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Assmann, Jan
Die Gott-Mythologien der Josephsromane — Düsseldorf, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.37076#0029
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Thomas Mann übernahm die Idee des werdenden Gottes von
dem erzjüdischen Religionsphilosophen Oskar Goidberg, einem
in der Wolle gefärbten Kabbalisten und Kabbalaforscher, den
Thomas Mann mit fasziniertem Abscheu gelesen hat: fasziniert
von der Idee des werdenden Gottes und zugleich zutiefst abgesto-
ßen von Goldbergs krassem, dezidiert antihumanistischen Parti-
kularismus, denn bei ihm ist das eine Sache zwischen einem Gott
und seinem Volk und keineswegs der Menschheit. Für Goldberg
ist der Fortschritt in der Geistigkeit eine Katastrophe, er preist
die magische Archaik, als der Ritus noch Berge versetzte. Für
Thomas Mann dagegen ist es gerade der Fortschritt in der Geis-
tigkeit, in dem sich das Werden Gottes vollzieht. In einem Brief
an Annie Loewenstein vom 27. Oktober 1945 spricht er von »der
in den Joseph-Romanen herrschenden Fortschrittsidee, dem >mit
Gott (zusammen) über etwas hinauskommem. Gewisse Dinge
waren einmal ganz richtig und vernünftig, hören aber auf es
zu sein und werden zur >Gottesdummheit<. Religiosität besteht
wesentlich darin, hierauf auf Veränderungen im Bilde der Wahr-
heit und des Rechten achtzugeben. Zu wissen, was die Glocke
geschlagen hat, und wo Gott mit uns hinauswill, das nennt
Joseph Gottesklugheit.<V

^ Thomas Mann: Selbstkommentare: »Joseph und seine Brüder«, hg. von Hans
Wysling und Marianne Eich-Fischer. Frankfurt/M. 1999, S. 293. In ähnlichem
Sinne plädiert Thomas Mann in einem Brief an Heinz-Winfried Sabais vom 9. Feb-
ruar 1948 »für eine Religiosität [...], die im Gehorsam besteht und in ständiger
Achtsamkeit auf Veränderungen im Bilde der Wahrheit. In den noch schlecht ver-
standenen Joseph-Romanen heißt das )GotteskIugheit< - die Klugheit des Menschen
nämlich, seinen Willen mit demjenigen Gottes zu vereinen und nicht in Zuständen
verharren zu wollen, >über die Er mit uns hinaus will.< Diese Renitenz ist das, was
ich Gottesdummheit nenne, eine Verfassung, die notwendig zu Katastrophen führt,
und worin die Katastrophe denn auch schließlich als Ausweg gewollt wird.« (Ebd.
S. 308) Vgl. auch Paul Ludwig Sauer: Gottesvernunft. Mensch und Geschichte im
Blick auf Thomas Manns »Joseph und seine Brüder«. Frankfurt/M. u. a. 1996.

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