann. Es ist verständlich, daß der Entwerfer des neuen Sarkophag-

Rodenwaldt (1921/22) 67. 83 fF.
HA, Gordiani Tres 5,6.
Rodenwaldt (1956) 88.
Heibig4 III Nr. 2162.

Daß es sich um eine bestimmte Schöpfung handelt, hat Rodenwaldt
(1921/22) 67 klar erkannt: »Es sind nicht Motive, die allmählich

eindringen und die alten umgestalten, sondern sie sind mit einem
Male fertig da. Ihr Auftreten und ihre Beliebtheit können wir
uns nicht anders erklären als durch den Eindruck eines Vorbildes,
sei es eines Reliefs, sei es eines Gemäldes, das aus irgend einem
Grunde eine Bedeutung hatte, die die alten Jagdmotive fast ganz
zurückzudrängen vermochte.«

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