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Andreae, Bernard [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (1,2): Die Sarkophage mit Darstellungen aus dem Menschenleben: Die römischen Jagdsarkophage — Berlin, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.14580#0139

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6.4. DIE DEUTUNG DER TREIBJAGDSARKOPHAGE

ist) am rechten Rand der Darstellung in merkwürdig unbeteiligter Weise dem Jagdzug vorausreitet. Er
begegnet auf neun der zwölf vollständig überschaubaren Treibjagdsarkophage598 und auf dem Fragment
in Orange (Kat. 58, Taf. 107,1). Nur auf dem Sarkophag in Deols (Kat. 27, Taf. 93,1) wendet er sich zurück,
so als wolle er sich vergewissern, daß die anderen ihm folgen, aber auch hier wird seine Funktion im
Jagdgeschehen nicht ohne weiteres einsichtig, weil er das Hirschrudel, das ins Netz getrieben wird, bereits
überholt hat und gleichsam aus dem Bild hinauszureiten scheint.

W. Deonna hat in seiner materialreichen Untersuchung über die Götter, Dämonen und Genien im Kapuzen-
mantel599 im Vorbeigehen auch die so gekleideten Reiter auf einigen Jagdsarkophagen erwähnt und in
ziemlich allgemeiner Weise auf die religions- und völkerkundliche Literatur verwiesen, in der die volkstüm-
lichen Vorstellungen von der »höllischen«, der »wilden«, der »phantastischen« Jagd als »Ritt der Toten«
untersucht werden. Eine klare Mitteilung, ob es sich bei dem Kapuzenreiter möglicherweise um einen Todesge-
nius handelt, wird jedoch vermieden, und sie dürfte auf diesem Wege auch kaum beweisbar sein, obgleich
man sich des Eindrucks eines wie auch immer gearteten tieferen Zusammenhangs nicht erwehren kann.
Die archäologische Aufgabe ist es jedoch, die bildliche Aussage der Darstellung möglichst genau zu erfassen,
bevor zu ihrer Erklärung bildlich nicht bestimmbare volkstümliche Vorstellungen herangezogen werden.
Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Reiter am rechten Bildrand nicht die einzige mit dem Kapu-
zenmäntelchen ausgestattete Figur auf den Treibjagdsarkophagen ist. Gewöhnlich sieht man beim Netz ein
kleines Kapuzenmännlein hocken oder stehen. Diese Figur begegnet auf neun Kästen und drei Deckeln600
und scheint auch auf einem weiteren Exemplar, dem Sarkophag in der Domitilla-Katakombe (Kat. 85,
Taf. 95,2), nicht gefehlt zu haben, wenn man die Bruchstellen am rechten Rande unten richtig deutet. Diese
Figur ist also - nicht anders als der Kapuzenreiter - integrierender Bestandteil der Komposition. Sie fehlt
nur auf den beiden spätesten Sarkophagen: Auf dem Exemplar in Arles P (Kat. 4, Taf. 95,3) ist sie durch
die oben601 beschriebene Figur eines Jägers, der dem Hirsch das Genick umdreht, verdrängt worden. Auf
dem Sarkophag im Konservatorenpalast (Kat. 112, Taf. 95,4) mit seinem würdevollen Figurentypus ist sie
ersatzlos fortgelassen. Diese Figur könnte man vielleicht aus dem Jagdgeschehen selbst erklären. Sie könnte
die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, daß das Netz immer gespannt bleibt. Sie fehlt jedoch, wenn ich recht
sehe, auf Mosaiken mit Netzjagdszenen602, das heißt auf Darstellungen aus dem nicht sepulkralen Bereich.
Demnach war ein Jagdgehilfe zur Beaufsichtigung des Netzes nicht unbedingt erforderlich. Im praktischen
Jagdgeschehen könnte eine am Netz postierte Person auch einen negativen Effekt ausgelöst haben, weil
das Wild Witterung davon bekommen konnte und vor dem Netz gescheut hätte. Was aber kann die Figur
dann bedeuten?

Auffällig ist ihre außerordentliche Kleinheit603. Es ist immer mißlich, die Kleinheit einer Figur in einem
Kunstwerk auf Raummangel zurückzuführen, der den Künstler gezwungen hätte, die Figur in ihrer Größe
zu reduzieren, um sie noch unterbringen zu können. In einen solchen Zwang läßt ein Künstler sich schwerlich
bringen. Auf der Nebenseite des Sarkophags in Pisa (Kat. 71, Taf. 92,6) ist genug Platz vorhanden und
doch ist das Kapuzenmännchen zwergenhaft klein gegen den Jäger mit dem Hund. Die Kleinheit der Figur,
ihre lauernde Haltung, die Bewegung, mit der sie die Hand ans Netz legt, sind also eine Aussage, ebenso
wie es die am Jagdgeschehen so eigentümlich unbeteiligte Haltung des Kapuzenreiters ist, der dem Jagdzug
vorausreitet. Auch ihn könnte man notfalls als einen Jagdgehilfen verstehen, der die Aufgabe hat, das seitliche
Ausbrechen des gehetzten Wildes zu verhindern. Aber deutlich wird das im bildlichen Ausdruck nicht.
Vielmehr drängt sich dem Betrachter die Vorstellung auf, daß der Cucullatus dem Jagdzug voranreitet und
dadurch dessen eigentliches Ziel bestimmt. Das Bild ist sprechend genug. Wenn man es in Worte zu fassen
versucht und etwa erklärt: »Das Netz, in dem das Wild gefangen wird, ist ein Bild des Todes, an dem
ein Todesgenius lauert, während ein anderer die Schar der Jäger zu ihrer Bestimmung, dem Tode, bringt!«,
dann gerät man in Gefahr, die Poesie des Bildes, seine schwebende Stimmung, zu zerstören. Und doch

Vgl. den Kreuzplan S.113.

W. Deonna, De Telesphore au »moine bourru«. Dieux, genies
et demons encapuchonnes (Coli. Eatomus 21, 1955) 123.
Kat. 71. 27. 22. 30. 57. 59. 3. 185. ;8. 129. 187. 105.
S. 125.

Egger-Mundt (1976) hat diese Darstellungen mit bewundernswer-

tem Fleiß zusammengestellt. Vgl. G. Ville, Karthago 11, 1961/62,
63 ff. Der von Rodenwaldt (1921/22) 107 Anm. 4 erwähnte cucullatus
auf einem Graffito stammt aus einer Grabanlage.
Rodenwaldt (1921/22) 60. 67 nennt ihn einfach einen Knaben.
Er ist aber nicht jugendlicher, sondern nur kleiner als die übrigen
Jagdteilnehmer gebildet.

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